[h=1]Kann man miteinander reden, wo geschossen wird?[/h]Schon dass sich junge Ukrainer darüber Gedanken machen, wie ein von Krieg zerrissenes Volk wieder miteinander ins Gespräch kommt, ist ein gutes Zeichen. Taugt aber die Sprache des Friedens im Krieg?
Kann man ukrainische Separatisten, die zusammen mit russischen Soldaten und Freiwilligen im Donbass gegen die ukrainische Armee kämpfen, als "Terroristen" bezeichnen? Nein, meinte vor Kurzem die ukrainische Reporterin Anastasia Stanko vom Onlinesender hromadske.tv bei ihrem Vortrag "Wie man die Sprache des Hasses überwinden kann".
Man sollte neutralere Worte dafür finden, wie "Milizen" oder "Separatisten", Wörter, die weniger polarisieren. Aus dem gleichen Grund versuche sie zusammen mit ihren Kollegen von hromadske.tv zu vermeiden, die ukrainische Armee als "unsere Soldaten" oder "Helden" zu bezeichnen, wie dies andere Medien in der Ukraine gern tun.
Die Kategorien "unsere/eure" seien kontraproduktiv, meinte Stanko, weil sie die Menschen nur spalteten. Stanko stammt aus dem Gebiet Iwano-Frankiwsk in der Westukraine, in den letzten zwei Jahren hat sie sich immer wieder in die gefährlichsten Zonen des Konflikts gewagt.
Im Sommer 2014 wurde sie von Separatisten im Lugansker Gebiet festgenommen und einige Tage lang in einem Keller in Gefangenschaft gehalten.
[h=2]Wer einmal im Keller saß[/h]Nachdem ihr Vortrag ins Internet gestellt wurde, erntete Stanko das, wogegen sie sich eigentlich zu wehren versuchte: puren Hass. Und das nicht nur in Form zahlloser Kommentare beleidigter Facebook-Hobby-Brüller, wie man sie heutzutage aus fast jeder Diskussion kennt.
Die wohl berühmteste ukrainische Schriftstellerin Oksana Sabuschko bezeichnete Stanko als "Informationsgehilfin russischer Terroristen" und der Schriftsteller Jurij Wynnytschuk äußerte sich empört in einem Blogeintrag, dem er den sarkastischen Titel gab: "Wie nützlich es manchmal ist, eine Weile in einem Keller gesessen zu haben."
Es gehöre Mut dazu, die Dinge beim Namen zu nennen, widersprach der Journalist Witalij Owtscharenko aus Donezk, der bis vor Kurzem an der Front an der Seite der ukrainischen Armee gekämpft hatte, ebenfalls in einem Blogeintrag. Man sollte Okkupanten Okkupanten nennen, und Terroristen Terroristen, meinte er.
Und er fragte Stanko: "Sind die ukrainischen Soldaten wirklich nicht Ihre Helden? Warum?" Warum schäme sich die Journalistin, ukrainische Soldaten als "unsere Soldaten" zu bezeichnen? "Sie kämpfen doch auch für Sie, dafür, dass der Feind nicht bis nach Kiew kommt", schrieb Owtscharenko weiter.
[h=2]Einheimische "einfache Menschen"[/h]Der Widerstand, der Stankos Vorschlag über eine verbale Abrüstung in der Ukraine entgegenschlug, zeugt nicht nur davon, in welch gereiztem Zustand sich die ukrainische Gesellschaft befindet.
Die Thesen der Reporterin treffen einen wunden Punkt, weil sie die Grundfragen dieses Konflikts berühren: Wer ist der Feind? Russland? Putin?
Was ist mit den Einheimischen aus Donezk und Lugansk, die sich diesem Kampf für eine "russische Welt" angeschlossen haben? Und was ist mit den "einfachen Menschen", die bei den Pseudoreferenden mitgemacht und nach Putin gerufen haben?
Der hybride Krieg des Kreml hat es schwer gemacht, einen konkreten Feind zu definieren. Er hat die Grenzen zwischen Tätern und Opfern verwischt, Hass aller gegen alle gesät, gepaart mit einer großen, allumfassenden Verwirrung: Was bedeutet die Krim für die Ukraine, was der Donbass? Sind es besetzte Gebiete oder feindliche Territorien?
[h=2]1,5 Millionen Binnenflüchtlinge[/h]Wie geht die Mehrheitsgesellschaft mit denen um, die hinter der Frontlinie geblieben sind? Wird man jemals mit ihnen sprechen können – und in welcher Sprache: der Sprache des Friedens oder der Sprache des Krieges?
