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Pegida-Anhänger in Dresden: Fahne von Josef Wirmer
Oft wehen in Dresden die Kreuz-Fahnen in Schwarz-Rot-Gold, wenn Pegida marschiert. Die Banner erinnern an das norwegische Nationalsymbol. Entworfen hat sie ein Hitler-Gegner.
Der Pegidist trägt gern Fahne: Schwarz-Rot-Gold dominiert Montagabends die Dresdner Innenstadt. Doch neben dem offiziellen Banner der Bundesrepublik Deutschland, den schwarz-rot-goldenen Blockstreifen, tauchen auch immer wieder Banner auf, die an die norwegische Fahne erinnern. Allerdings nur in der Form, nicht in den Farben. Das liegende Philippuskreuz der selbsternannten Patrioten ist schwarz, gold umrandet auf rotem Grund. Woher stammt es? Entworfen wurde das Kreuz in Schwarz-Rot-Gold von Josef Wirmer. Der katholische Jurist und Zentrumspolitiker gehörte zu dem engeren Kreis der Unterstützer des Attentats auf Adolf Hitler durch Claus Graf Schenk von Stauffenberg am 20. Juli 1944. Wirmer sollte im Falle eines Gelingens des Attentats Reichsjustizminister werden.
REUTERS
Zum Vergleich: Die norwegische Flagge
1944 entwickelte er die Fahne mit den deutschen Nationalfarben. Er wählte eine andere Form, denn die drei waagerechten Blockstreifen standen für viele Deutsche für die gescheiterte Weimarer Republik. Das Kreuz wählte Wirmer, um seiner religiösen Überzeugung Ausdruck zu verleihen. Die Fahne sollte das neue vorläufige Nationalsymbol werden - ein Zeichen eines erhofften Neustarts. Doch nach dem missglückten Stauffenberg-Attentat wurde Wirmer am 8. September 1944 zum Tode verurteilt. Er wurde nur zwei Stunden nach der Urteilsverkündung hingerichtet. Wirmers Entwurf wurde noch einmal von seinem jüngeren Bruder Ernst nach dem Zweiten Weltkrieg aufgegriffen. Die neu entstandene Partei CDU wollte eine Flagge für Westdeutschland einführen - als Abgrenzung zu dem Schwarz-Rot-Gold, das die SED in der sowjetischen Besatzungszone - damals noch ohne Staatswappen - als Fahne verwendete. Doch ein auf den Ideen der Wirmer-Brüder basierender Entwurf konnte sich im Grundsatzausschuss des Parlamentarischen Rates am 3. November 1948 nicht durchsetzen.
imago/ ZUMA/ Keystone
Widerstandskämpfer Josef Wirmer: Entwickler der Flagge
Bei Amazon gibt es die ursprüngliche Wirmer-Fahne inzwischen in verschiedenen Varianten als "Flagge Deutscher Widerstand 20. Juli" zu kaufen. Sie wird immer wieder als Widerstandssymbol instrumentalisiert. So tauchte sie bei einer Kundgebung der rechtsextremistischen Partei Pro NRW auf, auch die rechtsextremen Reichsbürger des "Deutschen Kollegs" verwenden sie. Zu deren Gründungsmitgliedern gehört der Holocaust-Leugner und Neonazi Horst Mahler. Auf dem islamfeindlichen Blog Politically Incorrect empfahl ein Autor die Fahne während der EM 2012 als "kultige" Alternative zur Deutschlandflagge. Im Gegensatz zu der offiziellen Fahne sah der Verfasser in der Wirmer-Variante ein Symbol "für die Selbstbestimmung der Deutschen". Was darunter zu verstehen ist, zeigt sich bei Pegida: Seit Monaten wettern die Fahnenschwenker gegen Medien ("Lügenpresse"), Politiker ("Volksverräter"), die Islamisierung von Kantinen und Friedhöfen und gegen Flüchtlinge, die "über das gelobte Land herfallen" (Zitat Pegida-Chef Lutz Bachmann) (Lesen Sie dazu einen Bericht aus Dresden). Mit den Werten des Katholiken Josef Wirmer hat dies nichts mehr zu tun.
[/h]In den vergangenen Wochen kam es in Sachsen statistisch gesehen zu mindestens einem gewalttätigen Übergriff von Neonazis pro Tag. Die Gewalt wird nicht zuletzt durch die Anhänger von AfD und Pegida befeuert.
VON MICHAEL BERGMANN
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Einem Lagebild des Bundeskriminalamtes (BKA) zufolge stieg die Zahl der Übergriffe auf Asylunterkünfte in der ersten Jahreshälfte im Vergleich zu den Vorjahren sprunghaft an. Neben Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein ist es vor allem das Bundesland Sachsen, dass dabei heraussticht. »Aggressive Ansammlungen vor Unterkünften, Brandanschläge, Böllerwürfe und Attacken auf Geflüchtete – die Zahl rassistischer Angriffe hat seit Herbst letzten Jahres massiv zugenommen«, bestätigt Andrea Hübler von der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt der RAA Sachsen e. V. der Jungle World. In den vergangenen Wochen kam es in Sachsen statistisch gesehen zu mindestens einem gewalttätigen Übergriff von Neonazis pro Tag.
