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jugo-jebe-dugo
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18.01.2005
"Bush ist ein hochintelligenter Politiker"
Harvard-Professor Michael Ignatieff im STANDARD-Interview: Was steht in der zweiten Amtszeit von George Bush bevor?
Michael Ignatieff: "Bush ist ein hochintelligenter, überaus effizienter, erfolgreicher demokratischer Politiker."zur Person
Michael Ignatieff ist Professor für Menschenrechtspraxis und Direktor am Carr Center für Menschenrechtspolitik der John F. Kennedy School of Government an der Universität Harvard. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen, zuletzt "The Lesser Evil: Political Ethics in an Age of Terror".
Wie sind die jüngsten Urteile im Abu-Ghraib- Prozess zu verstehen, was steht in der zweiten Amtszeit von George Bush bevor, was sollen demokratische Staaten gegen den Terrorismus tun? Michael Ignatieff, Rechtsprofessor in Harvard, im Gespräch mit Christoph Winder.
STANDARD: Herr Professor Ignatieff, am Samstag ist der US-Soldat Charles Graner wegen der Folterung von Gefangenen in Abu Ghraib zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Wie haben denn Sie diese Causa wahrgenommen?
Ignatieff: Man muss die Sache im Kontext verstehen. Sie ist entstanden, weil die Amerikaner 2003 das Ausmaß des Aufstandes im Irak unterschätzten. Es gibt einen Befehl von oben, dass der Geheimdienst neue Informationen heranschaffen soll, zig neue Leute werden nach Abu Ghraib gekarrt, es gibt eine komplette Konfusion bei den Befehlsketten, der Chef des Gefängnisses ist in Wahrheit nicht der Chef, es gibt CIA-Leute, es gibt den Militärgeheimdienst.
Ganz oben macht ein Memorandum die Runde, das für alle Formen der Gefangenenbefragung grünes Licht zu geben scheint, und sie haben noch Leute wie Graner, eine Negativauswahl aus dem US-Strafvollzug. All das ist in Summe das Rezept für eine Katastrophe. Und die ist dann ja auch passiert.
STANDARD: Und wer trägt die Verantwortung dafür?
Ignatieff: Bisher haben nur Leute aus dem untersten Bereich der Befehlskette, Lyndie England und Graner bezahlen müssen, und das wird wohl auch so bleiben. Moralisch ist das ein klarer Fehler, aber das ist es, was üblicherweise in solchen Fällen passiert. In Wahrheit sollte Pentagonchef Donald Rumsfeld gehen.
STANDARD: Ich fürchte, dass Rumsfeld Ihnen diesen Gefallen nicht tun wird.
Ignatieff: Das fürchte ich auch. Wahrscheinlich wird es dabei bleiben, dass Rumsfelds Ruhm in den Geschichtsbüchern ein wenig vom Irak überschattet sein wird, so wie der Ruhm von Henry Kissinger von Chile. Das ist die einzige Art, wie solche Leute bestraft werden.
STANDARD: Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Memorandum, in dem Alberto Gonzales, der damalige Anwalt des Weißen Hauses, die Genfer Konventionen für obsolet erklärte und dem, was in Abu Ghraib passiert ist?
Ignatieff: Zweifellos. Solche Memoranden haben ein intellektuelles Klima geschaffen, in dem Abu Ghraib möglich wurde. Was für mich als Universitätsprofessor besonders schockierend ist: Dass einige dieser Memoranden von Leuten geschrieben wurden, die die absolut feinsten Produkte der absolut besten amerikanischen Rechtsuniversitäten sind. Was haben sich diese Leute dabei gedacht?
STANDARD: Bush hat sich unlängst für einige Formulierungen in seiner ersten Amtszeit entschuldigt. Könnte das ein Indiz für einen gewissen Willen sein, in der zweiten Amtszeit Dinge anders zu machen?
