@Ken
Die Ethnogese bezeichnet den Prozess wenn ein Volk entsteht.Du schreibst
Ich hab eine Dissertation gelesen in der wissenschaftliche Eckpunkte genannt werden ab wann man von einem Volk sprechen kann.
Ich müsste später noch mal genauer nachschauen aber soweit ich mich erinnere wurde unter anderm die Gesetztgebung und Symboliken genannt.
Der Satz, den du zitiert hast, sollte zur Vernschaulichung des Grundlegenden Unterschieds der beiden Wissenschaften dienen. Während sich GW mit mehr oder wenger klar definierbaren Ereignissen beschäftigt, verfolgt die Ethnologie einen ganz anderen Ansatz. Das, was du in der Dissertation gelesen hast, widerspricht nicht meiner Ausführung. Ich kenne die Dissertation nicht, aber ich gehe davon aus, dass die Meinung war, dass die Kriterien (Eckpunkte) für eine Ethnogenese ziemlich klar definiert sind oder sein können. Aber die Ethnogenese selbst ist ein schleichender Prozess. Es ist nicht so, und das weisst du ja selbst, dass man von einem Moment auf den anderen eine vollzogene Ethnogenese hat, und den Vollzug bemerkt man ja erst im Nachhinein.
Etwas verwunderlich erachte ich aber die Gesetzgebung und Symboliken. Das hat für mich nichts mit einer Ethnogense zu tun. Gerade Gesetzgebung ist eher in der Staatskunde und in der Geschichtswissenschaft zu Hause, d.h., das ist eine Thematik die mich als Historiker betrifft. Gesetzgebungen sind in der Regel der Grundstein für Staatenbildungen. Mit einer Ethnogenese hat das aber nichts zu tun. Wie ich bereits geschrieben habe, vollzieht sich eine Ethnogenese aufgrund der Abgrenzung einer homogenen Gruppe von Menschen gegenüber den Nachbarn aufgrund von Sprache, Religion, Kultur und heute auch Zugehörigketsgefühl (Willensnation).
Fazit war das man von den Bewohnern BiHs vor dem Einfall der Osmanen höchstens von Stämmen sprechen kann.
Dem wage ich zu widersprechen, aber es hängt natürlich auch davon ab, welchen Ansatz man verfolgt. Diese Stämme waren in sich homogen und es kann durchaus sein, dass sie einander gegebenüber eine gewisse Heterogenität aufgewiesen haben, aber ich sehe keinerlei Hinweise darauf, dass diese Stämme aus ethnologischer Sicht so unterschiedlich waren, dass man von Ethnien sprechen könnte. Eine Ethnie kann ja durchaus aus verschiedenen Stämmen bestehen. Das würde heissen, dass diese Stämme zusammen durchaus als eine Ethnie angesehen werden können, auch wenn das damals nicht bewusst wahrgenommen wurde.
Während der Osmanischen Besatzung verhinderte die islamistische Staatsordnung der Osmanen eine vollständige Ethnogese.weil die Religionszugehörigkeit den Status im Reich bestimmte und die Menschen BiHs den Symboliken und Gesetzen der Osmanen folgten.
Man kann natürlich darüber streiten, ob es tatsächlich eine vollständige Ethnogense war. Damit sich eine Ethnogenese vollziehen kann, bedarf es lediglich die Erfüllung der erwähnten Kriterien. Wenn eine gewisse Gruppe im Reich dieselbe Sprache sprach, derselben Religion angehörte, den Alltag auf dieselbe Weise anging, sich gleich kleidete, sich gleich ernährte, etc. etc. und sich damit klar vom Rest der Menschen in der Region abgrenzte, dann haben wir eine vollzogene Ethnogenese, und ich bin der Meinung, dass zur Zeit der osmanischen Besatzung der Fall war. Die Moslems in BiH begannen sich doch ziemlich stark von den Christen zu unterscheiden. Je länger je mehr.
