In den beiden ehemaligen Sowjetrepubliken Turkemenistan und Usbekistan blüht nach wie vor eine recht bizarre Helden- und Herrscherverehrung
Postsowjetischer Personenkult
Eines der vielen Monumente des 2006 verstorbenen turkmenischen Präsidenten Saparmurad Niyasow. Foto: Schediwy
Von Robert Schediwy
Der Grenzübertritt von Usbekistan nach Turkmenistan ist nicht wirklich angenehm. Zuerst hat man den Reisebus zu verlassen und sich, nach Abwicklung der ersten Hälfte der Grenzformalitäten, in ein überfülltes Sammeltaxi zu quetschen, das einen etwa einen Kilometer weit durchs Niemandsland kutschiert. Dann sind die Einreisekontrollen zu bestehen und zuletzt muss man sein Gepäck noch etwa zweihundert Meter zu einem Bus schleppen, der auf der anderen Seite auf die Passagiere wartet. Das Ganze unter glühender Mittagshitze, garniert mit zehnmaliger Passkontrolle und dem Ausfüllen undeutlicher Formulare.
Ein wenig Trost spendet bloß das freundliche Gesicht auf dem Torbogen neben der turkmenischen Grenzstation. Es erinnert stark an Dean Martin: Schwarzes Haar, ein schelmischer Blick, das Kinn "in die Hand gesmogen", wie Walther von der Vogelweide es auszudrücken beliebte. Eine ungewöhnliche Pose für einen Staatspräsidenten. Aber Saparmurad Niyasow (1940 bis 2006) war ja ein ungewöhnlicher Präsident.
Die Weiterfahrt durch die Steppe südlich des langsam verschwindenden Aralsees zeigt zunächst keine wesentlichen Unterschiede zu dem, was zuvor im benachbarten Usbekistan zu sehen war. Baumwollfelder, ärmlich wirkende Orte, zuweilen Industrieruinen. Der Boden glänzt immer wieder ominös weiß. Das Salz kommt aus der Tiefe des Grundwassers, wird durch Stürme aus den bereits ausgetrockneten Partien des Aralsees weitergetragen und verdirbt die Qualität des Bodens. Der Bus ist älter als der jenseits der Grenze, die Straße noch rumpeliger als drüben. Auf offiziellen Gebäuden sieht man immer wieder die Aufschrift: "Halk. Vatan. Turkmenbaschi" ("Volk, Heimat, Führer der Turkmenen"). Dazu fehlt es nicht an Bildern des Präsidenten – zumeist zeigt er sich allerdings nicht wie Dean Martin, sondern in staatsmännisch starrer Pose.
Am späten Abend dann, von einer Provinzstadt aus, der Inlandsflug nach Aschgabad, der Hauptstadt des Landes. Die Ankunft: ein veritabler Kulturschock. Das mitternächtliche Aschgabad wirkt wie eine Mischung von New York im Jahr 1920 mit Stalins Träumen von Moskau und postmodernen urbanen Comicphantasien à la Schuiten und Peeters ("Les cités obscures"). Eine Kette etwa 20-stöckiger, reich dekorierter, mit weißem Marmor verkleideter Wohnhochhäuser ist durch Kolonnaden mit einander verbunden.
Eine hypermoderne Baumwoll-Schaufabrik dokumentiert den Stolz der Hauptstadt auf das derzeit wichtigste Exportprodukt des Landes. Riesige Brunnenanlagen produzieren Wasserspiele.
Im Stadtzentrum reiht sich ein politisches Repräsentationsbauwerk ans andere: Präsidentenpalais, Justizministerium, Universitätsbibliothek. Alles ganz neu und natürlich mit weißem Marmor verkleidet. Säulen, Säulen, Säulen, Kuppeln, Kuppeln, Kuppeln. Hinter den Säulen verspiegelte Glasfassaden, und immer wieder blickt man in große Säle, die durch riesige Kristallluster, wie man so sagt, "feenhaft" erleuchtet werden. Die Straßen freilich sind leer, in der Hauptstadt gibt es so gut wie kein nächtliches Leben, fast möchte man an eine Ausgangssperre glauben.
