Flamme aus dem Wasser
Griechenlands Inseln schwimmen auf Öl. Doch die Türken wollen auch was davon haben.
Premier Spyros Markezinis warnte --
im Oktober 1973 -- vor einem griechischen Gaddafi, der freilich den Nachteil hätte. "ohne Ölvorkommen zu sein". Einen Monat später hatte Griechenland einen Gaddafi, vier Monate später auch das Öl.
Am 14. Februar trat Markezinis-Nachfolger Adamantios Androutsopoulos selbst im Fernsehen auf, um dem Volk eine "historische Station im Wirtschaftsleben des Landes" zu verkünden:
Bohrungen und Tests hätten den Nachweis für "bedeutende Vorkommen von Erdöl guter Qualität und großer Mengen von Naturgas" in Griechenland erbracht.
"Im Meeresgrund von Thassos haben wir plötzlich Aladins Wunderlampe entdeckt", freute sich die Zeitung "Akropolis". Und das Wirtschaftsblatt "Express" jubelte: "Mit der Flamme, die dem Meer um Thassos entsprang. wurde alles rosig. Jetzt können wir sagen, daß wir Ölproduzenten geworden sind."
Die Freude der Nation galt der Versuchsbohrung "Prinos I" der amerikanischen Firma Oceanic Exploration Co. Sie war Anfang Januar in etwa 2500 Meter Tiefe unter dem Meeresgrund auf Öl- und Gasvorkommen gestoßen.
Das Öl, so versicherte Oceanic-Manager Brandley, sei möglicherweise ebenso gut wie die bisherigen Spitzenqualitäten aus Libyen; vor allem aber:
"In der Nordägäis befinden sich noch mindestens sechs weitere Ölbecken", aus denen Griechenland seinen Bedarf für 37 Jahre decken könne. Und tatsächlich hält das amerikanische Fach-Magazin "Oil and Gas Journal" den Thassos-Fund für "die Bohrung des Jahres". Die gesamten Ölvorkommen in der Ägäis seien vermutlich "bedeutender als die von Alaska und Malaysia".
Daß ihr Land über Erdöl verfügt, wußten schon die alten Griechen. So berichtete Herodot über "Teer, der wie Asphalt riecht und besser ist als der persische". Und auch die Tatsache, daß es nun ausgerechnet bei Thassos gefunden wurde kam nicht so überraschend.
Schon 1929 hatte ein griechischer Wissenschaftler die These vertreten, Thassos liege möglicherweise über einer riesigen Ölblase, die vom rumänischen Ploiesti bis nach Libyen reiche.
1942 hatten deutsche Wissenschaftler erste Pläne für Probe-Bohrungen bei Thassos aufgestellt. Seit 1968 übertrugen die Griechen bisher 15 amerikanischen Firmen das Recht, auf einer Gesamtfläche von 60 000 Quadratkilometern nach Erdöl zu bohren.
Mit dem Öl, auf dem sie schwimmen, werden die Hellenen allerdings vorerst kaum glücklich werden. Und schon gar nicht können Griechenlands Autofahrer -- denen gegenwärtig mit etwa 1,50 Mark pro Liter Super der zweithöchste Benzinpreis in Europa abverlangt wird -- in absehbarer Zeit auf billigeren Treibstoff hoffen.
Wohl hat sich der Staat im Explorationsvertrag mit Oceanic Royalties in Höhe von 15 Prozent der Produktion und einen Anteil von 50 Prozent am Reingewinn der Förder- und Betriebsgesellschaft gesichert. Weitere Mengen des geförderten Öls aber müßten die Griechen laut Vertrag bei Oceanic zum selben Preis kaufen, den sie für ihre Rohöl-Importe aus arabischen Ländern bezahlen.
Der "Kolonialvertrag" (so die regierungsnahe "Estia") garantiert den Amerikanern das Recht zur Ausbeutung der Unterwasser-Schätze für einen Zeitraum von 26 Jahren; eine Verlängerung um zehn Jahre ist ausdrücklich vorgesehen -- mithin so lange, wie der Vorrat wahrscheinlich reicht.
Schon macht sich die Oceanic -- deren Aktienkurs seit Mitte Februar von 13 auf 33 Dollar emporschnellte -- ernsthafte Hoffnungen, in den exklusiven Klub der sieben größten Mineralölgesellschaften der Welt aufzusteigen. Die deutsche Wintershall AG sicherte sich rechtzeitig einen 12,5 prozentigen Anteil an der Konzession.
Schon meldete sich aber auch ein anderer Öl-Interessent: Griechenlands Nachbar Türkei.
Noch bevor in Athen der Jubel über den Thassos-Fund laut wurde, gab die Regierung in Ankara offiziell bekannt, sie habe der staatlichen türkischen Mineralölgesellschaft das Recht zur Ausbeutung möglicher Ölvorkommen an 27 Stellen der Ägäis übertragen -- vor den Küsten von sieben griechischen Ägäis-Inseln (siehe Graphik). Zugleich veröffentlichten die Türken eine Karte, die -- so der griechische Außenminister Tetenes -- "die Ägäis in einer Weise teilt, welche die Souveränitätsrechte Griechenlands nicht berücksichtigt".
In einer Protestnote an die Türken verwies die griechische Regierung auf die Genfer Seerechtskonvention aus dem Jahre 1958, nach der zum Festlandsockel (Schelf) eines Landes der gesamte der Küste vorgelagerte Meeresgrund bis zu einer Tiefe von 200 Metern rechnet.
Athen beansprucht diesen Festlandsockel auch vor sämtlichen griechischen Ägäis-Inseln, mithin für das gesamte Ägäische Meer. Nach türkischer Auffassung aber stellt die Ägäis einen "Sonderfall" dar, da einige der 354 mittelgroßen und kleineren griechischen Inseln nur wenige Kilometer vor der türkischen Küste liegen, Chios etwa nicht einmal zehn Kilometer, aber 200 Kilometer von Athen entfernt. Und zwischen diesen Inseln und der türkischen Küste ist das Meer keine 200 Meter tief.
Die Türken wollen deshalb unter allen Umständen nun auch ihrerseits in der Ägäis auf Ölsuche gehen -- in einem der türkischen Küste vorgelagerten Gebiet von über 10 000 Quadratkilometer Größe. Gegen eine mögliche griechische Intervention würden die "unerläßlichen vorbeugenden Sicherheitsmaßnahmen" getroffen.
Der Zank ums schwarze Gold könnte so fürchten Diplomaten in Athen wie in Ankara, die beiden zerstrittenen Nachbarn und Nato-Partner leicht wieder -- wie die Zypern-Krise vom November 1967 -- an den Rand eines Krieges führen.
In Saloniki warnte die Zeitung "Ellinikos Vorras": "Die Türken spielen mit dem Feuer. Keine griechische Regierung kann gestatten, daß sie zwischen den griechischen Inseln eine Bohrinsel installieren."
DER SPIEGEL 12/1974 - Flamme aus dem Wasser
Hippokrates