Die katholischen und serbischen Bewohner schlossen sich später jeweils den Nationalbewegungen Serbiens und Kroatiens an und wurde so Teil einer Nationalität bevor sie Teil eines Volkes wurden. Die Ethnogese der Bosniaken aber vollendete sich in der Zeit nach dem 1 WK bis zum Krieg in den 90ern begünstigt durch den fehlenden Schutz des Osmanischen Reiches und dem eigenen Bewusstsein gegenüber Serben und Kroaten.
Die Deklaration der Katholiken und Orthodoxen zum Kroaten- bzw. Serbentum aufgrund der Religion erfolgte erst später. Aber eine bewusse Deklaration hat wenig bis gar nichts mit der Ethnie zu tun. Selbst wenn der Katholik nördlich der Save dem Katholike südlich der Save gesagt hat, dass er doch kein Kroate sei, und auch derjenige südlich der Save sich auch nie als solcher sah, so unterschieden sie sich nicht im Geringsten, gehörten also aus ethnologischer Sicht derselben Nation an. Und ich bestreite ganz vehement, dass sich die Ethnogenese der Bosniaken erst in der Zeit nach dem 1. WK bis zum Krieg der 90er vollendete. In dieser Zeit rückte lediglich die bewusste Wahrnehmung der Andersartigkeit ins Zentrum und sie erhielten später auch die politische Möglichkeit, sich als eigenes Volk zu deklarieren. Mit der Ethnogenese hat das aber nichts zu tun. Du setzt voraus, dass eine Ethnogenese bzw. eine Volkszugehörigkeit etwas ganz bewusstes ist und heute spielt das eigene Zugehörigkeitsgefühl durchaus eine grosse Rolle, aber grundsätzlich ist es nichts weiter, als eine Gruppierung nach festgelegten Kriterien. Es ist im Prinzip dasselbe, wie wenn du verschiedenfarbige Murmeln sortierst. Da interessiert es dich auch nicht, ob eine blaue Murmel lieber zu den roten möchte.
In Serbien hat wohl der Heilige Sava den Grundstein für eine Ethnogese gelegt mit dem Verfassen des ersten serbischen Gesetzbuches und der Gründung der serbisch-orthodoxen Kirche.
Die orthodoxe Kriche bzw. der Glaube bzw. die Art des Glaubens, welche den Alltag bestimmte, war sicher ein wesentlicher Grundpfeilder der serbischen Ethnogenese. Das Gesetzbuch ist hierbei völlig irrelevant.
Wo siehst du oder die Wissenschaft den Grundstein der Ethnogese bei den heutigen Kroaten?
Der Grundstein selbst im Schisma, wobei hiermit noch keine Ethnogense vollzogen wurde, aber sie wurde damit eingeleitet, denn der Eckpfeiler des Kroatentums ist der Katholizismus. Wie erwähnt, unterschieden sich aber Katholiken und Orthodoxe nicht plötzlich über Nacht, nur weil sich die Kirche gespalten hat.
Ab wann sieht die Wissenschaft die Kriterien für eine Ethnogese/Volkwerdung erfüllt?
Wie gesagt: wenn eine homogene Gruppe von Menschen eine Interessengemeinschaft bildet, die sich aufgrund Sprache, Religion, Kultur, etc. deutlich von den Nachbarn unterscheidet.
Mir scheint, dass du denselben Fehler wie ich machst. Ich war durch und durch der Geschichstwissenschaftler, als ich mich mit Ethnologie zu befassen begann, und hatte Mühe damit, die Ansätze der beiden Wissenschaften ausseinander zu halten. Es macht durchaus Sinn, dass man Geschichte und Ethnologie zusammen durchleuchtet, aber man darf nicht vermischen, und doch passiert es verdammt schnell, besonders wenn man die eine Seite aus dem Effeff kennt, die andere Seite aber überhaupt nicht.
Mein Titel ist übrigens unglücklich gewählt. Natürlich bezieht sich diese Kurzabriss nicht nur auf BiH, sondern auf Kroaten, Serben und Bosniaken im Allgemeinen.
Nenn mal noch bsp für Europa
Italien