Das Wachstum des albanischen Bevölkerungsanteils wird von der makedonischen Mehrheitsbevölkerung als beunruhigend empfunden. Ebenso Besorgnis erregend – aus Sicht der Makedonier – ist die geographische Verteilung der albanischen Minderheit, die konzentriert in West und Nordwestmakedonien lebt, also in den an die Republik Albanien und das Kosovo angrezenden Regionen. Darüber hinaus hat sich in den letzten Jahrzenten der Trend zur Formierung monoethnischer Siedlungsräume - vor allem in den ländlichen Regionen – verstärkt, was von den Makedoniern als Prozess der schleichenden “ethnischen Säuberung“ wahrgenommen wird. Von 1955 bis 1985 nahm etwa der Anteil der makedonischen Bevölkerung im Bezirk Gostivar von 31,7% auf 18,2% ab, im Bezirk Tetovo von 30,7% auf 23,6% ab, im Bezirk Debar von 32,4 auf 11,4% (REUTER, 1987, 590). Heute haben laut der letzten Volkszählung 15 von 121 Gemeinden einen albanischen Bevölkerungsanteil von über 90% (sieben davon sogar über 98%), zwei einen zwischen 75% und 90% und elf zwischen 50% und 75% (Popis 2002 – Census 2002, 23-25) In 28 Gemeinden stellen somit die Albaner die absolute Bevölkerungsmehrheit, 1994 waren es erst 25 gewesen (Statisticki godisnik 2002, 102).
Der Hauptgrund für das Anwachsen der albanischen Bevölkerung ist nicht in der mechanischen Bevölkerungsbewegung zu suchen, sondern im natürlichen demographischen Verhalten: Seit mehr als einem halben Jahrhundert weisen die Albaner deutlich höhere Geburtenraten und ein dementsprechend höheres natürliches Bevölkerungswachstum auf als die Makedonier. Die Relation der Geburten nach ethnischer Zugehörigkeit der Mutter hat sich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich zugunsten „albanischer“ Geburten verschoben (siehe Tabelle).
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[TD] Jahr[/TD]
[TD] makedonisch[/TD]
[TD="width: 154"] albanisch[/TD]
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[TD="width: 154"] 1957[/TD]
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[TD="width: 154"] 7.444[/TD]
[TD="width: 154"] 3,7:1[/TD]
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[TD="width: 154"] 1960[/TD]
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[TD="width: 154"] 2,9:1[/TD]
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[TD="width: 154"] 1962[/TD]
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[TD="width: 154"] 1970[/TD]
[TD="width: 154"] 20.845[/TD]
[TD="width: 154"] 10.989[/TD]
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[TD="width: 154"] 1980[/TD]
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[TD="width: 154"] 1999[/TD]
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[TD="width: 154"] 9.838[/TD]
[TD="width: 154"] 1,4:1[/TD]
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Quellen: Grossmith 1977, 69; Statisticki pregled 9 (1970), 19-21; Statisticki pregled 22 (1972), 8; Statisticki pregled 117 (1981), 9; statisticki godisnik 2000, 115;
Statisticki godisnik 2000, 65. Die Daten aus dieser Tabelle zeigen allerdings auch, dass die Anzahl der Geburten albanischer Mütter ebenfalls ebenfalls bereits rückläufig ist, obwohl der Anteil der albanischen Frauen im gebärfähigem Alter aufgrund der jüngeren Altersstruktur der albanischen Bevölkerung noch immer zunimmt. Wir haben es hier offensichtlich mit einer Zeitverschiebung im Prozess des demographischen Übergangs zu tun.
Mit demographischem Übergang wird in der Fachliteratur jener Prozess bezeichnet,bei dem das „traditionelle“ demographische System mit hohen Geburten- und Sterberaten durch ein „modernes“ mit niedrigen Raten abgelöst wird. Das besonderes des Übergangs ist, dass die Sterberate zuerst zu sinken beginnt, während die Geburtenrate noch einige Jahrzehnte auf einem vergleichsweise hohen Niveau bleibt, weshalb in dieser Zeit ein sehr hohes natürliches Bevölkerungswachstum erreicht wird.
Unter den Makedonen begann dieser Prozess früher und endete in den 1970er Jahren, als sie ein konstant niedriges Niveau von Geburts- und Sterberaten mit dementsprechend geringem natürlichem Bevölkerungswachstum erreichten. Unter den Albanern begann der Übergang später, und die Geburtenrate hat noch nicht das Endniveau von um die 10 bis 15 Lebensgeburten pro Tausend Einwohner erreicht. Da die albanische Bevölkerung im Durchschnitt Jünger ist als die makedonische, sind auch die Sterberaten niedriger, weshalb die albanische Minderheit noch eine Zeitlang mit einem höheren Tempo wachsen wird als die makedonische Bevölkerung. S.173/174
Ulf Brunnnbauer, in: Wiener Osteuropa Studien, Band 23, S.167ff, Getrennte Wege: Das demographische Verhalten von Makedoniern und Albanern in Makedonien 1944-2004,