Ungewöhnliche Leere
Die Betrachtung Aschgabads bei Tag relativiert den ersten Eindruck von der so faszinierenden wie beunruhigenden mitternächtlichen Fata Morgana. Aber auch jetzt wirkt die Stadt, die etwa 800.000 Einwohner hat, in ihren zentralen Repräsentationsvierteln ungewöhnlich leer.
Im Bereich um den Päsidentenpalast sind kaum Passanten unterwegs. Höflich, aber streng wird der einsame touristische Wanderer von jungen Soldaten dazu angehalten, bestimmte gedachte Linien nicht zu überschreiten und insbesondere keine unpassenden Fotos zu machen. Etwa keines von der vergoldeten Statue des Türkmenbaschi am Rande eines Bürogebäudes – und auch keines von Statue der Justitia (ohne Augenbinde).
Das Hauptdenkmal für Niyasow am sogenannten Neutralitätsplatz darf allerdings fotografiert werden. Es befindet sich in etwa 60 Meter Höhe auf einer Konstruktion, die an eine Rakete oder einen Fernsehturm denken lässt, aber in Wahrheit an den traditonellen Dreifuß, das alte Kochgerät der Turkmenen, erinnern soll. An der Spitze des seltsamen Turmes dreht sich der vergoldete Turkmenbaschi in 24 Stunden einmal um die eigene Achse.
Seltsames Land, seltsame Stadt. Die ungeheuerliche Konzentration der Bauaktivität auf die Repräsentationsbedürfnisse eines autokratischen Regimes, das Unsummen für die Hauptstadt ausgibt, diese mit prächtigsten Museen, Parkanlagen, Denkmälern und Brunnen schmückt – während auf dem flachen Land offensichtlich eine ökologische Katastrophe größten Ausmaßes im Gange ist. Wie kommt eine solche Konstellation zustande, wie kann sie, auch nach dem unerwarteten Tod des "Großen Führers" (im Dezember 2006) weiter bestehen?
Liest man nach, was die – eher spärliche – Reiseliteratur über Turkmenistan zu sagen hat, und ergänzt man dies durch die Lektüre der im Hotel auf Englisch erhältlichen "Bibel" des Regimes ("Rukhnama"), sieht man ein wenig klarer: Turkmenistan gehört, wie das etwa gleich große Usbekistan, zu jenen Ländern, deren Regime heute noch als postsowjetisch gelten können.
Sowohl der Turkmene Saparmurad Niyasow als auch der Usbeke Islam Karimow waren zunächst Parteivorsitzende und "starke Männer" ihrer jeweiligen Sowjetrepubliken, bevor sie sich, nach dem gescheiterten Putsch von 1991 und dem Ende der Sowjetunion, zu Präsidenten unabhängiger Länder machten, den Nationalismus auf ihre Fahnen schrieben und ihre KPs in "Demokratische Partei" umbenannten.
Obwohl die beiden Staaten nicht eben befreundet sind – Konfliktpunkte sind unter anderem die Wassernutzungsrechte und das Erdgas –, haben sie viel Gemeinsames: So zum Beispiel, dass ihre Mehrheitsbevölkerung eine Turksprache spricht (wobei das Usbekische stärker mongolische Einflüsse zeigt). Oder ihre geopolitisch heikle Lage zwischen der russischen Einflussphäre und der islamischen Welt. Oder das Interesse seitens internationaler Energiefirmen und den sanften Druck, amerikanische Militärpräsenz zuzulassen. (Ein US-Luftwaffenstützpunkt in Usbekistan wurde 2005 kurzfristig nach Turkmenistan verlegt). In einer solchen Lage ungesicherter nationaler Identität liegt es nahe, auf die Propagierung großer Führerfiguren zu setzen – seien es nun historische oder aktuelle.
In Turkmenistan wird auch nach dem Tod Niyasows noch immer die "Vergöttlichung" des Gründervaters der neuen Republik gepflegt. Dass dabei der Kult um Kemal Atatürk ebenso zum Vorbild genommen wird wie jener um Josef Stalin, erscheint evident. Niyasows persönliche, von früher Tragik überschattete Biografie gibt zusätzliche Aufschlüsse.