Es ist nicht so, als hätte der Rest der Ukraine die Region Donbass komplett aufgegeben. Als fände gar kein Dialog statt. Der größere Teil der Territorien der Gebiete Donezk und Lugansk wird immer noch von der Ukraine kontrolliert, und etwa 1,5 Millionen Binnenflüchtlinge haben sich in anderen Städten und Dörfern der Ukraine niedergelassen.
Es gibt einen Dialog im Alltag, doch oft begegnet man den Vertriebenen mit Misstrauen. Nicht selten herrscht Angst davor, die vermeintliche Ruhe des Zusammenlebens durch die Politik zu zerstören.
Deshalb wählt man meist das Schweigen. Selbst die, die nie nach Russland wollten, geschweige denn für Russland kämpfen. Auch denen wird oft vorgeworfen, sie hätten den prorussischen Provokationen nicht aktiv genug Widerstand geleistet.
[h=2]Versöhnung? Mit Terroristen?[/h]Ist es aber überhaupt möglich zu sprechen, solange noch geschossen wird? Zwar sind die Zahlen der Opfer unter der zivilen Bevölkerung seit der letzten vereinbarten Waffenruhe zurückgegangen, fast jeden zweiten Tag gibt es jedoch Meldungen über tote Armeeangehörige. 63 ukrainische Soldaten sind seit dem 1. September gestorben, mehr als 230 wurden verletzt.
Eine Versöhnung habe nur nach dem Ende des Krieges Sinn, sagt der Schriftsteller Jurij Andruchowytsch in einer Videodiskussion mit dem Schriftsteller Serhij Schadan. Wenn sicher sei, dass die Gewalt, die neue Traumata hervorbringt, überwunden sei. Schadan stimmt ihm zu, aber er fragt auch, ob man nicht trotzdem auch jetzt schon nach einer neuen Sprache suchen solle? "So oder so steht uns dieses Gespräch bevor."
Wie Stanko hat auch er vor Kurzem erfahren, dass man mit der Suche nach einem Dialog leicht den Mob gegen sich aufhetzen kann. Nachdem Schadan im Dezember eine umstrittene Lugansker Dichterin zu einer (übrigens von mehreren deutschen Stiftungen organisierten) Veranstaltung nach Charkiw eingeladen hatte, fand er sich selbst plötzlich einem Shitstorm ausgesetzt.
Wie kann man nur einer Frau in die Augen schauen, die in ihren Gedichten die Anführer der Separatisten, die Mörder, ehrt? Wie kann man mit jemanden sprechen, der vielleicht gestern deinen Bruder, Sohn, Vater oder Freund umgebracht hat? Worüber? Wo Waffen sprechen, bleibt jedes Wort im Halse stecken. Wo Blut fließt, versagt die Zivilisation. Von wegen Versöhnung!
[h=2]Es herrscht kein Bürgerkrieg in der Ukraine[/h]Nur jemand, der die Natur des Krieges nicht versteht, kann jetzt von den Ukrainern Versöhnung fordern. "Ich will und kann kein tolerantes Gespräch führen," schreibt eine Bloggerin, "solange ich die Bilder der Schlacht bei Ilowajsk vor Augen habe." Sind also alle Versuche zum Scheitern verdammt, und es gibt nur einen Weg, der geradewegs weiter in den Krieg führt?
Ein Weg wie in einen Sumpf, mit jedem Schritt, den man geht, wird es nur noch schwieriger, wieder herauszukommen? Wählt die ukrainische Gesellschaft aber diesen Weg, wird sie eines Tages bis zum Hals im Sumpf stecken, sodass sie kaum noch atmen, geschweige denn sprechen kann.
Gerade deshalb aber sollte man weiter nach einem Dialog suchen, solange es noch möglich ist, und sei es auch unter vielen Schmerzen und Mühen, und sei durch das Stellen wirklich kontroverser Fragen wie die über die Legitimität des Wortes "Terrorist".
Es herrscht kein Bürgerkrieg in der Ukraine. Es gibt einen Krieg, den Russland in den Donbass gebracht hat. Nun, fast zwei Jahre nach Kriegsbeginn, leben viele verfeindete Menschen in diesem Land. Dagegen etwas zu unternehmen, wie es Stanko und Schadan tun, ist nicht nur mutig, es ist auch überlebensnotwendig, wenn die Ukraine eine Zukunft haben will.
Ukraine: Kann man miteinander reden, wo geschossen wird? - DIE WELT
Die Dichterin ist übrigens Jelena Saslawskaja
auch sehr lesenswert.
