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Ägypten entscheidet sich

Um einen Bürgerkrieg zu vermeiden, sollten vielleicht die Muslimbrüder mit Teilen der Opposition, z.B. El Baradei und Amr Musa, eine Koalitionsregierung bilden. Die linken Teilen der Opposition (auch die Nasseristen, nehmen wir mal an, dass sie noch was Sozialististes haben) sollten aber lieber dieser Regierung nicht beitreten. Das IWF kommt, und mit ihm auch die harten Maßnahmen. Es muss eine Opposition geben, die glaubwürdig dagegen kämpfen kann und die Proteststimmen ernten, sonst gehen diese zu Salafisten.

Das wäre ein gutes Szenario, ich glaube aber nicht, dass es dazu kommt.. Viel Hass wird in beiden Seiten gesammelt..


Egypt's Referendum Clears 1st Round, But Critics Seek Re Vote After Charges of Rigged Polls - YouTube
 
Ägyptens Jugend wird sich gegen Euch erheben!





Unser Autor hatte Ägypten, sein Land, aufgegeben.
Doch die Revolution der Jugend auf dem Tahrir-Platz weckte Hoffnung.
Nun haben die Muslimbrüder die Macht an sich gerissen
. Von Hamed Abdel-Samad

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Foto: picture alliance / landov Die ägyptische Jugend auf dem Tahrirplatz fordert Gleichberechtigung, Respekt, Freiheit und Verantwortung und demonstriert gegen die Unterwanderung der Demokratie durch die Muslimbrüder


Als junger Student in Ägypten war ich Anfang der 90er-Jahre von Euch begeistert. Ich hatte keine andere Wahl, denn ich kam vom Land in die Hauptstadt Kairo und war sehr verunsichert. Fremd im eigenen Lande, war ich auf der Suche nach Halt, Gemeinschaft und Anerkennung. Eure Vereinigung erfüllte das soziale und emotionale Vakuum in mir.

Ihr habt mir versprochen, eine radikale Veränderung in Ägypten herbeizuführen und die islamische Welt von Marokko bis Indonesien unter der Flagge des Propheten zu vereinen. Ihr habt mich in eine Gemeinschaft integriert, die mit mir als Soldat Gottes respektvoll umging. Mir gefiel, wie Ihr Euch um die Armen und Schwachen gekümmert habt.

Die Bruderschaft hat die Armut verwaltet


Überall im Lande besuchte ich als angehendes Mitglied Eure geheimen Camps, wo man Seminare und Körpertraining durchführte. In Eurem Utopia suchte ich Zuflucht vor dem Land, das mich verkannte.
Doch nach zwei Jahren sah ich weder in Ägypten noch in der Bruderschaft selbst den Hauch einer Veränderung. Ihr habt nur mit den Ängsten der Menschen gespielt. Ich sah, wie Eure karitativen Einrichtungen die Armut nicht bekämpft, sondern nur clever verwaltet haben.


Ihr habt dafür gesorgt, dass die Armen arm blieben und Euch dadurch ihre Gefolgschaft gesichert. Dem Regime von Mubarak wart Ihr zu keinem Zeitpunkt gefährlich. Es ließ Euch die Nische für Eure Organisationen.

Zweite Chance für Ägypten


Irgendwann ließ ich Euch hinter mir, denn ich glaubte nicht mehr an eine Veränderung in Ägypten. Ich floh nach Deutschland, weil ich Europäer werden wollte. Ich brach fast alle Verbindungen nach Ägypten ab und wartete nur noch darauf, dass die tickende Zeitbombe am Nil irgendwann explodieren würde. Ich wartete auf den Untergang.
16 Jahre später, kurz vor meinem 40. Geburtstag, bekam ich eine Einladung auf Facebook, um an der "ägyptischen Revolution" am 25. Januar 2011 teilzunehmen. Anfangs machte ich mich über diese Facebook-Jugend lustig, die wie in einem Video-Game Revolution spielte. Doch die Einladung weckte meine alten Träume.
Als ich meine Flugtickets online buchte, sagte ich mir: "Gib Ägypten noch eine Chance!" Ich wusste nicht, dass es Ägypten war, das mir eine zweite Chance bieten würde.