Folgt man "Rukhnama", starb Niyasows Vater im "großen vaterländischen Krieg" gegen Deutschland, die Mutter und die zwei Brüder kamen am 6. Oktober 1948 beim großen Erdbeben von Aschgabad ums Leben, das damals fast die gesamte Stadt vernichtete. Niyasow wuchs in einem sowjetischen Waisenhaus auf, studierte in Leningrad, wurde Ingenieur und machte Parteikarriere.
Dass angesichts eines solchen Schicksals der tief traumatisierte Mann, als er in die Macht kam, der Statue der Gerechtigkeit vor dem Justizministerium die Züge seiner Mutter geben lässt und sogar den Monat April zu ihren Ehren in Gurbansultan umbenennt, scheint in gewissem Sinn nachvollziehbar – ebenso wie sein offenbarer Wunsch, das in seiner Kindheit total zerstörte Aschgabad in unerhörten Glanz neu zu errichten. Die Finanzierbarkeit dieses gigantomanischen Vorhabens ist durch den noch kaum ausgeschöpften Rohstoffreichtum des Landes gesichert (Turkmenistan verfügt über die drittgrößten Erdgasreserven der Welt).
Selbstvergöttlichung
Wie sehr der Personenkult des Gründervaters längerfristig tragfähig bleiben wird, bleibt abzuwarten. Im Unterschied zu Kemal Atatürk ist Niyasow kein Kriegsheld; das ehrt ihn einerseits, beeinträchtigt aber andererseits seinen historischen Glanz. Der Turkmenbaschi hat die Selbstvergöttlichung zu Lebzeiten auch eindeutig übertrieben: nicht nur hat er seine Mutter mit einem Monatsnamen geehrt, er hat auch den Jänner nach sich selbst und den September nach seinem Werk "Rukhama" umbenennen lassen.
Bei seinem im Februar 2007 gekürten, ihm ähnlich sehenden, Nachfolger, dem Zahnarzt Gurbanguly Berdimuhammedow, soll es sich zwar gerüchteweise um Niyasows unehelichen Sohn handeln, doch der neue Präsident hat bereits mit der Liberalisierung und dem Abbau des Personenkults begonnen.
Ganz egal, wie sich die politische Situation entwickelt, über kurz oder lang werden die goldglänzenden Niyasow-Statuen vermutlich verschwinden. Bleiben werden allerdings die von der französischen Firma Bouygues mit großer Professionalität errichteten Prachtbauten, und auch die Gärten und Brunnen, auf denen der fünfköpfige (!) turkmenische Adler thront.
Usbekistan, der ungeliebte Bruder im Osten, hat eine andere Methode gewählt, die nationale Identität der jungen Republik zu bekräftigen und sich einen historischen Helden als Leitfigur gewählt. In der Hauptstadt Taschkent, einer boomenden, aber sympathisch grünen Millionenmetropole, steht an jener zentralen Stelle, wo einst Stalin, später Karl Marx und Friedrich Engels auf das Volk herniedersahen, ein Reiterdenkmal des Eroberers Tamerlan, der hier Amir Temur genannt wird. Dieser wurde im heutigen Usbekistan geboren und hat sein kurzlebiges Großreich am Beginn des 15. Jahrhunderts von Samarkand aus regiert. Ähnliche, ganz im Geiste des 19. Jahrhunderts errichtete, Denkmäler für Amir Timur sind überall im Lande zu finden. Dass Timur, streng genommen, gar kein Usbeke war, und dass er für seine entsetzliche Grausamkeit legendär wurde, bekümmert hier offenbar niemanden. Die geläufigsten Geldscheine tragen sein Bild und das seines prunkvollen, neu errrichteten Museums (auch hier wieder: Säulen, Glas, und Kristalluster).
Man mag Islam Karimows Entscheidung, den eigenen Personenkult zurückzunehmen und den Timurkult zu forcieren, für politisch weiser halten, als die viel belächelten Selbstinszenierungen des Turkmenbaschi. Wer Aschgabad gesehen hat, wird aber vielleicht doch ein Quentchen Sympathie für Niyasows megalomane Bauphantasien haben. Immerhin hat Niyasow mehr Gärten, Wohnhäuser, Theater und Museen errichten lassen als Kasernen und Militärflugplätze. Und er hat zwar mit harter Hand regiert, aber wenigstens nicht hunderttausende junge Leben für kriegerische Abenteuer geopfert.