Reise in die Ukraine: Das Gift des Krieges - Ukraine - derStandard.at ? International

Kann man ukrainische Separatisten, die zusammen mit russischen Soldaten und Freiwilligen im Donbass gegen die ukrainische Armee kämpfen, als "Terroristen" bezeichnen? Nein, meinte vor Kurzem die ukrainische Reporterin Anastasia Stanko vom Onlinesender hromadske.tv bei ihrem Vortrag "Wie man die Sprache des Hasses überwinden kann".
Man sollte neutralere Worte dafür finden, wie "Milizen" oder "Separatisten", Wörter, die weniger polarisieren. Aus dem gleichen Grund versuche sie zusammen mit ihren Kollegen von hromadske.tv zu vermeiden, die ukrainische Armee als "unsere Soldaten" oder "Helden" zu bezeichnen, wie dies andere Medien in der Ukraine gern tun.
Die Kategorien "unsere/eure" seien kontraproduktiv, meinte Stanko, weil sie die Menschen nur spalteten. Stanko stammt aus dem Gebiet Iwano-Frankiwsk in der Westukraine, in den letzten zwei Jahren hat sie sich immer wieder in die gefährlichsten Zonen des Konflikts gewagt.
Im Sommer 2014 wurde sie von Separatisten im Lugansker Gebiet festgenommen und einige Tage lang in einem Keller in Gefangenschaft gehalten.
[h=2]Wer einmal im Keller saß[/h]Nachdem ihr Vortrag ins Internet gestellt wurde, erntete Stanko das, wogegen sie sich eigentlich zu wehren versuchte: puren Hass. Und das nicht nur in Form zahlloser Kommentare beleidigter Facebook-Hobby-Brüller, wie man sie heutzutage aus fast jeder Diskussion kennt.
Die wohl berühmteste ukrainische Schriftstellerin Oksana Sabuschko bezeichnete Stanko als "Informationsgehilfin russischer Terroristen" und der Schriftsteller Jurij Wynnytschuk äußerte sich empört in einem Blogeintrag, dem er den sarkastischen Titel gab: "Wie nützlich es manchmal ist, eine Weile in einem Keller gesessen zu haben."
Es gehöre Mut dazu, die Dinge beim Namen zu nennen, widersprach der Journalist Witalij Owtscharenko aus Donezk, der bis vor Kurzem an der Front an der Seite der ukrainischen Armee gekämpft hatte, ebenfalls in einem Blogeintrag. Man sollte Okkupanten Okkupanten nennen, und Terroristen Terroristen, meinte er.
Und er fragte Stanko: "Sind die ukrainischen Soldaten wirklich nicht Ihre Helden? Warum?" Warum schäme sich die Journalistin, ukrainische Soldaten als "unsere Soldaten" zu bezeichnen? "Sie kämpfen doch auch für Sie, dafür, dass der Feind nicht bis nach Kiew kommt", schrieb Owtscharenko weiter.
[h=2]Einheimische "einfache Menschen"[/h]Der Widerstand, der Stankos Vorschlag über eine verbale Abrüstung in der Ukraine entgegenschlug, zeugt nicht nur davon, in welch gereiztem Zustand sich die ukrainische Gesellschaft befindet.
Die Thesen der Reporterin treffen einen wunden Punkt, weil sie die Grundfragen dieses Konflikts berühren: Wer ist der Feind? Russland? Putin?
Was ist mit den Einheimischen aus Donezk und Lugansk, die sich diesem Kampf für eine "russische Welt" angeschlossen haben? Und was ist mit den "einfachen Menschen", die bei den Pseudoreferenden mitgemacht und nach Putin gerufen haben?
Der hybride Krieg des Kreml hat es schwer gemacht, einen konkreten Feind zu definieren. Er hat die Grenzen zwischen Tätern und Opfern verwischt, Hass aller gegen alle gesät, gepaart mit einer großen, allumfassenden Verwirrung: Was bedeutet die Krim für die Ukraine, was der Donbass? Sind es besetzte Gebiete oder feindliche Territorien?
[h=2]1,5 Millionen Binnenflüchtlinge[/h]Wie geht die Mehrheitsgesellschaft mit denen um, die hinter der Frontlinie geblieben sind? Wird man jemals mit ihnen sprechen können – und in welcher Sprache: der Sprache des Friedens oder der Sprache des Krieges?
