Ukrainische Groteskereien: „Wenn Poroschenko kommt, werden wir sprechen“
[Von Kai Ehlers] In den Schlagzeilen deutscher Medien wurde gemeldet: „Pro-russische Rebellen starten Großoffensive.“ (Focus) „Separatistenführer will keine Friedensgespräche“ (FAZ), „Separatistenführer lehnt Gespräche mit Kiew ab“ Spiegel-online). (focus) Der deutsche Außenminister Steinmeier wird dazu mit dem Vorwurf der „Kriegstreiberei“ an die Adresse der Donezker Führung zitiert.
Was ist geschehen? Während in informellen Gesprächen gebetsmühlenartig um die Erfüllung des „Minsker Friedensabkommens“ verhandelt wird, während die Deutsche Bundeskanzlerin beim Businesstreffen in Davos Russland gar eine europäisch-russische Freihandelszone als „Anreiz“ ins Aussicht stellt, wenn Russland nur bereit sei, die Minsker Bedingungen zu akzeptieren, mobilisiert Kiew gleichzeitig weitere 68.000 Mann für den Bürgerkrieg und leitet eine neue Offensive ein, in deren Verlauf Donezk und andere Städte des Ostens wieder von Artillerie unter Beschuss genommen werden.
Ein von Unbekannten abgeschossenes Projektil zerfetzte in Donezk einen Linienbus und tötete mindestens 10 Menschen, verwundete weitere sieben. Kiew und Donezk beschuldigten sich gegenseitig. Wladimir Putin kritisierte den Bruch des Minsker Abkommens; die westlichen Unterstützer Kiews taten das Gleiche. Der Chef der Donezker Republik, Alexander Sachartschenko erklärte, ab sofort würden die Kämpfer der Volksrepubliken ihrerseits in die Offensive gehen. Damit war der Waffenstill von beiden Seiten beendet.
Aber, bitte! Sachartschenko kündigte keineswegs nur die neue Offensive an. Er erklärte auch: „Wenn Poroschenko kommt, werden wir sprechen“. Damit hat er unmissverständlich klar gemacht, worum es geht. Er und seine Leute werden keine Vermittlergespräche mehr akzeptieren, in denen über ihren Kopf hinweg über Rückzugslinien verhandelt wird, zu deren Einhaltung Russland sie anschließend motivieren soll, während Kiew gleichzeitig öffentlich zu neuen Offensiven mobilisiert.
Doch auch Steinmeier hat keineswegs nur von „Kriegstreiberei“ gesprochen. Er kommentierte die Tatsache, dass das Projektil nach Daten der in Donezk stationierten OSZE weder von Kiewer Truppen noch aus Donezker Gebiet, sondern von einem Ort zehn Kilometer entfernt in nordöstlicher Richtung von der Stadt kam, mit den Worten, offenbar gehe es „unter den Konfliktparteien starke und skrupellose Gruppen, die kein Interesse an einem Ende der Gewalt haben und deshalb sogleich alle laufenden Bemühungen hintertreiben.“ (FAZ, 24.01.2015)
Damit sind wir am Kern: Beim gegenwärtigen Stand des Ukrainischen Bürgerkrieges, gibt es offenbar inzwischen frei flottierende Kräfte, die sich der Einwirkung der definierbaren Konfliktparteien entziehen – sowohl der einen, die von den Westmächten ausgehend zu den Truppen Kiews verläuft, als auch der anderen, die von Moskau aus zu den Separatisten verläuft.
Und dies in mehrfach gestaffelter, grotesker Weise:
Völlig sinnlos sind die penetrant wiederholten Forderungen an die Adresse Putins, er solle dafür sorgen, dass die Donezker und Lugansker Freischärler die Waffen niederlegen und sich den Kiewer Friedensbedingen unterordnen. Die Republiken stehen nicht unter Moskauer Kommando, auch wenn Moskau Einfluss genommen hat, sondern folgten von Anfang an und folgen auch jetzt ihren eigenen Vorstellungen, die zunehmend sogar gegen Moskauer Vorstellungen von Ruhe und Ordnung an seiner Südflanke verstoßen. Die Republikchefs wiederum haben keineswegs die volle Kontrolle über die Volkskampfgruppen ihres Gebietes, die sich inzwischen, auch dies in zunehmendem Maße, zum Teil sogar gegenseitig bekämpfen.
Nicht viel anders ist es auf der anderen Seite, wenn auch mit anderem ideologischem Boden: Auch wenn von den Beteiligten inzwischen kein Geheimnis mehr daraus gemacht wird, dass Kiewer Politik in Washington, Brüssel und Berlin ausgerichtet wird, wie zuletzt an dem Besuch Arsenij Jazenjuks in Berlin deutlich geworden, dem die Offensive des ukrainischen Militärs gegen Donezk und Lugansk auf dem Fuße folgte, steht doch die Kiewer Regierung keineswegs unter direktem westlichem Kommando. Ist doch Präsident Poroschenko eher ein Getriebener der nationalistischen Scharfmacher im Umkreis seines Ministerpräsidenten Jazenjuk. Aber damit nicht genug, machen die unterschiedlichen privaten Milizen, bezahlt von selbstherrlichen Oligarchen, ihre eigene Politik, ganz zu schweigen von den offen faschistischen Verbänden, die immer wieder erklären, dass sie bereit seien auf Kiew zu marschieren, wenn die Regierung den Krieg gegen die „Terroristen“ nicht bis zu deren Vernichtung zu Ende führe.
Unter diesen Umständen geht es in der Ukraine zurzeit schon nicht mehr darum darüber zu grübeln, wer mit diesem unsäglichen Krieg „zuerst „angefangen“ hat , obwohl das auch wichtig ist, um die verklebte Kriegspropaganda aufzulösen; aber eher geht es jetzt wohl darum, wer zuerst aufhört – konkret darum, wie die vor Ort auf eigene Rechnung und für eigene Ziele kämpfenden Milizen befriedet und aufgelöst werden können.
Ein solcher Weg kann nur, wenn überhaupt, im direkten Gespräch zwischen den unmittelbaren Kriegsparteien gefunden werden, selbstverständlich unter Vermittlung einer dritten, neutralen Instanz, etwa der OSZE, aber eben direkt, Auge in Auge. Potentielle Partner sind die gewählten Repräsentanten der jeweiligen politischen Einheit, Kiew, Donezk, Lugansk, ungeachtet der unter den gegenwärtigen Umständen zweitrangigen Frage, ob die eine Seite die Wahlen der anderen Seite für legitim hält. Die Legitimität liegt inzwischen im faktischen Stand der Entfremdung. Wer dieses Gespräch verweigert oder auf andere Ebenen verschiebt, will den Krieg. Dann liegen die Gründe aber schon eindeutig nicht mehr in der Ukraine.
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