Keine Muslimbrüder auf dem Tahrirplatz


Ich war überrascht, als ich Hunderttausende junger Frauen und Männer auf den Straßen sah, die für Freiheit und Menschenwürde demonstrierten. Eine Generation, die ich nicht kannte, erhob sich, um gegen die Politik des Stillstands zu protestieren. Eine Generation, die nicht wie Ihr jahrelang in geheimen Lagern über Selbstopferung gesprochen und sich dann im entscheidenden Moment versteckt hatte.
Auf dem Weg zum Tahrirplatz sah ich nämlich Studenten, Arbeiter, Fußballfans und Bauern, aber keine Muslimbrüder. Ihr kamt erst, als Mubaraks Tage gezählt waren. Es war mir eine Ehre, mit dieser Jugend zu demonstrieren und mit ihr zwei Wochen auf dem Tahrirplatz zu verbringen.
In diesem zweiwöchigen Lager feierte ich meinen Geburtstag und die Geburt eines neuen Ägyptens. In diesen zwei Wochen haben wir geschafft, was Ihr in 83 Jahren seit der Gründung der Brüderschaft nicht geschafft habt. Auf dem Platz der Befreiung erlebte ich das Land meiner Träume: Gleichberechtigung, Respekt, Freiheit und Verantwortung.

Von Macht besessen


Ihr seid zu spät zum Tahrir gekommen. Dennoch haben wir Euch willkommen geheißen und mit Euch unser Brot und unsere Decken geteilt. Ich dachte, dass Ihr die Lehren aus der Vergangenheit gezogen habt und Euch nun auf die Seite des Volkes stellt.
Doch wenige Tage nach dem Sturz Mubaraks habt Ihr Euch mit dem Militärrat gegen die revolutionäre Jugend verbündet. Ein Referendum nach dem anderen sollte Euch die Legitimität bescheren. Den Kampf um Freiheit habt Ihr gegen eine Abstimmung über Himmel und Hölle ausgetauscht. Wer auf Eurer Seite war, war der wahre Muslim. Wer Eure Pläne infrage stellte, war ein ungläubiger Verräter.
Jedes Mal wart Ihr von Euren Mehrheiten berauscht. Wie Mubarak und seine Partei seid auch Ihr von der Macht besessen, hört nicht auf die Opposition und versucht alle Institutionen des Landes in rasantem Tempo unter Eure Kontrolle zu bringen. Die neue Verfassung des Landes habt Ihr in einer Nacht-und-Nebel-Aktion geschrieben und in einer gereizten Stimmung durchgepeitscht.

Der innere Zusammenprall der Kulturen


Herzlichen Glückwunsch, liebe Muslimbrüder. Ihr habt die Abstimmung über die neue Verfassung gewonnen und Euren Anhängern das ewige Paradies gesichert. Gegen Euch gingen zwar Hunderttausende Ägypter auf die Straße, aber Ihr sitzt fest im Sattel. Ihr habt Eure bewaffneten Milizen auf die Straße geschickt.
Ihr seid viele und fühlt Euch mächtig. Aber hier lauert die größte Gefahr für Euch. Ihr glaubt, Gott sei auf Eurer Seite und Eure Gegner seien nur die Feinde des Islam. Das entmenschlicht uns in Euren Augen und macht Gewalt gegen uns legitim.
Nun herrscht auf den Straßen Kairos der innere Zusammenprall der Kulturen, und dieser Kampf könnte Ägypten ins politische Chaos stürzen. Touristen bleiben dem Land fern, inländische und ausländische Investoren ergreifen die Flucht.
Mit der friedlichen Facebook-Jugend wolltet Ihr nicht reden, aber wie werdet Ihr mit der hungrigen, arbeitslosen Jugend umgehen, die sich irgendwann gegen Euch erheben wird? Diese Jugend kann keine Scharia essen. Sie will Arbeit und sie will Brot, und sie wird nicht friedlich demonstrieren.

