(Für Nichtjuristen)
In Betracht kommt dafür der rechtfertigende Notstand, den das Gesetz wie folgt normiert:
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für [das] Leben […] eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen […] abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. […]
Das Problem liegt in der Güterabwägung. Die Tat wäre nur dann gerechtfertigt, wenn das geschützte Interesse, also das Leben des Sohnes, das beeinträchtigte Interesse, nämlich das Leben der Passagiere, wesentlich überwiegt. Da jedoch alle Leben gleichwertig sind, scheidet eine Abwägung Leben gegen Leben von vornherein aus.
Teilweise wird vertreten, dass die Vorschrift ausnahmsweise auch bei einer Abwägung von Leben gegen Leben zur Rechtfertigung führt, wenn die Opfer keine Überlebenschance hätten. Diese Ansicht ist abzulehnen. Sie findet im Gesetz keine Stütze und relativiert die Gleichwertigkeit menschlichen Lebens.
So kennt das Gesetz nicht nur einen rechtfertigenden, sondern auch einen entschuldigenden Notstand:
Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für [das] Leben […] eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld. Dies gilt nicht, soweit dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen […]
Nach dieser Vorschrift ist der Vater, der den Zug in die Brücke hineinrasen lässt, um das Leben des Sohnes zu schützen, entschuldigt. Denn die Befolgung des Gesetzes, das den Totschlag verbietet, ist ihm in seiner Ausnahmesituation nicht zuzumuten.
Im Grunde handelt es sich bei dem Fall um die Abwandlung eines antiken Klassikers, der auf den griechischen Philosophen Karneades zurückgehen soll: Zwei Schiffbrüchigen steht ein im Wasser treibendes Holzbrett zur Verfügung, das jedoch nur eine Person tragen kann. Der eine Schiffbrüchige tötet den anderen, um mit Hilfe des Brettes sein Leben zu retten. Auch dieser Fall wäre nach deutschem Recht ein solcher des entschuldigenden Notstandes.
Darüber hinaus kennen und anerkennen Juristen übrigens noch einen entschuldigenden Notstand, der gar nicht im Gesetz steht. Er ist, wie man so schön sagt, übergesetzlich und heißt auch so: übergesetzlicher entschuldigender Notstand. Das Schulbuchbeispiel geht so: Ein führerloser Eisenbahnwagon rollt (auf Grund eines Gefälles) auf einen im Bahnhof stehenden Personenzug zu, der voll besetzt ist. Bei einer Kollision würden zahlreiche Passagiere sterben. Ein Weichensteller aber erkennt die Situation und stellt rechtzeitig eine Weiche um, wodurch er den Wagon auf ein anderes Gleis lenkt. Auf diesem Gleis befinden sich, was der Weichensteller weiß, fünf Gleisarbeiter, die durch das Handeln des Weichenstellers den sicheren Tod finden.
Ein gesetzlicher entschuldigender Notstand liegt nicht vor. Der Weichensteller hat zwar für eine Verkleinerung der Opferzahl gesorgt. Doch hat er die Gefahr nicht
von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person
abgewendet.
Ob stattdessen ein
übergesetzlicher entschuldigender Notstand zur Straflosigkeit führt, hängt davon ab, welche Voraussetzungen man dafür aufstellt. So lässt sich etwa vertreten, dass die Gefahr nicht auf gänzlich unbeteiligte Personen gelenkt werden darf, weil der Täter ansonsten gleichsam nur Schicksal spielt; nach dieser Auffassung wäre der Weichensteller wegen fünffachen Totschlags strafbar. Andererseits ist der Täter doch mit einer äußerst schwierigen Gewissensfrage konfrontiert, auf die er sehr kurzfristig eine Antwort finden muss; ein typisch kriminelles, ein insofern strafwürdiges Verhalten ist damit m.E. eher nicht verbunden. Die moralische Bewertung der Tat mag sehr schwerfallen, doch rein rechtlich scheint mir Nachsicht angezeigt.
Normen: §§ 32, 34 f. StGB.
(Sorry für den endlos langen Text, aber vllt hilft er dir weiter in deiner Problematik)
Ich persönlich würde meine Sohn retten, wobei ich sicher weiß, dass ich mir hinterher stake Vorwürfe machen würden, ob ich das richtige getan habe.