Ignatieff: In der Bush-Regierung selbst sehe ich nicht viele Anzeichen von Umdenken, aber die von James Madison und den Verfassungsvätern in die politische Realität eingebauten Widerstandskräfte gegen die Regierung werden immer stärker. Der Kongress, die Gerichte und die Medien schlagen mehr zurück. Das ist auch einer der Grundgedanke meines Buches "The Lesser Evil": Was eine Demokratie frei macht, ist nicht zuletzt die ständige Friktion zwischen ihren Institutionen.
STANDARD: Wo erkennen Sie ein solches Aufbegehren?
Ignatieff: Die Urteile des Obersten Gerichtshofes vom vergangenen Sommer, in dem auch die konservativen Richter festhielten, dass der Kampf gegen den Terror kein Blankoscheck für den Präsidenten ist. Bei den Medien gibt es nicht nur Fox News, sondern die Washington Post oder die New York Times, die Bush ständig hart attackiert haben.
Der Kongress ist am schwächsten, aber auch hier formiert sich der Widerstand. Zudem ist Bush in seiner zweiten Amtszeit und die institutionellen Gegengewichte kommen immer stärker zur Geltung. So mächtig wie bei seiner Angelobung am kommenden Donnerstag wird Bush nie wieder sein.
STANDARD: Die US-Institutionen funktionieren also noch.
Ignatieff: Ja, auch wenn sie manchmal, wie bei den Wahlen im November, Resultate produzieren, die mir nicht lieb sind. Aber Bush hat zu Recht gewonnen, weil er der bessere Kandidat war als Kerry. Bush ist ein hochintelligenter, überaus effizienter, erfolgreicher demokratischer Politiker. Ich mag ich nicht, ich schätze ihn nicht, aber ich unterschätze ihn auch nicht.
Die europäische und die amerikanische Linke hat mit ihren "Bush ist ein Idiot"-Witzen einen fatalen Fehler gemacht. Bush, der Idiot, hat die Linke für acht Jahre abserviert, und es wäre hoch an der Zeit, sich das einzugestehen. Es ist auch unrichtig, dass er ein Gefangener seiner Berater wäre. Bush war immer sein eigener Herr.
STANDARD: Was sollten demokratische Staaten angesichts der Bedrohung durch islamistischen Terror tun?
Ignatieff: Sie sollten sich bei Veränderungen der demokratischen Institutionen größtmögliche Zurückhaltung auferlegen. Im historischen Kontext ist das, was Bush nach 9/ 11 gemacht hat, Peanuts gegen die Gefangenenlager, die F. D. Roosevelt für die Japaner einrichten ließ oder gegen die Aufhebung des "Habeas Corpus" durch Lincoln. Bush hat dreierlei falsch gemacht. Der erste war der zu starke Druck auf Immigranten, der zweite war Guantánamo, wo 80 Prozent der Gefangenen zu lange festgehalten werden, der dritte Fehler war Abu Ghraib, wo Rumsfeld Richtlinien für die Verhöre herausgeben hätte müssen, die im perfekten Einklang mit den Genfer Konventionen hätten stehen sollen. So hat man weltweit einen enormen Imageschaden angerichtet, der für mich aber nicht erstaunlich ist. In einem globalen Umfeld verhält sich die Regierung Bush einfach nicht clever.
Andererseits muss unmissverständlich klar sein, dass Demokratie wehrhaft ist. Jeder Europäer sollte durch die Anschläge in Madrid aufs Äußerste besorgt sein: Dass eine Terrorgruppe politische Entscheidungen herbeibombt - schlimmer kann es nicht werden. Ich möchte einen zivilen Dialog mit dem Islam haben - aber manches ist nicht verhandelbar. Sehen Sie sich den Fall von Theo van Gogh an. Was sollte der Sinn der freien Rede sein, wenn sie nicht auch zynisch und zersetzend sein kann? Es wird immer wieder Provokateure geben, die Stupides von sich geben, aber bei der freien Rede ist kein Kompromiss möglich. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.1.2005)
"Bush ist ein hochintelligenter Politiker"
Harvard-Professor Michael Ignatieff im STANDARD-Interview: Was steht in der zweiten Amtszeit von George Bush bevor?
