Werte Pressevertreter und Pressevertreterinnen,
Als İHD [Menschenrechtsverein], Zweigstelle Diyarbakır, haben wir bis jetzt Hunderte von Anträgen in Zusammenhang mit Massengräbern erhalten und haben auf unser Betreiben hin erreicht, dass ein Teil dieser Massengräber geöffnet wurde. Diejenigen, deren sterbliche Überreste sich in diesen Massengräbern befanden, sind die Kinder der Mütter, deren Herz voller Gram ist und deren Augen voller Tränen sind, und der Väter, die noch nicht einmal ihren Schmerz voll ausleben konnten und deren Seele auch infolgedessen tief verwundet ist. Zu vergessen, dass auch diejenigen, deren Leichen irgendwo in den Bergen verscharrt bzw. kollektiv einfach auf einer Müllhalde des Militärs vergraben wurden, Bürger dieses Landes waren, würde bedeuten, alles erdenkliche Unrecht, das ihnen angetan worden ist, noch im Nachhinein zu billigen.
Angesichts dessen, dass nun mittlerweile in der Region Dutzende von Massengräbern aufgedeckt worden sind und bekannt ist, von wem alle diese Massaker verübt wurden, finden wir das Schweigen der Regierung zu diesen Vorfällen ebenso wie die diesbezügliche Indifferenz der Justiz umso beunruhigender. Will man nun, da eigentlich die Aufdeckung und öffentliche Aufarbeitung der Massengräber anstünde, seitens der dafür zuständigen, verantwortlichen und dienstlich befassten Personen und Institutionen etwa erreichen, dass die Körper in den Massengräbern einfach unter der Erde verrotten und sie so dem Vergessen anheimgeben? Man sollte sich jedoch darüber im Klaren sein, dass eine derartige Haltung nicht nur besagte Körper unter der Erde verrotten lässt, sondern zugleich auch das Recht, die Justiz, die Gerechtigkeit, das Gewissen, die Moral und letztlich die Menschlichkeit per se über der Erde verrotten ließe.
Die Türkei muss sich nunmehr der Existenz der in der Region existierenden Massengräber stellen, und die zuständigen Stellen müssen bezüglich der Öffnung dieser Massengräber unverzüglich aktiv werden. Dies ist allerdings nicht damit getan, dass man vereinzelt ein paar gutwillige Staatsanwälte mit dieser Angelegenheit betraut. Erforderlich wäre vielmehr der ernsthafte politische Wille, die Massengräber öffnen zu lassen und in diesem Zusammenhang alle zur Verfügung stehenden Daten sowohl von Seiten der militärisch Zuständigen als auch der zivilen Stellen der Öffentlichkeit und darüber hinaus auch der Staatsanwaltschaft zugänglich zu machen. Um die Menschen, deren sterbliche Überreste sich in den zu öffnenden Massengräbern befinden, verlässlich identifizieren zu können, müsste mit der Maßgabe einer Nutzung ausschließlich für diesen Zweck eine DNA-Datenbank eingerichtet werden; diese Daten müssten dann mit Gewebeproben, die den Angehörigen aller Vermissten zu entnehmen wären, in fundierter Form abgeglichen werden. Anders ist ein seriöses Ergebnis nicht zu erzielen.
Sie werden in dem Bericht über die Massengräber, den wir Ihnen heute zugänglich machen, bestürzende Daten und Ergebnisse finden. Wir sind der Überzeugung, dass allein schon die große Zahl der Massengräber, die bei der Erstellung dieses Berichtes auch bei uns Entsetzen hervorrief, für sich spricht. Nun ist die Zeit gekommen zu handeln! Nun ist die Zeit gekommen, den tiefen Schmerz der Hinterbliebenen, und sei es auch nur um ein Quäntchen, zu lindern! Nun ist es an der Zeit, diese Massengräber einer öffentlichen Aufarbeitung zuzuführen! Damit dies geschehen kann, rufen wir in allererster Linie die politisch und von Amts wegen Zuständigen und daneben alle dem Thema gegenüber sensiblen Kreise, die Intellektuellen, die Presseorganisationen und übrigen Medien und die Organisationen der Zivilgesellschaft dazu auf, sich der Realität der Massengräber zu stellen und ihre bisherige Haltung des Schweigens zu diesem Thema aufzugeben.