IZMIR ÜBÜL
Gesperrt
Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad steht massiv unter Druck. Die Justiz verhaftet mehrere seiner Anhänger, Parlamentarier planen ein Amtsenthebungsverfahren, der Machtkampf mit Ajatollah Chamenei ist voll entbrannt. Nun erregt auch noch ein grotesker Erweckungsfilm die Gemüter.
Hat der jordanische König Abdullah II. ein Muttermal auf seinem Rücken? Interessiert keinen, meinen Sie? Doch. Mit dieser Frage hat sich die Regierung von Mahmud Ahmadinedschad soeben ausführlich befasst.
Klingt bizarr, ist es auch - hat aber seine Gründe im schiitischen Volksglauben, der Irans Präsidenten und seinen Anhängern sehr am Herzen liegt. Teil dieses Glaubens ist es, dass der vor etwa einem Jahrtausend verschwundene und seither in Verborgenheit lebende zwölfte Imam al-Mahdi irgendwann wieder auf der Erde erscheinen und die Welt von Tyrannei und Dekadenz befreien wird. Weiter heißt es: Kurz vor Erscheinen des "Messias" werde ein Mann namens Abdullah in Jordanien regieren. Dieser Mann werde blaue Augen und braunes Haar haben - und ein Muttermal auf dem Rücken.
Ist Jordaniens derzeitiger König Abdullah also der Vorbote des Jüngsten Gerichts? Durch eine voyeuristische Aktion wollten Ahmadinedschads Anhänger Gewissheit über diese brennende Frage erlangen: Sie wollten das jordanische Staatsoberhaupt im März nach Iran einladen und es sodann beim Baden in einem Thermalbad heimlich beobachten.
Was wie der Plot einer Filmkomödie klingt, ist in Wahrheit eine veritable politische Enthüllung von Modschtaba Zolnur. Bis er vor einigen Tagen in Rente ging, war Zolnur der Vertreter des geistlichen Führers Ajatollah Chamenei bei der berüchtigten Revolutionsgarde. Der verrückte Badeplan sei dank Chameneis wachsamen Augen aufgeflogen, verkündete Zolnur - und fachte damit den Intrigenkrieg zwischen Ahmadinedschad und Chamenei weiter an.
"Der zwölfte Imam wird sich schon um den Rest kümmern"
Der iranische Präsident hat aus seinen apokalyptischen Überzeugungen nie einen Hehl gemacht. Er beginnt fast alle seine Reden, sogar vor der Uno-Generalversammlung in New York, mit einem Gebet für die Rückkehr des Imams al-Mahdi und prahlt oft damit, dass sich seine Regierung bemühe, den Weg dafür zu ebnen. Eifrige Apologeten aus seinem Umfeld haben vor einigen Monaten sogar einen Film über die Anzeichen des angeblich kurz bevorstehenden Erscheinens des schiitischen Retters veröffentlicht. In dem aus Fernsehschnipseln zusammengeklebten Streifen treten neben dem jordanischen König, der die Rolle des "bad guy" spielt, auch Ajatollah Chamenei und Präsident Ahmadinedschad auf: als Helden, die an der Seite des Imams gegen die Ungläubigen kämpfen.
Analysiere man Ahmadinedschads Charakter vor dem Hintergrund dieses sonderbaren Filmchens, finde man für fast alle seine Handlungen eine Erklärung, meint der im Pariser Exil lebende iranische Theologe Mohammad Javad Akbarein. "Als sich einige Leute in der Führungsschicht über den Konfrontationskurs des Präsidenten gegen den Westen besorgt zeigten, erwiderte er, der zwölfte Imam werde sich schon um den Rest kümmern", sagt Akbarein. "Wer solche abergläubischen Vorstellungen hat, braucht nicht mehr pragmatisch zu sein. Weil er daran glaubt, dass es immer einen Retter gibt, der am Ende alle seine Schlampereien in Ordnung bringt."
Der geistliche Führer Ajatollah Chamenei sah diesen Tendenzen des Präsidenten und dessen engsten Gefährten lange tatenlos zu, ja, unterstützte sie sogar teilweise, solange sie der Konsolidierung seiner eigenen Macht dienten. Das Blatt wendete sich jedoch im April, als Ahmadinedschad gegen den Willen Chameneis den Geheimdienstminister entlassen wollte. Dadurch wollte die "Strömung der Abweichler" - so verunglimpft der traditionelle schiitische Klerus Ahmadinedschads Umfeld - 150 Sitze im Parlament erobern. Chamenei pfiff jedoch den Präsidenten zurück, wofür dieser sich wiederum "revanchierte", indem er elf Tage lang nicht zur Arbeit erschien. Auch jetzt zeigt sich Ahmadinedschad noch störrisch. Iranischen Berichten zufolge akzeptiert er den unliebsamen Minister, der als Gefolgsmann seines Kontrahenten Chamenei gilt, immer noch nicht als vollberechtigtes Mitglied seines Kabinetts.