Es ist nicht so, als hätte der Rest der Ukraine die Region Donbass komplett aufgegeben. Als fände gar kein Dialog statt. Der größere Teil der Territorien der Gebiete Donezk und Lugansk wird immer noch von der Ukraine kontrolliert, und etwa 1,5 Millionen Binnenflüchtlinge haben sich in anderen Städten und Dörfern der Ukraine niedergelassen.
Es gibt einen Dialog im Alltag, doch oft begegnet man den Vertriebenen mit Misstrauen. Nicht selten herrscht Angst davor, die vermeintliche Ruhe des Zusammenlebens durch die Politik zu zerstören.
Deshalb wählt man meist das Schweigen. Selbst die, die nie nach Russland wollten, geschweige denn für Russland kämpfen. Auch denen wird oft vorgeworfen, sie hätten den prorussischen Provokationen nicht aktiv genug Widerstand geleistet.
[h=2]Versöhnung? Mit Terroristen?[/h]Ist es aber überhaupt möglich zu sprechen, solange noch geschossen wird? Zwar sind die Zahlen der Opfer unter der zivilen Bevölkerung seit der letzten vereinbarten Waffenruhe zurückgegangen, fast jeden zweiten Tag gibt es jedoch Meldungen über tote Armeeangehörige. 63 ukrainische Soldaten sind seit dem 1. September gestorben, mehr als 230 wurden verletzt.
Eine Versöhnung habe nur nach dem Ende des Krieges Sinn, sagt der Schriftsteller Jurij Andruchowytsch in einer Videodiskussion mit dem Schriftsteller Serhij Schadan. Wenn sicher sei, dass die Gewalt, die neue Traumata hervorbringt, überwunden sei. Schadan stimmt ihm zu, aber er fragt auch, ob man nicht trotzdem auch jetzt schon nach einer neuen Sprache suchen solle? "So oder so steht uns dieses Gespräch bevor."
Wie Stanko hat auch er vor Kurzem erfahren, dass man mit der Suche nach einem Dialog leicht den Mob gegen sich aufhetzen kann. Nachdem Schadan im Dezember eine umstrittene Lugansker Dichterin zu einer (übrigens von mehreren deutschen Stiftungen organisierten) Veranstaltung nach Charkiw eingeladen hatte, fand er sich selbst plötzlich einem Shitstorm ausgesetzt.
Wie kann man nur einer Frau in die Augen schauen, die in ihren Gedichten die Anführer der Separatisten, die Mörder, ehrt? Wie kann man mit jemanden sprechen, der vielleicht gestern deinen Bruder, Sohn, Vater oder Freund umgebracht hat? Worüber? Wo Waffen sprechen, bleibt jedes Wort im Halse stecken. Wo Blut fließt, versagt die Zivilisation. Von wegen Versöhnung!
[h=2]Es herrscht kein Bürgerkrieg in der Ukraine[/h]Nur jemand, der die Natur des Krieges nicht versteht, kann jetzt von den Ukrainern Versöhnung fordern. "Ich will und kann kein tolerantes Gespräch führen," schreibt eine Bloggerin, "solange ich die Bilder der Schlacht bei Ilowajsk vor Augen habe." Sind also alle Versuche zum Scheitern verdammt, und es gibt nur einen Weg, der geradewegs weiter in den Krieg führt?
Ein Weg wie in einen Sumpf, mit jedem Schritt, den man geht, wird es nur noch schwieriger, wieder herauszukommen? Wählt die ukrainische Gesellschaft aber diesen Weg, wird sie eines Tages bis zum Hals im Sumpf stecken, sodass sie kaum noch atmen, geschweige denn sprechen kann.
Gerade deshalb aber sollte man weiter nach einem Dialog suchen, solange es noch möglich ist, und sei es auch unter vielen Schmerzen und Mühen, und sei durch das Stellen wirklich kontroverser Fragen wie die über die Legitimität des Wortes "Terrorist".
Es herrscht kein Bürgerkrieg in der Ukraine. Es gibt einen Krieg, den Russland in den Donbass gebracht hat. Nun, fast zwei Jahre nach Kriegsbeginn, leben viele verfeindete Menschen in diesem Land. Dagegen etwas zu unternehmen, wie es Stanko und Schadan tun, ist nicht nur mutig, es ist auch überlebensnotwendig, wenn die Ukraine eine Zukunft haben will.
Ukraine: Kann man miteinander reden, wo geschossen wird? - DIE WELT
Die Dichterin ist übrigens Jelena Saslawskaja
auch sehr lesenswert.
Reise in die Ukraine: Das Gift des Krieges - Ukraine - derStandard.at ? International