Michael Ignatieff: "Bush ist ein hochintelligenter, überaus effizienter, erfolgreicher demokratischer Politiker."zur Person
Michael Ignatieff ist Professor für Menschenrechtspraxis und Direktor am Carr Center für Menschenrechtspolitik der John F. Kennedy School of Government an der Universität Harvard. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen, zuletzt "The Lesser Evil: Political Ethics in an Age of Terror".
Wie sind die jüngsten Urteile im Abu-Ghraib- Prozess zu verstehen, was steht in der zweiten Amtszeit von George Bush bevor, was sollen demokratische Staaten gegen den Terrorismus tun? Michael Ignatieff, Rechtsprofessor in Harvard, im Gespräch mit Christoph Winder.
STANDARD: Herr Professor Ignatieff, am Samstag ist der US-Soldat Charles Graner wegen der Folterung von Gefangenen in Abu Ghraib zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Wie haben denn Sie diese Causa wahrgenommen?
Ignatieff: Man muss die Sache im Kontext verstehen. Sie ist entstanden, weil die Amerikaner 2003 das Ausmaß des Aufstandes im Irak unterschätzten. Es gibt einen Befehl von oben, dass der Geheimdienst neue Informationen heranschaffen soll, zig neue Leute werden nach Abu Ghraib gekarrt, es gibt eine komplette Konfusion bei den Befehlsketten, der Chef des Gefängnisses ist in Wahrheit nicht der Chef, es gibt CIA-Leute, es gibt den Militärgeheimdienst.
Ganz oben macht ein Memorandum die Runde, das für alle Formen der Gefangenenbefragung grünes Licht zu geben scheint, und sie haben noch Leute wie Graner, eine Negativauswahl aus dem US-Strafvollzug. All das ist in Summe das Rezept für eine Katastrophe. Und die ist dann ja auch passiert.
STANDARD: Und wer trägt die Verantwortung dafür?
Ignatieff: Bisher haben nur Leute aus dem untersten Bereich der Befehlskette, Lyndie England und Graner bezahlen müssen, und das wird wohl auch so bleiben. Moralisch ist das ein klarer Fehler, aber das ist es, was üblicherweise in solchen Fällen passiert. In Wahrheit sollte Pentagonchef Donald Rumsfeld gehen.
STANDARD: Ich fürchte, dass Rumsfeld Ihnen diesen Gefallen nicht tun wird.
Ignatieff: Das fürchte ich auch. Wahrscheinlich wird es dabei bleiben, dass Rumsfelds Ruhm in den Geschichtsbüchern ein wenig vom Irak überschattet sein wird, so wie der Ruhm von Henry Kissinger von Chile. Das ist die einzige Art, wie solche Leute bestraft werden.
STANDARD: Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Memorandum, in dem Alberto Gonzales, der damalige Anwalt des Weißen Hauses, die Genfer Konventionen für obsolet erklärte und dem, was in Abu Ghraib passiert ist?
Ignatieff: Zweifellos. Solche Memoranden haben ein intellektuelles Klima geschaffen, in dem Abu Ghraib möglich wurde. Was für mich als Universitätsprofessor besonders schockierend ist: Dass einige dieser Memoranden von Leuten geschrieben wurden, die die absolut feinsten Produkte der absolut besten amerikanischen Rechtsuniversitäten sind. Was haben sich diese Leute dabei gedacht?
STANDARD: Bush hat sich unlängst für einige Formulierungen in seiner ersten Amtszeit entschuldigt. Könnte das ein Indiz für einen gewissen Willen sein, in der zweiten Amtszeit Dinge anders zu machen?
