Ares
Gesperrt
Seit dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" tobt in Frankreichs Fußball eine Islamdebatte. Nicht jeder Spieler mochte sich vom schrecklichen Terror distanzieren. Auch im Nationalteam gibt es große Probleme.
Nach den Terroranschlägen auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" in Paris ging eine beispiellose Solidaritätswelle um die Welt. Fußballspieler trugen Trikots mit der Aufschrift "Nous sommes tous Charlies". Doch einige französische Kicker wollten sich der Bewegung nicht anschließen, nicht einmal alle Nationalspieler. Frankreichs Fußball und der Islam: Die Integrationsdebatte wird auch in den Stadien geführt – und die Ergebnisse sind zum Teil erschreckend.
Der Torhüter des FC Toulouse, Ali Ahamada, weigerte sich, eine schwarze Binde zu tragen. Drei Spieler des FC Valenciennes strichen den Slogan "Je suis Charlie" kurzerhand von ihren Trikots. Dabei handelt es sich um keine Petitesse. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf das Verhältnis zwischen Religion und Fußball in Frankreich. "Sind sie nicht alle Charlie?", fragt die Sportzeitschrift "L'Equipe". Der Fall wächst zu einer veritablen Affäre, der Präsident des FC Toulouse entschuldigte sich gar öffentlich.
80 Prozent der französischen Fußballspieler, so schreibt der Journalist Daniel Riolo in seinem Buch "Racaille Football Club", kommen aus der Banlieue. Franck Ribéry stammt aus einem Armenviertel in Boulogne-sur-Mer, Karim Benzema wuchs in einer Trabantensiedlung vor den Toren Lyons auf, und Frankreichs WM-Held Zinédine Zidane stammt aus dem Armenviertel La Citadelle in Marseille. Der WM-Titel im eigenen Land 1998 wurde als Erfolg der Integration verklärt, das Modell "black-blanc-beur" (black für Schwarzafrikaner, blanc für Franzosen, beur für Nordafrikaner) sollte Schule machen. Doch das Konzept erwies sich schnell als Illusion.
2005 brannten die Vorstädte, das Land war in Aufruhr. 2010 kam es beim Freundschaftsspiel zwischen Frankreich und Algerien im Stade de France zum Eklat, weil algerische Fans bei der Marseillaise pfiffen. Frankreich spielte zu Hause auswärts, kommentierte Autor Riolo. Wenig später meuterte das Team im Trainingslager bei der WM in Südafrika. Eine Posse jagte die nächste.
"Wenn ich treffe, bin ich Franzose, wenn nicht, bin ich Araber"
Die Equipe Tricolore diente als Projektionsfläche für nationale Identität, und nur so sind die Debatten zu verstehen. Wenn Karim Benzema die Nationalhymne nicht mitsingt, ist das in Frankreich ein Politikum. "Wenn ich treffe, bin ich Franzose, wenn ich nicht treffe, bin ich Araber", sagte Benzema. Der Stürmer hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich im Herzen als Araber fühlt.
In der französischen Nationalmannschaft zeigt sich das Integrationsproblem wie unter einem Brennglas. 2008 forderte der französische Nationalspieler Eric Abidal, dass die Speisen in der Vorbereitung "halal" sein sollten – also frei von Blut, Schweinefleisch, Schweinefett und Alkohol. Der wankelmütige Nationaltrainer Raymond Domenech gab dem Druck nach und verordnete im Trainingscamp von Clairefontaine ein Halal-Menü. Die Nation grollte.
Die Fußballelite eines streng laizistischen Landes machte sich religiöse Insignien zu eigen – und dann auch noch die des Islam. In der Umkleidekabine wurden Gebetsteppiche ausgerollt. WM-Torhüter Fabien Barthez sagte: "Wenn man in die Umkleidekabine kam, glaubte man sich in einer Moschee." Der Soziologe Gilles Kepel warnte vor einer "Halalisierung" der Nationalmannschaft.
