Touristen geraten in der Türkei ins Visier kurdischer Terroristen
Mindestens ein Toter und 27 Verletzte bei Anschlägen in Istanbul, Marmaris und Antalya. Drahtzieher ist vermutlich der PKK-Ableger "Freiheitsfalken".
Von Boris Kalnoky
Istanbul - Seit drei Jahren gibt es eine neue Strategie kurdischer Terroristen in der Türkei: Angriffe gegen Touristen, Wirtschaft und Verwaltungseinrichtungen. Es ist eine Entwicklung, die auch für Deutsche besorgniserregend ist, denn die türkische Küste ist bei deutschen Urlaubern beliebt. Eine Organisation namens "Kurdische Freiheitsfalken" (TAK) begeht dort immer häufiger Bombenanschläge.
So wurden mindestens ein Mensch getötet und 27 Menschen bei mehreren Sprengstoffanschlägen verletzt. Bei der Explosion in Antalya starb ein Mensch bislang unbekannter Nationalität. Zehn der Opfer waren Briten, die verletzt wurden, als im Touristenort Marmaris ein Sprengsatz in einem Minibus explodierte. Fast zeitgleich explodierten zwei weitere Bomben in öffentlichen Mülleimern. Derweil ging in Istanbul eine Bombe hoch, deren Ziel offenbar ein Gebäude der Regionalverwaltung war. Sechs Menschen wurden verletzt.
Niemand bekannte sich zu den Anschlägen, aber sie tragen die Handschrift der "Kurdischen Freiheitsfalken". Im vergangenen Jahr bezichtigte sich diese Organisation eines ähnlichen Terrorangriffs im Badeort Kusadasi. Auch dort wurde ein Minibus in die Luft gejagt, es gab mehrere Todesopfer.
Wer wissen will, was diese "Falken" über sich selbst verbreitet sehen wollen, kann eine Art Gründungsmanifest aus dem Jahr 2004 zu Rate ziehen. Darin heißt es, dass sie angesichts der unverändert harten türkischen Position zur Kurdenfrage zum Mittel des Terrors gegen zivile Ziele greifen müssen. Ausländische Touristen werden davor gewarnt, die Türkei zu besuchen, da der Tourismus die türkische Armee finanziere. Die TAK, so heißt es da, ist von der Kurdenorganisation PKK unabhängig und kritisiert dieselbe, weil die PKK den Kampf angeblich nicht entschlossen genug vorantreibt.
In Wirklichkeit scheint es, dass die TAK eine Gründung der PKK ist und auf eine Initiative von Murat Karayilan zurückgeht, Chef der "HPG" genannten "Streitkräfte" der PKK. Das zumindest sagt Hidir Sarikaya, ein einstiges Führungsmitglied der PKK, der sich im Jahr 2004 von der Organisation trennte. Er behauptet, dass man ihm die Führung einer neu zu gründenden Einheit anvertrauen wollte, für die eine Million Dollar bereitgestellt worden sei und deren ausschließliches Ziel Terror gegen Zivilisten wäre. Er habe verzichtet, weil er diese Strategie ablehne und die Errichtung eines eigenen Nachrichtendienstes für wichtiger gehalten habe. Im August 2003 habe Karayilan ihm dann gesagt, dass die TAK gegründet worden sei.
Sarikaya zufolge ist die TAK den "Spezialeinheiten" der HPG untergeordnet und wird von einem syrischen Kurden geführt (Feyman Hüseyin). Die TAK ist Sarikaya zufolge eine Schöpfung von Karayilan und zwei der ersten Gründer der PKK, Duran Kalkan und Cemil Bayik. Tatsächlich bekennt sich die TAK in ihrem Gründungsmanifest vorbehaltlos zum inhaftierten PKK-Gründer Abdullah Öcalan, die "Kritik" an der PKK fällt verhalten aus.
Warum aber die ganze Mühe? Die als terroristisch eingestufte PKK ist stets bemüht, sich als eine edle Guerillaarmee darzustellen, um sich vom Vorwurf des Terrors zu befreien. Für Angriffe gegen Zivilisten brauchte man also eine "unabhängige" Organisation.
Türkischen Quellen zufolge wurde 2005 ein TAK-Terrorist namens Mehmet Berk gefasst. Laut Dossier der Staatsanwaltschaft von Diyarbakir soll er im Verhör ausgesagt haben: "Ich war in einer Gruppe von 25 Leuten ... Wir haben eine zweimonatige strenge Ausbildung über Bombenanschläge. Murat Karayilan schickte mich mit einem gefälschten Ausweis mit dem Namen Haci Ahmet Korkmaz und 5000 Dollar nach Syrien, um dann Anschläge auf touristische Zentren in der Türkei auszuführen. Von dort bin ich nach Iskenderun. Ich wurde in Istanbul gefasst, als ich Nachforschungen unternahm, um einen Anschlag zu planen."
Die immer häufigeren kurdischen Terrorangriffe gegen westliche Touristen sind - gleich wie die Organisationsstrukturen aussehen - wenig geeignet, den "Freiheitskämpfern" Sympathien im Westen einzubringen. Für Touristen gilt es jedoch, die neue Gefahr ernst zu nehmen.
Artikel erschienen am Di, 29. August 2006
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