Was die Scharia für Ägypten bedeutet


Ihr seid durch demokratische Wahlen an die Macht gekommen, aber Ihr nutzt die demokratischen Spielregeln nun als Trojanisches Pferd, um die Demokratie von innen zu unterwandern.
Mit Artikel II der neuen ägyptischen Verfassung soll die Scharia als Grundlage für die Gesetzgebung gelten. Dies würde bedeuten, dass die Geistlichen, wie im Iran, die Macht über die Justiz erlangen und alle Gesetze auf Scharia-Festigkeit überprüfen können. Die Einführung der Scharia würde Alkoholverbot, totale Geschlechtertrennung, Badeverbot für Frauen und Zinsverbot bedeuten.
Für ein Land, das auf Tourismus und ausländische Investitionen angewiesen ist, wäre das das Ende.

Demokratie ist etwas anderes


Liebe Muslimbrüder, begreift endlich, dass Ägypten allen Ägyptern gehört: Muslimen, Kopten, Juden, Bahais oder Atheisten. Begreift, dass Demokratie etwas anderes als die Diktatur der Mehrheit ist.
Schaut, was die Vermischung von Religion und Staat aus dem Iran, dem Sudan, Afghanistan und Somalia gemacht hat. Ägypten hat dank Euch eine schlechte Verfassung und ist in schlechter Verfassung. Behaltet Eure Macht, aber macht auch Platz für andere, die mehr von Wirtschaft und Politik verstehen.
Dies ist keine Bitte einer geschlagenen Minderheit, denn wir sind stark und haben den längeren Atem. Zeit und die Geschichte sind auf unserer Seite. Wir wollen Euch nicht aus dem Land verjagen, aber wir dulden keine Bevormundung mehr.


Muslimbrüder : Ägyptens Jugend wird sich gegen Euch erheben! - Nachrichten Debatte - Kommentare - DIE WELT
 
25. Januar 2013 23:13
Zwei Jahre nach Revolution

Tote und Verletzte bei Protesten in Ägypten


Zum zweiten Jahrestag des Revolutionsbeginns kommt es in Ägypten zum Ausbruch von Gewalt. Landesweit protestieren Tausende Menschen gegen den islamistischen Präsidenten Mursi.
Von Sonja Zekri, Kairo


Mindestens neun Tote, Hunderte Verletzte und Proteste in vielen Städten des Landes: Am zweiten Jahrestag der Revolution sind die Spannungen in Ägypten eskaliert. Die Proteste richteten sich gegen den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi und seine Muslimbrüder...

Tote und Verletzte bei Protesten in Ägypten - Politik - Süddeutsche.de



26. Januar 2013 13:05
Neue Gewalt in Ägypten

Tote und Verletzte nach Urteilsverkündung in Kairo


Im Prozess um die Fußballkrawalle im Stadion von Port Said im Februar 2012 spricht ein Gericht in Kairo das erste Urteil - und verhängt die Todesstrafe über 21 Menschen. Das Ereignis heizt die Situation im Land weiter an. In Kairo feierten die Angehörigen der Opfer die Entscheidung. In Port Said versuchen Angehörige der Verurteilten ein Gefängnis zu stürmen. Dabei werden mindestens 20 Menschen getötet, darunter zwei Polizisten...

Gewalt in Ägypten - Tote und Verletzte in Kairo - Politik - Süddeutsche.de


Schlimm, was da abgeht...
 
Ich hoffe noch, dass ein Bürgerkrieg vermieden werden kann. Keine Seite zeigt viel Kompromissbereitschaft, aber ich denke, die Opposition hat noch nicht so was wie eine Armee, und ich denke nicht, dass sie an einer militärischen Auseinandersetzung interessiert ist.
 
Berlin-Besuch des ägyptischen Präsidenten: Lieber Herr Mursi, Sie bekommen keine Blumen

Millionen Ägypter fühlen sich nach dem Amtsantritt von Mohammed Mursi um die Revolution betrogen - einer von ihnen ist der deutsch-ägyptische Autor Hamed Abdel-Samad. "Sie sind demokratisch gewählt worden, aber ein Demokrat sind Sie noch lange nicht", schreibt er in einem offenen Brief.

