Muammar al-Gaddafi bekam den Tod, den er verdiente
So unappetitlich Gaddafis Ende auch war: Es passte zu einem, der sich wie ein Fisch im Wasser des Fernsehzeitalters bewegte und Gewalt so oft circensisch zelebrierte.
"Alle politischen Leben, es sei denn, sie wären mitten im Fluss in einem glücklichen Moment versiegt, enden als Scheitern", schrieb Enoch Powell, der umstrittene britische Politiker. "Weil so die Natur der Politik ist und auch die menschlicher Affären." Die Leben von Tyrannen zeigen dies mit besonderer Intensität: Ist der Tod eines demokratischen Führers lange nach der Pensionierung eine private Angelegenheit, so ist der
Tod eines Tyrannen ein politischer Akt, der den Charakter seiner Herrschaft widerspiegelt.
Foto: AFP Halloween-Masken von Gaddafi, Osama bin Laden und Saddam Hussein sind in einem Kostümladen in Chicago in diesem Jahr der Verkaufsschlager
Video
Muammar al-Gaddafi ist tot
Stirbt ein Tyrann friedlich im Bett, so wird sein Tod zum Theater seiner Macht. Wird ein Tyrann exekutiert und fleht, im Staube liegend, nach Gnade, dann spiegelt das auch das Wesen des gestürzten Regimes und die Reaktion eines unterdrückten Volkes. Nie war dies wahrer als beim Tode
Muammar al-Gaddafis. Der einzige Unterschied seines Todes zu dem all der anderen Tyrannen der Geschichte war, dass man ihn mit Handys filmte. Die gab es bei Caligula noch nicht.
Zerstückelt und kastriert
Trotz all der Handys und Pistolen lag doch etwas Biblisches in der wilden Szene, so elementar wie der Tod König Ahabs ("und die Hunde leckten sein Blut auf"). Mit Sicherheit war sein Tod nicht so fürchterlich wie der des byzantinischen Kaisers Andronicus I., dem der Mob Haare und Zähne ausriss und das schöne Gesicht mit kochendem Wasser verbrühte, bevor er ihn zerstückelte.
In moderner Zeit erinnern wir uns an die halb legale Exekution des rumänischen Diktators Ceausescu 1989 oder an den Tod des 23-jährigen Königs Feisal II. von Irak und seines verhassten Onkels, mit deren Köpfen man dann Fußball spielte. 1996 kastrierte man den prosowjetischen ehemaligen Präsidenten Afghanistans, Najibullah, schleifte ihn durch die Straßen und hängte ihn anschließend.
Abstoßender Lynchmord
Westliche Führer und Intellektuelle finden den Lynchmord an Gaddafi abstoßend. Bernard-Henri Levy ist gar besorgt, dass dies "das essenziell Moralische dieses Aufstandes" vergiften würde. Doch es gibt genug politische Gründe für die öffentliche Hinrichtung dieses Königs der Könige. Gaddafis Tyrannei war absolutistisch, monarchistisch und persönlich. Solange der Tyrann lebt, regiert und terrorisiert er. Schon Churchill sagte: "Diktatoren reiten auf Tigern und wagen nicht abzusteigen."
Video
Libyer bejubeln Nachricht von Gaddafis Tod
Nur der Tod kann den Fluch und das Unheil beenden, die auf einer solchen
Diktatur liegen. Und selbst dies reicht manchmal nicht, denkt man an Caligula. Die Römer fürchteten seinen Terror derart, dass selbst das Attentat ihnen nicht reichte. Sie wollten ihn tot sehen, fürchteten sie doch, es handele sich um einen Trick, und er lebte weiter. Auch die
Libyer, die sich in die kilometerlange Schlange einreihten, um den toten Gaddafi zu sehen, wollten Sicherheit.
