Fremdheit wird in der Antike über die Sprache bestimmt. Bereits von den Indern wurde das Sanskrit-Wort barbarāh („Stammler“) zur Bezeichnung nicht-arischer Völker verwendet. Im antiken Griechenland erscheint der Ausdruck erstmals in Homers Ilias, im Kontext mit den „barbarisch sprechenden“ (βάρβαροφονοι) Karern (Homer: Ilias. II, 867). Diese für das 9. und 8. Jh. v. Chr. wichtige Quelle für das Leben der frühen πόλις-Gesellschaft belegt, dass der βάρβαρος jemand war, der nicht oder nur sehr schlecht Griechisch sprach. Die Sprache bildet ein Diskriminationskriterium, das für den Barbarenbegriff lange zentral bleiben sollte; noch Ovid schreibt aus seinem Verbannungsort Tomis am Schwarzen Meer: „Barbarus hic ergo sum, quia non intellegor ulli.“ („Ein Barbar bin ich hier, weil ich von keinem verstanden werde.“)
Dennoch bietet der Begriff der Sprache den Schlüssel für das Verständnis gerade auch der ideengeschichtlichen Wendung des Barbarenbegriffs hinsichtlich der Differenz in Geist und Bildung: Das griechische Wort für „Sprache“ ist λόγος, was zugleich „Vernunft“ bedeutet.
Aristoteles prägt ausgehend vom λόγος-Begriff ein Bild des Barbaren, das, wie wir in Teil 2 noch sehen werden, von den spanischen Kolonisten im 16. Jahrhundert dankbar aufgenommen und auf die autochthone Bevölkerung Amerikas übertragen wird: die Vorstellung des φύσει δούλος, „Sklaven von Natur“ (Aristoteles: Nikomachische Ethik. 1252a ff.). Die aristotelische Anthropologie sieht den Menschen als ζώον λογικόν, als vernunftbegabtes Wesen, das Teil hat am λόγος, also an Sprache und Vernunft (Aristoteles: Politik. 1253a). Aufgrund der Teilhabe am λόγος ist der Mensch aufgefordert, seine Funktion als ζώον πολιτικόν, als ein auf die Gemeinschaft bezogenes Wesen, zu erfüllen: „Dies ist im Verhältnis zu den übrigen Sinneswesen den Menschen eigentümlich, daß sie als einzige von allen ein Gefühl für gut und schlecht, gerecht und ungerecht haben, auf deren Gemeinsamkeit Haus und Staat beruhen.“ (Aristoteles: Politik. 1253a)
Der Begriff des φύσει δούλος ist bei Aristoteles die Negation dieses Menschenbildes. Er knüpft also die naturgegebene Sklavenrolle des Barbaren an einen vorgeblichen λόγος-Mangel. So schreibt er: „Von Natur aus ist der ein Sklave, der einem anderen gehören kann und auch gehört und der nur insofern an der Vernunft teilhat, als er sie von anderen annimmt, sie aber nicht von sich aus besitzt.“ (Aristoteles: Politik. 1254a) Als ein derart nicht-vernunftbegabter und damit zur produktiven Leistung innerhalb der Gemeinschaft unfähiger Mensch ist der Sklave nicht mehr als ein „beseeltes Werkzeug“ (Aristoteles: Politik. 1253b) seines Herrn;ein Umstand, den Aristoteles für „zuträglich und gerecht“ (Aristoteles: Politik. 1254a) hält, solange das Verhältnis vom Freien zum Unfreien, vom Griechen zum Barbaren eines von Mensch zu Mensch bleibe (Aristoteles: Nikomachische Ethik. V. 1161b f.).
Aristoteles steht mit dieser Deutung in der Antike bei weitem nicht allein.