Ignatieff: In der Bush-Regierung selbst sehe ich nicht viele Anzeichen von Umdenken, aber die von James Madison und den Verfassungsvätern in die politische Realität eingebauten Widerstandskräfte gegen die Regierung werden immer stärker. Der Kongress, die Gerichte und die Medien schlagen mehr zurück. Das ist auch einer der Grundgedanke meines Buches "The Lesser Evil": Was eine Demokratie frei macht, ist nicht zuletzt die ständige Friktion zwischen ihren Institutionen.
STANDARD: Wo erkennen Sie ein solches Aufbegehren?
Ignatieff: Die Urteile des Obersten Gerichtshofes vom vergangenen Sommer, in dem auch die konservativen Richter festhielten, dass der Kampf gegen den Terror kein Blankoscheck für den Präsidenten ist. Bei den Medien gibt es nicht nur Fox News, sondern die Washington Post oder die New York Times, die Bush ständig hart attackiert haben.
Der Kongress ist am schwächsten, aber auch hier formiert sich der Widerstand. Zudem ist Bush in seiner zweiten Amtszeit und die institutionellen Gegengewichte kommen immer stärker zur Geltung. So mächtig wie bei seiner Angelobung am kommenden Donnerstag wird Bush nie wieder sein.
STANDARD: Die US-Institutionen funktionieren also noch.
Ignatieff: Ja, auch wenn sie manchmal, wie bei den Wahlen im November, Resultate produzieren, die mir nicht lieb sind. Aber Bush hat zu Recht gewonnen, weil er der bessere Kandidat war als Kerry. Bush ist ein hochintelligenter, überaus effizienter, erfolgreicher demokratischer Politiker. Ich mag ich nicht, ich schätze ihn nicht, aber ich unterschätze ihn auch nicht.
Die europäische und die amerikanische Linke hat mit ihren "Bush ist ein Idiot"-Witzen einen fatalen Fehler gemacht. Bush, der Idiot, hat die Linke für acht Jahre abserviert, und es wäre hoch an der Zeit, sich das einzugestehen. Es ist auch unrichtig, dass er ein Gefangener seiner Berater wäre. Bush war immer sein eigener Herr.
STANDARD: Was sollten demokratische Staaten angesichts der Bedrohung durch islamistischen Terror tun?
Ignatieff: Sie sollten sich bei Veränderungen der demokratischen Institutionen größtmögliche Zurückhaltung auferlegen. Im historischen Kontext ist das, was Bush nach 9/ 11 gemacht hat, Peanuts gegen die Gefangenenlager, die F. D. Roosevelt für die Japaner einrichten ließ oder gegen die Aufhebung des "Habeas Corpus" durch Lincoln. Bush hat dreierlei falsch gemacht. Der erste war der zu starke Druck auf Immigranten, der zweite war Guantánamo, wo 80 Prozent der Gefangenen zu lange festgehalten werden, der dritte Fehler war Abu Ghraib, wo Rumsfeld Richtlinien für die Verhöre herausgeben hätte müssen, die im perfekten Einklang mit den Genfer Konventionen hätten stehen sollen. So hat man weltweit einen enormen Imageschaden angerichtet, der für mich aber nicht erstaunlich ist. In einem globalen Umfeld verhält sich die Regierung Bush einfach nicht clever.
Andererseits muss unmissverständlich klar sein, dass Demokratie wehrhaft ist. Jeder Europäer sollte durch die Anschläge in Madrid aufs Äußerste besorgt sein: Dass eine Terrorgruppe politische Entscheidungen herbeibombt - schlimmer kann es nicht werden. Ich möchte einen zivilen Dialog mit dem Islam haben - aber manches ist nicht verhandelbar. Sehen Sie sich den Fall von Theo van Gogh an. Was sollte der Sinn der freien Rede sein, wenn sie nicht auch zynisch und zersetzend sein kann? Es wird immer wieder Provokateure geben, die Stupides von sich geben, aber bei der freien Rede ist kein Kompromiss möglich. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.1.2005)