Im aktuellen Kader der Equipe Tricolore stehen vier Muslime: Karim Benzema, Paul Pogba, Moussa Sissoko und Bacary Sagna. Bei der WM 2014, die mit dem Ramadan zusammenfiel, fragten besorgte Beobachter, ob die fastenden Fußballer überhaupt noch leistungsfähig seien. Im Sport stellte sich plötzlich die brisante Frage, die in der Politik mit rhetorischer Finesse beiseitegeschoben wird: Gehört der Islam zu Frankreich?
Anelkas umgekehrter Hitlergruß
Fußballer sind Vorbilder. Und da zählt jede Symbolik. Bilal Yusuf Mohammed alias Franck Ribéry, der 2006 zum Islam konvertierte und sich zwischenzeitig mit einem wallenden Bart auch optisch seinen Glaubensbrüdern anpasste, gab seinem Sohn den Namen Saif al-Islam: "Schwert des Islam". 2014 irritierte Nicolas Anelka mit der Quenelle, einem umgekehrten Hitlergruß – eine Geste, die auch der Komiker Dieudonné einsetzt. Dieudonné, der wegen Verherrlichung des Terrorismus angeklagt ist, postete nach den Terroranschlägen auf Facebook: "Ich fühle mich wie Charlie Coulibaly."
Eine Provokation. Diese heimliche Sympathie mit den Attentätern fand in den Vorstädten Widerhall. Die Banlieue war nicht Charlie. Ribéry, Nasri und Benzema blieben seltsam stumm. Den Soziologen Stéphane Beaud überrascht das nicht. "Fußballer sind soziale Wesen wie alle anderen auch. Diejenigen, die nicht Charlie sein wollen, haben wahrscheinlich starke religiöse Überzeugungen: Sie erkennen sich nicht in der redaktionellen Ausrichtung von, Charlie Hebdo' wieder."
Das muss nicht heißen, dass sie die Terroranschläge gutheißen. Doch Frankreichs muslimische Kicker müssen sich fragen, ob sie sich vom radikalen Islam distanzieren wollen.
"Je suis Charlie": Wenn die Fußballkabine zur Moschee wird - NachrichtenSport - Fußball - DIE WELT
Nach den Terroranschlägen auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" in Paris ging eine beispiellose Solidaritätswelle um die Welt. Fußballspieler trugen Trikots mit der Aufschrift "Nous sommes tous Charlies". Doch einige französische Kicker wollten sich der Bewegung nicht anschließen, nicht einmal alle Nationalspieler. Frankreichs Fußball und der Islam: Die Integrationsdebatte wird auch in den Stadien geführt – und die Ergebnisse sind zum Teil erschreckend.
Der Torhüter des FC Toulouse, Ali Ahamada, weigerte sich, eine schwarze Binde zu tragen. Drei Spieler des FC Valenciennes strichen den Slogan "Je suis Charlie" kurzerhand von ihren Trikots. Dabei handelt es sich um keine Petitesse. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf das Verhältnis zwischen Religion und Fußball in Frankreich. "Sind sie nicht alle Charlie?", fragt die Sportzeitschrift "L'Equipe". Der Fall wächst zu einer veritablen Affäre, der Präsident des FC Toulouse entschuldigte sich gar öffentlich.
80 Prozent der französischen Fußballspieler, so schreibt der Journalist Daniel Riolo in seinem Buch "Racaille Football Club", kommen aus der Banlieue. Franck Ribéry stammt aus einem Armenviertel in Boulogne-sur-Mer, Karim Benzema wuchs in einer Trabantensiedlung vor den Toren Lyons auf, und Frankreichs WM-Held Zinédine Zidane stammt aus dem Armenviertel La Citadelle in Marseille. Der WM-Titel im eigenen Land 1998 wurde als Erfolg der Integration verklärt, das Modell "black-blanc-beur" (black für Schwarzafrikaner, blanc für Franzosen, beur für Nordafrikaner) sollte Schule machen. Doch das Konzept erwies sich schnell als Illusion.
