Also, zur griechischen Außenpolitik bzgl. der Türkei: diese gründete sich in den 90ern und frühen 2000ern auf der Annahme, dass die Türkei auf dem Weg zur EU ist. Weil dieser Weg über Griechenland (und seit 2004, auch über Zypern) geht, wollte man genau die Beitritt-Verhandlungen nutzen, um aus der Türkei Kompromisse in der Ägäis- und Zypern-Frage zu erzwingen. Die Taktik war im Allgemeinen, diese Probleme so wenig wie möglich direkt mit der Türkei zu besprechen, sondern maximal "europäisieren", so dass sie in einer Art und Weise Bedingungen für die Aufnahme der Türkei werden. Wenn du die griechische bürgerliche Presse dieser Zeit gelesen hättest (Vima, Kathimerini etc: also, diese, die am meisten die Interessen der griechischen Elite ausdrücken), würdest du verstehen, was ich meine. Deswegen versuchte GR besonders unter der Simitis-Regierung den Beitritt-Prozess der Türkei zu fördern, so viel sie es machen könnte.
An sich war das keine schlechte Idee, sie hatte aber einen grundsätzlichen schwachen Punkt: dafür müsste die EU-Perspektive der Türkei wirklich stark sein, so dass GR und Zypern dazwischen springen können. Besonders aber nach der Wahl von Merkel und Sarkozy hat sich gezeigt, dass die Europäer zwar an einer strategischen Partnerschaft, an einer vollen Aufnahme aber wenig interessiert sind. Damit wurde diese Perspektive deutlich schwächer geworden, was Erdogan auch ermöglichte, seine interne Herrschaft immer autoritärer zu machen, unter dem Vorwand "sie wollen uns sowieso nicht" (nicht vergessen, dass am Anfang seiner Herrschaft hatte er seine Partei als die pro-europäische Kraft präsentiert, und tatsächlich einige Reformen in dieser Richtung gemacht). Für GR und Zypern bedeutete das, dass sie nicht mehr auf Kompromisse der Türkei im Gegenzug für Fortschritte in der EU-Verhandlungen hoffen konnten: wenn die Perspektive nicht mehr wirklich da ist, hat die Türkei auch keinen nennenswerten Druck. Deswegen mussten sie langsam ihre Taktik verändern. Ein Teil dieser veränderten Taktik ist meiner Meinung nach auch der rezente Besuch Erdogans in GR: man hat keinen Auswahl mehr, als die bilateralen Beziehungen direkt miteinander zu verhandeln, so dass GR etwas kriegen kann, auch wenn die Beziehung der Türkei zu den Europäern (also, den Deutschen) nicht gut funktioniert. Man wird auch dadurch überleben, klar aber können die Erwartungen nicht mehr dieselben sein.