Brauchen wir noch Religion? Und wenn ja, wozu?
Was sagt ihr dazu?
„Beten ist ganz gewöhnlicher Wahnsinn“, sagt Tolstoi.
Manche Leute, eher viele Leute, wollen einfach eine Religion mit einem
väterlichen Gott, bei dem sich nichts ändert, an dem sie sich anhalten können, und empfinden dies als sinngebend und erlösend. Dies muss man erkennen – und Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht.
Religionen sind ordnende Prinzipien,welche einen wichtigen und konstanten Beitrag in der Entwicklung der Gesellschaften gespielt haben, aber nur so lange, wie keiner Fragen gestellt hat, ob all diese Lehren denn auch etwas mit der Wahrheit zu tun haben. An Gott zu zweifeln war leider ein Verbrechen, und Götteslästerung ist ja nach wie vor nicht erlaubt. Sobald jedoch jemand auf Wahrheitssuche geht, wird ihm die dogmatische Religion zum Hindernis. Wo Religion zum System politischer Machtausübung zählt, ist keine Demokratie möglich.
Gott ist und bleibt ein Mem,
eine kulturelle Idee, und es kann nicht Methode der Philosophie oder der Wissenschaft sein, elegante Behauptungen, die man nicht widerlegen kann, in den Raum zu stellen, um dann so zu tun, als habe man die Wahrheit gefunden, nur weil sie nicht widerlegbar ist.
Im Christentum gäbe es genug Ideen, genug „Botschaften“, um religiöse Menschen oder solche, die um ihre Religiosität ringen, zu inspirieren und herauszufordern. Vom Alltagsleben bis hin zum letzten Tabuthema, dem Tod. Martin Heidegger hatte in „Sein und Zeit“ (1927), als die Gräuel des 20. Jahrhunderts schon hereinbrachen, eine denkende Annäherung eines jeden Menschen(unabhängig von seinem Alter) an seinen jeweils eigenen Tod gefordert. Vom Mut zum Eindringen in den Schatten des Todes erwartet sich der Philosoph die kritische Selbstwerdung, die „Existenz“ anstelle einer bloßen „Geworfenheit ins Leben“.
Was ist denn die Religion anderes als ein Rückbindungsverlangen, das uns einen paradiesischen Zustand verspricht, den zu erschaffen auf Erden vielleicht eine Kleinstaaterei erlaubt unter dem Generaldach einer großen Vision, die ein ausreichendes Gemeinschaftsgefühl erzeugen soll und keine Ausstoßungsgemeinschaft? Wer setzt Gemeinschaft durch und bestimmt, wer dazugehört? Wer schafft Ordnung und den Platz für eine hierarchische Struktur, die Zeit für Spiritualität und HEIL HEIL HEIL einräumt? Die Verwaltung und ihr Apparat. Dass der Papst abtritt, ist ein menschlicher Schritt!
Was bringt Religion privat? Moral sagt, was gut und böse ist. Ethik orientiert sich an den Konsequenzen des Handelns. Immer muss man in die Zukunft blicken und Bescheid wissen, wo der Zug ankommen wird, mit dem man abgefahren ist. Was auf Schiene gesetzt ist, muss nicht bleiben. Spring ab! Natürlich brauchen wir keine Religion, schon längst nicht mehr.
Erst einmal muss man den Mut haben, etwas zu tun, was stärker als jedes Gebot ist. Nachschau halten! Das ist Aufklärung, und sie endet nie. Und sie ist das Vernünftigste, was der Mensch tun kann. Dogma und Indoktrination zügeln Spiritualität, steuern Exzess. Wer schafft die Angst vor der Vergänglichkeit weg? Der Flow als Ritual, wenn Worte fließen, Autonomie lebt, überwundene Eltern nicht durch Instanzen ersetzt werden.
Also ganz konkret, brauchen wir noch Religion? Ja klar, zum Spielen.
Wozu noch Religion? Gott sei Dank gehört diese Frage zu jenen, die ganz einfach zu beantworten sind. Genauer: Diese Frage muss erst gar nicht beantwortet werden, sie zu stellen bedeutet schon, die Antwort zu geben.
Wer nach einem Wozu von Religionfragt, fragt offenbar nach möglichen sozialen, kulturellen, psychologischen Funktionen, die Religion einmal erfüllt haben mag, die aber nun, im Zeitalter der Wissenschaft, womöglich nicht mehr nötig sind. Wer diese Frage stellt, vertritt also eine funktionalistische Theorie der Religion.
Wer solch eine Theorie vertritt, kann die damit unterstellte Funktion von Religion aber nur bei anderen beobachten, nicht an sich selbst. Kein religiöser Mensch käme auf die Idee, nach der Funktion seiner Religion in dieser Welt zu fragen.
usw.
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