Rechtsruck in Polen
Jens Mattern 27.10.2015
Die geplante "moralische Erneuerung" des Landes kann beginnen
Die
nationalkonservative Partei hat nach der offiziellen Bekanntgabe der polnischen Wahlkommission in der Nacht auf Dienstag 37,58 Prozent der abgegebenen Stimmen
erhalten. Erstmals seit der Wende 1989 wird eine politische Gruppierung in Polen voraussichtlich alleine regieren.
Im schwarzen Anzug und in schwarzer Krawatte
widmete Kaczynski am Sonntagabend nach ersten Hochrechnungen den Sieg dem verstorbenen Bruder Lech, der als Präsident Polens 2010 bei Smolensk tödlich mit dem Flugzeug abstürzte. "Herr Präsident, ich vermelde, Auftrag ausgeführt!", rief er ihm zu.
Gegen die vielen sozialen Versprechungen der PiS, gegen den Vorwurf, eine vom Volk entfremdete Elite zu sein, vermochte die Regierungspartei "Bürgerplattform" (PO) keine Gegenstrategie zu finden (
Das Comeback von Kaczynski). Die Noch-Regierungschefin Ewa Kopacz verwies auf die Stabilität, das Wirtschaftswachstum im Land, und kämpfte angesichts eines schwachen Ergebnisses mit den Tränen. Seit 2007 war die konservativ-liberale PO an der Macht und konnte den damals autoritär regierenden Jaroslaw Kaczynski ablösen. Die Partei steht vor einem Neuanfang, der ehemalige Außenminister Radoslaw Sikorski verlangt ein Auswechseln der Führungsspitze angesichts eines Ergebnisses von 24,09 Prozent.
Jaroslaw Kaczynski gratuliert Beata Szydło. Bild: PiS
Der Trend geht in Polen jedenfalls nach rechts, wobei unter "rechts" in Polen mehr Patriotismus, mehr Kirche, mehr Behauptung gegenüber Brüssel sowie ein sozialdemokratischer Versorgungsstaat gemeint ist.
Die "Vereinigte Linke", der der ehemalige Premier Leszek Miller angehört, konnte dem nicht viel entgegensetzen und kam nicht über die Acht-Prozent-Hürde, die bei Parteienbündnissen in Polen für den Sejm gilt. Die Partei "razem" (Zusammen), im Mai gegründet, schaffte hingegen fast die Fünf-Prozent-Hürde und wird wohl das Gesicht der neuen Linken sein. Dank des Alters seiner Mitglieder ohne postkommunistische Altlasten.
Als drittstärkste Kraft etablierte sich die populistische Partei
"Kukiz15" des Rocksängers Pawel Kuzik mit 8,81 Prozent. Der charismatische Volksbarde verlangt eine stärkere Mitbestimmung der Bürger, holt gern das Feindbild Deutschland aus der rhetorischen Mottenkiste und ist grundsätzlich bereit, mit der PiS zusammen zu arbeiten. Auch in der Änderung der Verfassung will Kukiz Kaczynski beistehen - dort solle der Katholischen Kirche, die die PiS im Wahlkampf unterstützte, noch mehr Rechte eingeräumt und die Judikative zugunsten der Regierung eingeschränkt werden. So zumindest die
Verfassungsreform von 2010, die kurz vor der Wahl aus dem Netz genommen wurde, um gemäßigtere Wähler nicht abzuschrecken.
Die PiS, das ist vor allem der 66-jährige Strippenzieher Jaroslaw Kaczynski
Zur Änderung der 1997 per Volksentscheid angenommenen Verfassung braucht die PiS 307 Stimmen von 460 Abgeordneten im Sejm, die sie nach derzeitigem Stand nicht aufbringen kann. Aber sie kann Parlamentarier abwerben. Dazu gehört vielleicht der ehemalige Koalitionspartner PSL, die mit 5,13 Prozent ein eher marginales Dasein im Sejm fristen will. Klare Opposition zur PiS bildet die marktradikale Partei "Modernes Polen" mit 7,6 Prozent, ihnen ist die PO zu langsam mit der Privatisierung fortgeschritten. "Wir brauchen die Bündelung aller Kräfte, um die liberale Demokratie zu schützen", meint darum fast flehentlich die liberale Gazeta Wyborcza am Montag.
Doch auch so hat die PiS einiges an Instrumenten, um Polen nach ihrem Sinne zu verändern. Die PiS, das ist vor allem der 66-jährige Strippenzieher Jaroslaw Kaczynski. So wird Präsident Andrzej Duda, gewählt im Mai, kaum Gesetzesentwürfe blockieren. Er wurde von Kaczynski als Kandidat im Dezember bestimmt, dessen Wahlkampfleiterin Beata Szydlo wird nun das Amt des Premiers übernehmen.
Eigene Akzente sind von ihr nicht zu erwarten, sie kann auch schnell vom Chef persönlich ersetzt werden. Einfluss auf den PiS-Chef hat vielmehr der ungarische Premier Victor Orban mit seiner autoritären Staatsführung. Auch in der rigorosen Flüchtlingspolitik will Kaczynski ihm nacheifern. In dieser Frage ist ein Konflikt mit der EU und Deutschland vorprogrammiert. Kaczynski, Doktor der Rechte, hat schon angekündigt, in Brüssel um die "Wahrung der nationalen Interessen" kämpfen zu wollen. Die Erfahrung aus der Regierungszeit 2005 bis 2007 zeigt, dass er oft Bedingungen an gute Beziehungen mit außenpolitischen Partnern knüpft, die diese zu erfüllen haben. Doch zuerst wird man in der PiS es mit einer positiven Symbolpolitik mit Deutschland versuchen.