AFP​
Proteste in Port Said: Viele Ägypter fühlen sich um die Revolution betrogen



Lieber Herr Mursi,

als ein Ägypter, der seit 17 Jahren in Deutschland lebt, hätte ich mir gewünscht, den ersten demokratisch gewählten Präsidenten meines Heimatlandes mit einem Blumenstrauß in Berlin zu empfangen.


Stattdessen sehe ich mich dazu verpflichtet, Sie während Ihres Deutschlandbesuchs mit einem Bündel von Fragen zu konfrontieren. Fragen, die nicht nur ich stelle, sondern Millionen von jungen Ägyptern, die von Ihnen enttäuscht sind und sich um ihre Revolution betrogen fühlen. Fragen, die sich auch Frau Merkel stellen sollte, bevor sie Sie als "verlässlichen" Partner der Bundesrepublik und als Garant für "Frieden und Stabilität" im Nahen Osten bezeichnen wird.
Zwar sind Sie demokratisch gewählt worden, Herr Mursi, aber ein Demokrat sind Sie noch lange nicht. Sie sind legal an die Macht gekommen, aber legitim ist Ihre Macht noch nicht. Denn rund 52 Prozent der ägyptischen Wähler haben für Sie gestimmt, weil Sie versprachen, ein Präsident aller Ägypter zu werden und eine Verfassung zu verabschieden, durch die alle Menschen im Lande sich repräsentiert fühlen. Sie versprachen ebenfalls, die Ziele der Revolution - Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde - zum Leitfaden Ihrer Politik zu machen. Doch schon kurz nach Ihrer Wahl wurde vielen klar, dass Sie nur ein schlechtes Plagiat von Mubarak sind. Ihre Muslimbrüder haben die Verfassungskommission entführt und in einer Nacht- und Nebelaktion eine Verfassung verabschiedet, die die liberalen Kräfte sowie die Frauen und Kopten marginalisiert. Eine Verfassung, die die Macht des Präsidenten ausbaut, als hätten Sie nicht vor, dass jemals ein anderer Präsident das Land regieren wird. Die gesellschaftliche Debatte über die neue Verfassung haben Sie im Keim erstickt. Den umstrittenen Entwurf haben Sie sofort unterschrieben und den Wählern zur Abstimmung in einem Referendum gestellt.
Wer die Pläne der Islamisten in Frage stellte, war ein ungläubiger Verräter
Dabei haben Sie die heftigen Proteste gegen diese Verfassung ignoriert.
Sie haben zugelassen, dass Ihre Anhänger das Verfassungsgericht belagerten, damit es kein Urteil gegen die neue Verfassung fällt. Sie haben zugesehen, wie bewaffnete islamistische Milizen friedliche Demonstranten vor Ihrem Palast angegriffen haben.
Die Abstimmung über die Verfassung verwandelten Ihre Anhänger in eine Entscheidung über Himmel und Hölle. Wer auf Ihrer Seite war, war ein guter Muslim. Wer die Pläne der Islamisten in Frage stellte, war ein ungläubiger Verräter. Und so haben Sie das Land tief gespalten in einer Zeit, wo Sie die Rolle des Versöhners hätten spielen müssen.
Verraten Sie mir, Herr Präsident: Welche magische Kraft steckt in Ihrem Thron, welche seltsamen Düfte werden im Präsidentenpalast versprüht, dass Sie sich binnen kurzer Zeit wie Ihr Vorgänger Mubarak benehmen? Sie schauen auf die Opposition herab und bezeichnen Ihre Gegner als Verräter. Sie glauben nur Berichten, die Ihre Vertrauten verfassen, und tanzen nach der Pfeife der Muslimbrüder und Salafisten. Die wichtigsten Posten übertragen Sie nicht an Experten, die die Kompetenzen besitzen, sondern an Menschen, die Ihnen loyal sind. Auch benutzen Sie in Ihren Reden die gleichen leeren Floskeln wie Mubarak über Wachstum, nationale Sicherheit und die inländische und ausländische Verschwörung, die darauf abzielt, Ägypten zu destabilisieren.
Warum sind Sie so dünnhäutig, warum verkraften Sie keine Kritik, Herr Mursi?
Wie die Partei von Mubarak versuchen Ihre Muslimbrüder, die Kontrolle über alle Institutionen des Landes in rasantem Tempo zu erlangen. Kommunen und Gewerkschaften werden unterwandert, unabhängige Richter werden beseitigt, kritische Medien werden eingeschüchtert, während die Staatsmedien, wie zu Mubaraks Zeiten, Propagandaapparate des Präsidenten und seiner Gefolgschaft werden.