2005 brannten die Vorstädte, das Land war in Aufruhr. 2010 kam es beim Freundschaftsspiel zwischen Frankreich und Algerien im Stade de France zum Eklat, weil algerische Fans bei der Marseillaise pfiffen. Frankreich spielte zu Hause auswärts, kommentierte Autor Riolo. Wenig später meuterte das Team im Trainingslager bei der WM in Südafrika. Eine Posse jagte die nächste.
"Wenn ich treffe, bin ich Franzose, wenn nicht, bin ich Araber"
Die Equipe Tricolore diente als Projektionsfläche für nationale Identität, und nur so sind die Debatten zu verstehen. Wenn Karim Benzema die Nationalhymne nicht mitsingt, ist das in Frankreich ein Politikum. "Wenn ich treffe, bin ich Franzose, wenn ich nicht treffe, bin ich Araber", sagte Benzema. Der Stürmer hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich im Herzen als Araber fühlt.
In der französischen Nationalmannschaft zeigt sich das Integrationsproblem wie unter einem Brennglas. 2008 forderte der französische Nationalspieler Eric Abidal, dass die Speisen in der Vorbereitung "halal" sein sollten – also frei von Blut, Schweinefleisch, Schweinefett und Alkohol. Der wankelmütige Nationaltrainer Raymond Domenech gab dem Druck nach und verordnete im Trainingscamp von Clairefontaine ein Halal-Menü. Die Nation grollte.
Die Fußballelite eines streng laizistischen Landes machte sich religiöse Insignien zu eigen – und dann auch noch die des Islam. In der Umkleidekabine wurden Gebetsteppiche ausgerollt. WM-Torhüter Fabien Barthez sagte: "Wenn man in die Umkleidekabine kam, glaubte man sich in einer Moschee." Der Soziologe Gilles Kepel warnte vor einer "Halalisierung" der Nationalmannschaft.
Im aktuellen Kader der Equipe Tricolore stehen vier Muslime: Karim Benzema, Paul Pogba, Moussa Sissoko und Bacary Sagna. Bei der WM 2014, die mit dem Ramadan zusammenfiel, fragten besorgte Beobachter, ob die fastenden Fußballer überhaupt noch leistungsfähig seien. Im Sport stellte sich plötzlich die brisante Frage, die in der Politik mit rhetorischer Finesse beiseitegeschoben wird: Gehört der Islam zu Frankreich?
Anelkas umgekehrter Hitlergruß
Fußballer sind Vorbilder. Und da zählt jede Symbolik. Bilal Yusuf Mohammed alias Franck Ribéry, der 2006 zum Islam konvertierte und sich zwischenzeitig mit einem wallenden Bart auch optisch seinen Glaubensbrüdern anpasste, gab seinem Sohn den Namen Saif al-Islam: "Schwert des Islam". 2014 irritierte Nicolas Anelka mit der Quenelle, einem umgekehrten Hitlergruß – eine Geste, die auch der Komiker Dieudonné einsetzt. Dieudonné, der wegen Verherrlichung des Terrorismus angeklagt ist, postete nach den Terroranschlägen auf Facebook: "Ich fühle mich wie Charlie Coulibaly."
Eine Provokation. Diese heimliche Sympathie mit den Attentätern fand in den Vorstädten Widerhall. Die Banlieue war nicht Charlie. Ribéry, Nasri und Benzema blieben seltsam stumm. Den Soziologen Stéphane Beaud überrascht das nicht. "Fußballer sind soziale Wesen wie alle anderen auch. Diejenigen, die nicht Charlie sein wollen, haben wahrscheinlich starke religiöse Überzeugungen: Sie erkennen sich nicht in der redaktionellen Ausrichtung von, Charlie Hebdo' wieder."
Das muss nicht heißen, dass sie die Terroranschläge gutheißen. Doch Frankreichs muslimische Kicker müssen sich fragen, ob sie sich vom radikalen Islam distanzieren wollen.
"Je suis Charlie": Wenn die Fußballkabine zur Moschee wird - NachrichtenSport - Fußball - DIE WELT