Insbesondere im Raum Dresden eskalierte die Situation, seit vor einigen Wochen in Freital ein wütender Mob die Asylunterkunft belagerte. So kam es in der letzten Juli-Woche allein in der Stadt Dresden zu mindestens vier Übergriffen auf Unterkünfte von Asylsuchenden. Eingeworfene Fensterscheiben und zwei Buttersäure-Attacken wurden registriert. Weitere Angriffe konnten teils von der Polizei verhindert werden. Zudem wurden Pro-Asyl-Demonstranten von Neonazis angegriffen und verletzt. Davor hatte es bereits Anschläge auf die Büro- und Vereinsräume von zivilgesellschaftlichen und linksalternativen Vereinen in Pirna, Löbau und Limbach-Oberfrohna gegeben. Auch Menschen, die sich gegen Rassismus engagieren, sind in der aufgeladenen Stimmung in Sachsen Bedrohungen ausgesetzt. Mit dem Anschlag auf das Auto eines Kommunalpolitikers der Partei Die Linke in Freital kam es bereits zum zweiten rechten Sprengstoffattentat in Sachsen in diesem Jahr. Am 13. Februar war in einer Flüchtlingsunterkunft in Freiberg eine selbstgebastaltete Bombe explodiert und hatte sieben Menschen leicht verletzt. Tatverdächtige für die beiden Anschläge konnten von der sächsischen Polizei bislang noch nicht ermittelt werden. Noch bevor die Feuer gelöscht und die Verletzten versorgt waren, distanzierte sich die AfD-Fraktion im sächsischen Landtag auf ihrer Homepage eilig von den Anschlägen. »Wir verurteilen ausdrücklich jede Art von Gewalt gegen Asylbewerber und Asylbewerberheime«, heißt es da. Es gehe darum, »gemeinsam gegen politisch motivierten Terror« vorzugehen, »egal von welcher Seite er verübt wird«. Diese Aussagen erscheinen geradezu schizophren, wenn man die Veröffentlichungen der Rechtspopulisten zum Thema Asyl damit vergleicht. So schüren AfD-Politiker regelmäßig die Angst, dass sich islamistische Terroristen gezielt unter die Asylsuchenden mischten, um in Deutschland Anschläge zu verüben. Von Wirtschaftseinwanderern, die unkontrolliert ins Land strömen, und von Gewalt und Belästigungen von Anwohnern durch Asylbewerber ist in AfD-Pressemitteilungen die Rede. Kommunalpolitiker der AfD finden sich oft in regionalen »Nein zum Heim«-Kampagnen wieder. Und so ist die Distanzierung der AfD von den Gewalttaten doch nicht schizophren, sondern konsequent, weil davon auszugehen ist, dass die Strategen der Partei sich durchaus dessen bewusst sind, dass sie den gewaltvollen Hass auf Asylsuchende begünstigen.
»Mit Pegida ist eine rassistische Stimmung aufgebrochen, die zwar immer vorhanden war, sich aber weitaus weniger offen artikuliert hat«, weiß Andrea Hübler zu berichten. Auf der Straße bleibt Pegida ein rein sächsisches Phänomen. Selbst in den Sommerferien konnten in Dresden vierstellige Teilnehmerzahlen bei den Pegida-Demonstrationen gezählt werden. »Pegida ist aber auch ein Öffentlichkeitsphänomen, das die Haltungen und Stimmungen verstärkt, aus denen es entstanden ist«, sagt Daniel Krüger vom Mobilen Beratungsteam aus Brandenburg der Jungle World und ergänzt: »Da das Internet nicht an der sächsischen Landesgrenze stoppt, hat diese Pegida-Öffentlichkeit eine überregionale Wirkung.« Auf den Facebook-Seiten von Pegida werden täglich Berichte und Artikel geteilt, mit denen Hetze gegen Asylsuchende betrieben wird. Neben dem Thema GEZ-Gebühren geht es ausschließlich um sogenante »kriminelle Asylanten« und die angebliche »Ausplünderung des deutschen Sozialsystems« durch Ausländer. »Wenn ich in den sozialen Netzwerken sehe, wie in den Kommentaren von Neonazis und ganz normalen Ressentimentträgern Dummheit, Ignoranz und Bosheit mit gnadenloser Egomanie vorgetragen werden, lese ich dort die Anfeuerungsrufe zur Gewalt«, meint Krüger. Das BKA stellt in seinem Lagebild fest, dass weniger als ein Drittel der ermittelten Tatverdächtigen von Übergriffen auf Asylunterkünfte in diesem Jahr bereits in der Vergangenheit durch ähnliche Delikte polizeilich aufgefallen war. Anscheinend werden durch Pegida und AfD auch neue Kreise rassistischer Gewalttäter erschlossen und zu Taten motiviert. Um die Sicherheit der Asylunterkünfte zu gewährleisten, setzen die politisch Verantwortlichen in Sachsen zunehmend auf private Sicherheitsdienste. Wes Geistes Kind diese mitunter sind, zeigte unter Anderem ein Facebook-Eintrag von Mario E., dem Leiter einer Bautzener Sicherheitsfirma in der vorigen Woche: »Meiner Meinung nach brennen noch viel zu wenige Asylunterkünfte. Offensichtlich ist das der einzige Weg, die Politik wachzurütteln und zu zeigen, was Demokratie bedeutet – nämlich eine Mitbestimmung der Bürger im eigenen Land!« Wie in der Propaganda von Pegida und AfD werden in diesem Beitrag zum Thema Asyl der Rassismus und die Formel »Wir sind das Volk!« in Einklang gebracht.