Autoren der eigenen Zerstörung
Dieser Tod passte zu einem, der sich wie ein Fisch im Wasser des Fernsehzeitalters bewegte und die Gewalt so oft circensisch zelebriert hatte. Als er seine Mörder, die nie einen anderen Herrscher gekannt hatten, fragte, ob sie denn den Unterschied zwischen Recht und Unrecht wüssten, hatte er sie längst die Antwort gelehrt. Der so ruchlose wie brillante Sultan Baibar I. pflegte seine Gäste zu vergiften, bis er eines Tages, 1277, versehentlich eine vergiftete Kamelmilch trank und Opfer seiner selbst wurde.
Als
Stalin 1953 einen Hirnschlag erlitt, lag er zwölf Stunden im eigenen Urin, bis sich seine Vasallen trauten, Ärzte zu holen. Vorher hatte er Dutzende Ärzte wegen Verrats ins Gefängnis geworfen. So wurde er zum Autor der eigenen Zerstörung.
Wie Stalin eine Epoche prägte
Foto: pa / dpa Der spätere Diktator Stalin wurde am 6. Dezember 1878 als Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili in Georgien geboren. Man schätzt, dass Stalin für den Tod von 30 Millionen Menschen verantwortlich ist. Hier eine Darstellung der Sitzung des Petrograder Revolutionären Militärkomitees: Am Tisch sitzend hinten in der Mitte Stalin, rechts daneben Leo Trotzki, rechts stehend mit einem Brief in der Hand Wjatscheslaw Molotow.
Während legale Monarchen im Angesicht des Todes ihre Macht an den Erben weitergeben, müssen Tyrannen so lange wie möglich leben. Dies erklärt den inhumanen Kampf der Ärzte um das Leben Maos, Breschnews, Titos, Francos. Nur die genialen Nordkoreaner lösten dieses Problem, indem sie Kim Il-sung für unsterblich erklärten, ein ewiger Präsident.
Den Tod verpfuscht
Kann ein Tyrann nicht im eigenen Bett sterben, so will er wenigstens den eigenen Untergang selbst inszenieren, denn solche Charaktere können sich eine Existenz ohne Herrschaft nicht vorstellen. Der Narzisst Gaddafi leugnete zunächst die Tatsache der Revolution, um dann seine letzte, heroische Rolle zu spielen: die des aussichtslosen Kampfs bis zum letzten Atemzug. "Ich setzt' auf einen Wurf mein Leben / Und will der Würfel Ungefähr bestehn", sagt Shakespeares Richard III.
Gaddafi hätte seine Familie verschonen und Tausende Leben retten können, hätte er sich in eine Villa zurückgezogen, um irgendwann vor dem Internationalen Gerichtshof aufzutreten. Aber der Narzisst kann sich seinen Untergang nur vorstellen als theatralischen Abgang, bei dem seine Anhänger, seine Familie, sein Land von den Flammen des egomanen Nihilismus verzehrt werden. Gaddafi plante wohl einen Tod in der Schlacht, wie Richard III. oder Macbeth, vielleicht auch Selbstmord. Aber dieser monströse Poseur hat seinen eigenen Tod auch noch verpfuscht.
Hitlers Meisterklasse
Die Meisterklasse in Sachen Tod eines Tyrannen gab
Hitler. Während russische Truppen schon in Berlin kämpften, behielt er die Fäden lange genug in der Hand, um sein Testament zu machen, seine Hochzeit und seinen Selbstmord auszuführen: Kontrolle bis zur benzingetränkten Götterdämmerung in den Ministergärten.
Aber auch er erreichte nicht die brillante Würde des von seinen puritanischen Verfolgern als "blutig" denunzierten englischen Königs Karl I., dessen Haltung vor der Hinrichtung einen Standard setzte, von dem Gaddafi nur träumen konnte. "Ich bin ein Märtyrer des Volkes" sagte er im Angesicht des Schafotts. "Ich nehme Abschied von einer vergänglichen Krone, um eine unvergängliche zu erhalten, wo es keine Störung geben kann, keine Störung dieser Welt."
Aus dem Englischen von Andrea Seibel
Quelle:http://www.welt.de/debatte/kommenta...l-Gaddafi-bekam-den-Tod-den-er-verdiente.html