In einem Punkt haben Sie Mubarak sogar überholt: Die Anzahl der Journalisten, die seit Ihrer Amtseinführung juristisch verfolgt werden, ist laut Angaben des Arab Network for Human Rights Information höher als in den 30 Jahren Mubarak-Herrschaft. Allein wegen Beleidigung des Präsidenten wird derzeit gegen 24 Journalisten in Ägypten ermittelt.
Warum sind Sie eigentlich so dünnhäutig? Warum verkraften Sie Kritik an Ihrer Politik nicht? Und wie kann es nach dieser großartigen Revolution eine Anschuldigung namens "Beleidigung des Präsidenten" geben? Haben Sie vergessen, dass Sie heute nicht Präsident Ägyptens wären, wenn die Jugend der Revolution Ihren Vorgänger nicht beleidigt hätte? Journalisten werden unter Ihrer Herrschaft nicht nur vor Gericht gestellt, sondern auch gezielt liquidiert. Ein Schicksal liegt mir besonders am Herzen. Unser Kollege Al-Husseini Abu Deif wurde am 5. Dezember 2012 vor Ihrem Palast von bewaffneten Islamisten umgebracht.
Er wurde von jenen Milizen getötet, die Sie zu Ihrem Palast einluden, um Sie vor den wütenden Demonstranten zu schützen. Herr Präsident, wer hat Al-Husseini getötet? Und warum beschäftigt sich Ihre Justiz mit der Verfolgung von kritischen Journalisten, statt sich um die Mörder von Abu Deif zu kümmern? Nun herrscht dank Ihrer Politik Chaos auf den Straßen Ägyptens.
Ägypten braucht starke Institutionen, Transparenz, Öffnung
Touristen bleiben dem Land fern, inländische und ausländische Investoren ergreifen die Flucht. Das ägyptische Pfund verliert täglich an Wert, und die Kreditwürdigkeit des Landes wird auf das Niveau von Griechenland herabgestuft. All das, weil die Sicherheit im Land und eine berechenbare Politik fehlen.
Ägypten kann sich, anders als Iran oder Saudi-Arabien, den Islamismus nicht leisten. Die Hungrigen können sich nicht von der Scharia ernähren, und die Jugend, die die Angst überwunden hat, lässt keine neue Diktatur zu. Auch die Salafisten und Dschihadisten, die Sie nun unterstützen, werden sich bald gegen Sie wenden. Wenn diese religiösen Eiferer merken, dass Sie nur ein politischer Opportunist sind und dass es Ihnen nicht um Gott, sondern um Macht geht, werden sie sich gegen Sie wenden. Sie werden Sie für ungläubig erklären und die gleichen Waffen gegen Sie wenden, die sie nun gegen die Liberalen richten, und Ihnen den Dschihad erklären.
Obwohl ich ein vehementer Gegner Ihrer Politik bin, wünsche ich mir nicht, dass Sie scheitern, denn dies würde auch das Scheitern Ägyptens bedeuten. Ich wünsche mir nur, dass Sie Ihre überhebliche Haltung aufgeben und im Interesse Ägyptens handeln und nicht im Interesse der Muslimbrüder.
Ich habe Ägypten vor 17 Jahren verlassen, weil ich dort nicht frei leben konnte. Ich habe an der Revolution vor zwei Jahren teilgenommen, weil ich mir ein neues Ägypten wünsche. Nun sehe ich, dass wir eine Form der Bevormundung gegen eine andere ausgetauscht haben. Ich weiß, dass Sie mit Mubarak als Vorgänger ein schweres Erbe angetreten haben, aber dieses Erbe kann nicht als ewige Ausrede für das Scheitern Ihrer Regierung dienen. Außerdem kann man das Erbe von Mubarak nicht mit den Methoden von Mubarak beseitigen. Ägypten braucht seine Frauen und seine Kopten genauso, wie es seine gläubigen Muslime braucht. Ägypten braucht Politiker, die sich mit Wirtschaft, Innen- und Außenpolitik auskennen, keine Experten in Sachen Gebet und Koran-Exegese.
Ägypten braucht starke Institutionen, Transparenz und eine selbstbewusste, aufrichtige Öffnung.
Liebe Frau Merkel, Mursi wird Sie nicht umarmen