Spott für Ahmadinedschads apokalyptische Hirngespinste
Spätestens seit diesem offenen Zerwürfnis ist Ahmadinedschad auf dem Abstiegskurs. Chameneis Anhänger spotten in aller Öffentlichkeit über seine apokalyptischen Hirngespinste, mehrere seiner Gefährten wurden unter dem Vorwurf der "Abweichung vom Islam" und der Korruption verhaftet. Dieser harte Kurs werde nun "täglich" fortgesetzt, droht Chameneis Büttel Zolnur. Er geißelt die "Strömung der Abweichler" als "gefährlicher" als alle anderen Oppositionsgruppen für das islamische Regime und behauptet, die Abweichler stellten die Notwendigkeit der Herrschaft des geistlichen Führers in Frage. Das kommt in Irans theokratischem System fast schon einem politischen Todesurteil gleich.
Außerdem geben solche Vorwürfe auch Parlamentsabgeordneten ausreichend Grund, den Druck auf Ahmadinedschad zu erhöhen. Am Sonntag sammelten sie 100 Unterschriften, um ihn zu einer Anhörung vorzuladen. Verzögerungen bei der Finanzierung der Teheraner U-Bahn, Trödelei bei der Nominierung des Sportministers und mangelhafte Durchführung des Kopftuchgesetzes gehören zu den Punkten, in denen der Präsident sich nun vor den Parlamentariern rechtfertigen soll - und das könnte erst der Anfang sein. Wegen weiterer "Vergehen" habe Ahmadinedschad bereits zwei "Gelbe Karten" vom Parlament bekommen, wettert der einflussreiche Abgeordnete Fazel Mousavi. Bei der dritten drohe dem Präsidenten ein Amtsenthebungsverfahren. Der Vorstand des Parlaments reagiert indes nicht ganz so harsch und versucht, die Kritiker des Präsidenten zu beruhigen.
"Ahmadinedschad hat in seiner Regierungszeit drei Phasen durchlebt", erklärt Theologe Akbarein. "In der ersten Phase half er dem geistlichen Führer Chamenei, dessen Macht auszuweiten. In der zweiten wurde er wahnhaft und rebellierte gegen das Lager des Führers, wofür er immer noch bestraft wird. In der dritten Phase versucht nun Chamenei, Ahmadinedschad zu verunglimpfen - auch deshalb, um bei der nächsten Wahl mehr Leute an die Urnen zu holen." Denn Millionen Menschen sind angesichts der brutalen Unterdrückung der Proteste nach den Präsidentschaftswahlen 2009 noch immer desillusioniert, viele haben sich vom Regime abgewandt. Um sie wieder als Bürger zu mobilisieren, braucht es etwas, wogegen sie sich engagieren können - und sei es ein Stimmungsmacher vom Schlage Ahmadinedschads.
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Machtkampf in Iran: Intrigen, Spionage, Aberglaube - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - Politik
Hat der jordanische König Abdullah II. ein Muttermal auf seinem Rücken? Interessiert keinen, meinen Sie? Doch. Mit dieser Frage hat sich die Regierung von Mahmud Ahmadinedschad soeben ausführlich befasst.
Klingt bizarr, ist es auch - hat aber seine Gründe im schiitischen Volksglauben, der Irans Präsidenten und seinen Anhängern sehr am Herzen liegt. Teil dieses Glaubens ist es, dass der vor etwa einem Jahrtausend verschwundene und seither in Verborgenheit lebende zwölfte Imam al-Mahdi irgendwann wieder auf der Erde erscheinen und die Welt von Tyrannei und Dekadenz befreien wird. Weiter heißt es: Kurz vor Erscheinen des "Messias" werde ein Mann namens Abdullah in Jordanien regieren. Dieser Mann werde blaue Augen und braunes Haar haben - und ein Muttermal auf dem Rücken.
Ist Jordaniens derzeitiger König Abdullah also der Vorbote des Jüngsten Gerichts? Durch eine voyeuristische Aktion wollten Ahmadinedschads Anhänger Gewissheit über diese brennende Frage erlangen: Sie wollten das jordanische Staatsoberhaupt im März nach Iran einladen und es sodann beim Baden in einem Thermalbad heimlich beobachten.
Was wie der Plot einer Filmkomödie klingt, ist in Wahrheit eine veritable politische Enthüllung von Modschtaba Zolnur. Bis er vor einigen Tagen in Rente ging, war Zolnur der Vertreter des geistlichen Führers Ajatollah Chamenei bei der berüchtigten Revolutionsgarde. Der verrückte Badeplan sei dank Chameneis wachsamen Augen aufgeflogen, verkündete Zolnur - und fachte damit den Intrigenkrieg zwischen Ahmadinedschad und Chamenei weiter an.
"Der zwölfte Imam wird sich schon um den Rest kümmern"
Der iranische Präsident hat aus seinen apokalyptischen Überzeugungen nie einen Hehl gemacht. Er beginnt fast alle seine Reden, sogar vor der Uno-Generalversammlung in New York, mit einem Gebet für die Rückkehr des Imams al-Mahdi und prahlt oft damit, dass sich seine Regierung bemühe, den Weg dafür zu ebnen. Eifrige Apologeten aus seinem Umfeld haben vor einigen Monaten sogar einen Film über die Anzeichen des angeblich kurz bevorstehenden Erscheinens des schiitischen Retters veröffentlicht. In dem aus Fernsehschnipseln zusammengeklebten Streifen treten neben dem jordanischen König, der die Rolle des "bad guy" spielt, auch Ajatollah Chamenei und Präsident Ahmadinedschad auf: als Helden, die an der Seite des Imams gegen die Ungläubigen kämpfen.