Apropos aufrichtig: Wie stehen Sie heute eigentlich zu den Juden? Sie erinnern sich bestimmt, dass Sie vor einigen Jahren die Israelis als Blutsauger und Nachkommen von Affen und Schweinen bezeichnet haben. Sie haben gefordert, dass die Ägypter ihre Kinder und Kindeskinder nicht nur zum Hass gegen Juden und Zionisten erziehen sollten, sondern auch zum Hass gegen deren vermeintlichen Unterstützer, wie etwa Amerika, Frankreich und ganz Europa. Haben Sie den Anstand, sich vor Frau Merkel und der deutschen Öffentlichkeit für Ihre unsäglichen Äußerungen zu entschuldigen, bevor Sie einen Schuldenerlass und Entwicklungshilfe fordern? Noch wichtiger: Können sie sich vor der ägyptischen Öffentlichkeit davon distanzieren? Würden Sie diese Erziehung zum Hass aus dem ägyptischen Bildungssystem endlich entfernen? Meinen Sie nicht, dass es an der Zeit ist, eine neue Bildungspolitik einzuführen, die nicht auf Selbstverherrlichung und Dämonisierung der Anderen basiert, sondern auf Respekt, freiem Denken und der Fähigkeit zur Selbstkritik? Die mit Konflikten auf einer sachlichen, nicht auf einer emotionalen Ebene umgeht? Den letzten Teil meines Briefes möchte ich an die Bundeskanzlerin richten, die Sie in Berlin empfängt.
Liebe Frau Merkel, ich weiß, dass Sie Herrn Mursi nicht umarmen werden, wie Sie Mubarak umarmt haben. Ihre Berater haben Sie bestimmt darüber informiert, dass die Muslimbrüder sich nicht von Frauen öffentlich umarmen lassen. Sie werden ihm aber bestimmt die Hand reichen, und er wird sie nicht - wie viele Islamisten - zurückweisen, denn er braucht Sie. Er wird mit Ihnen über Schuldenerlass, über finanzielle Unterstützung und über deutsche Investitionen in Ägypten reden. All das braucht das Land am Nil dringend. Seien Sie aber nicht voreilig, Frau Merkel, und knüpfen Sie bitte diese Hilfe an die demokratische Entwicklung des Landes. Nicht nur die Einhaltung von demokratischen Wahlen sollte das Kriterium dafür sein, sondern auch die Achtung der Menschenrechte, der Schutz von Minderheiten und Transparenz bei den Wahlen. Und verlangen Sie bitte Garantien für die Versprechen von Herrn Mursi, denn nichts kann er besser, als leere Versprechen zu geben. Ägypten braucht und verdient Ihre Zuwendung, Frau Merkel, aber es braucht und verdient auch eine berechenbare politische Führung, die im Sinne aller Ägypter handelt und die Hauptforderungen der Revolution nicht ignoriert.

Offener Brief von Hamed Abdel-Samad an Mohammed Mursi - SPIEGEL ONLINE
 
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