Analysiere man Ahmadinedschads Charakter vor dem Hintergrund dieses sonderbaren Filmchens, finde man für fast alle seine Handlungen eine Erklärung, meint der im Pariser Exil lebende iranische Theologe Mohammad Javad Akbarein. "Als sich einige Leute in der Führungsschicht über den Konfrontationskurs des Präsidenten gegen den Westen besorgt zeigten, erwiderte er, der zwölfte Imam werde sich schon um den Rest kümmern", sagt Akbarein. "Wer solche abergläubischen Vorstellungen hat, braucht nicht mehr pragmatisch zu sein. Weil er daran glaubt, dass es immer einen Retter gibt, der am Ende alle seine Schlampereien in Ordnung bringt."
Der geistliche Führer Ajatollah Chamenei sah diesen Tendenzen des Präsidenten und dessen engsten Gefährten lange tatenlos zu, ja, unterstützte sie sogar teilweise, solange sie der Konsolidierung seiner eigenen Macht dienten. Das Blatt wendete sich jedoch im April, als Ahmadinedschad gegen den Willen Chameneis den Geheimdienstminister entlassen wollte. Dadurch wollte die "Strömung der Abweichler" - so verunglimpft der traditionelle schiitische Klerus Ahmadinedschads Umfeld - 150 Sitze im Parlament erobern. Chamenei pfiff jedoch den Präsidenten zurück, wofür dieser sich wiederum "revanchierte", indem er elf Tage lang nicht zur Arbeit erschien. Auch jetzt zeigt sich Ahmadinedschad noch störrisch. Iranischen Berichten zufolge akzeptiert er den unliebsamen Minister, der als Gefolgsmann seines Kontrahenten Chamenei gilt, immer noch nicht als vollberechtigtes Mitglied seines Kabinetts.
Spott für Ahmadinedschads apokalyptische Hirngespinste
Spätestens seit diesem offenen Zerwürfnis ist Ahmadinedschad auf dem Abstiegskurs. Chameneis Anhänger spotten in aller Öffentlichkeit über seine apokalyptischen Hirngespinste, mehrere seiner Gefährten wurden unter dem Vorwurf der "Abweichung vom Islam" und der Korruption verhaftet. Dieser harte Kurs werde nun "täglich" fortgesetzt, droht Chameneis Büttel Zolnur. Er geißelt die "Strömung der Abweichler" als "gefährlicher" als alle anderen Oppositionsgruppen für das islamische Regime und behauptet, die Abweichler stellten die Notwendigkeit der Herrschaft des geistlichen Führers in Frage. Das kommt in Irans theokratischem System fast schon einem politischen Todesurteil gleich.
Außerdem geben solche Vorwürfe auch Parlamentsabgeordneten ausreichend Grund, den Druck auf Ahmadinedschad zu erhöhen. Am Sonntag sammelten sie 100 Unterschriften, um ihn zu einer Anhörung vorzuladen. Verzögerungen bei der Finanzierung der Teheraner U-Bahn, Trödelei bei der Nominierung des Sportministers und mangelhafte Durchführung des Kopftuchgesetzes gehören zu den Punkten, in denen der Präsident sich nun vor den Parlamentariern rechtfertigen soll - und das könnte erst der Anfang sein. Wegen weiterer "Vergehen" habe Ahmadinedschad bereits zwei "Gelbe Karten" vom Parlament bekommen, wettert der einflussreiche Abgeordnete Fazel Mousavi. Bei der dritten drohe dem Präsidenten ein Amtsenthebungsverfahren. Der Vorstand des Parlaments reagiert indes nicht ganz so harsch und versucht, die Kritiker des Präsidenten zu beruhigen.
"Ahmadinedschad hat in seiner Regierungszeit drei Phasen durchlebt", erklärt Theologe Akbarein. "In der ersten Phase half er dem geistlichen Führer Chamenei, dessen Macht auszuweiten. In der zweiten wurde er wahnhaft und rebellierte gegen das Lager des Führers, wofür er immer noch bestraft wird. In der dritten Phase versucht nun Chamenei, Ahmadinedschad zu verunglimpfen - auch deshalb, um bei der nächsten Wahl mehr Leute an die Urnen zu holen." Denn Millionen Menschen sind angesichts der brutalen Unterdrückung der Proteste nach den Präsidentschaftswahlen 2009 noch immer desillusioniert, viele haben sich vom Regime abgewandt. Um sie wieder als Bürger zu mobilisieren, braucht es etwas, wogegen sie sich engagieren können - und sei es ein Stimmungsmacher vom Schlage Ahmadinedschads.
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Machtkampf in Iran: Intrigen, Spionage, Aberglaube - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - Politik