Auch der Kreml sieht die Wahl eher skeptisch, es gebe eine "Komplizierung" der russisch-polnischen Beziehungen, so der Chef des außenpolitischen Ausschusses der Duma, Konstantin Kosatschow. , der die Partei "nationalistisch"
nennt.
Wenig gefallen dürfte dem östlichen Nachbarn das Forcieren der polnischen Aufrüstung. Das derzeitige Verteidigungsministerium hat für die Jahre 2013 -2022 Ausgaben von über 130 Milliarden Zloty (30,5 Milliarden Euro) vorgesehen, Kaczynski will die Ausgaben
erhöhen, da man sich nicht allein auf den Bündnispartner NATO verlassen könne.
Konfliktpontential hat auch das Thema "Smolensk". Für Kaczynski persönlich ist die Aufklärung des Absturzes am wichtigsten, viele PiS-Anhänger gehen von einem Anschlag aus, sie verlangen eine internationale Kommission und das Herausgeben des Wracks, das immer noch von Russland zurück gehalten wird. Für den nächsten Jahrestag, den 10. April, kündigte er bereits "die Wahrheit" über den Hergang an.
Kaczynski sieht auch eine Schuld bei den Politikern der Regierungspartei PO, die nicht genug für die Aufklärung der Schuld getan hätten. "Ich will keine Vergeltung", sagte er mehrfach, auch am Wahlabend. Und
relativierte das zugleich: "Diejenigen, die am Boden liegen, sollen nicht noch getreten werden."
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War halt klar das das alles passiert und das die politische Situation in Polen und in Europa sich auf etwas zubewegt, was einem echt Angst machen kann.
Ob es da einen Zusammenhang mit der derzeitigen Weltpolitischen Lage gibt? Flüchtlinge, Kriege etc. ? Ich denke ja.
Die Rattenfänger brauchen nicht mehr nur am Rechten Rand zu fischen.
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Was die Systemfrage betrifft: Wir leben immer noch im Kapitalismus.^^ ;-)
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[h=1]Polen: Streit um das Verfassungsgericht[/h]
Jens Mattern 04.12.2015
[h=2]Regierung versucht mit der blitzartigen Neubesetzung des Verfassungsgerichts die nationalpatriotische Umgestaltung der Gesellschaft zu sichern[/h] Der polnische Streit um das Verfassungsgericht eskaliert. In der Nacht auf den Donnerstag hat Staatspräsident Andrzej Duda in einem obskuren Eilverfahren vier von fünf Richtern, die durch die regierende Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) Sejm am Mittwoch für das Verfassungsgericht gewählt wurden, vereidigt. Diese fünf sollten fünf andere Richter ersetzen, die die alte Sejm-Besetzung am 9. Oktober, kurz vor der Parlamentswahl Ende Oktober, bestimmt hatte. Ihnen hatte der Präsident, der der PiS entstammt, die Vereidigung verweigert. Damals regierte noch die konservativ-liberale Regierungspartei "Bürgerplattform" (PO).
Nun hat das Verfassungsgericht die Wahl von drei der im Oktober gewählten Richter als rechtmäßig
erklärt, die von zwei aus Termingründen jedoch nicht. Der Präsident wurde zudem von dem Gericht aufgefordert, die besagten drei zu vereidigen. Das Urteil sei nicht anzufechten, so das Gericht.
Die nationalkonservative PiS sieht das Verfassungsgericht jedoch als nicht zuständig an, da es in eigener Sache urteile. Dabei war es zu tumultartigen Szenen im und vor dem Sejm gekommen. Oppositionelle Abgeordnete wedelten mit der Verfassung herum. Das liberale Polen fürchtet, dass die PiS mit einem von ihren Richtern dominierten Verfassungsgericht die Verfassung missachten kann und eine Art Diktatur errichtet. Seit Mitte November regiert Beata Szydlo als Premierministerin, als wahrer Chef wird allerdings PiS-Parteivorsitzender Jaroslaw Kaczynski angesehen, der sich eine nationalkonservative Umerziehung der polnischen Bevölkerung vorgenommen hat.
"Wir stehen vor dem großen Test, inwieweit die polnische Gesellschaft eine staatsbürgerliche ist",
sagte letzte Woche Leszek Balcerowicz, der erste Finanzminister Polens nach der Wende und als Polens eiserner Reformer bekannt. Sein ehemaliger Berater Ryszard Petru ist Chef der neugegründeten marktradikalen Partei "Die Modernen", welche sich im Sejm am lautesten gegen die PiS ausspricht. Jedoch: Vertreter der Bankenwirtschaft funktionieren in Polen nicht als Volkstribune.
Jaroslaw Kaczynski, Doktor der Rechte, konnte hingegen nach der Wahl mit seiner radikalen Politik und dem Schlagwort, das Land liege in Ruinen, weiter Vertrauen schöpfen. Mittlerweile 42 Prozent Zustimmung erfährt die Partei mit dem Schwerpunkt auf Patriotismus und sozialdemokratischer Verteilungspolitik. Die Einführung von Kindergeld und die Senkung des Rentenalters soll unter anderem durch die
Besteuerung von Banken und ausländischen Supermärkte geschehen.
Anhänger des "Komitees zur Verteidigung der Demokratie" protestieren vor dem Verfassungsgericht. Bild: J. Mattern
[h=3]"Jaroslaw Kaczynski denkt, der Gewinner darf alles nehmen"[/h] Die ehemalige Regierungspartei "Bürgerplattform" (PO), die Polen acht Jahre lange dominierte, ist nach Umfragen auf 16 Prozent der Wähler zurückgefallen. Aber die Opposition zeigt sich außerhalb des Parlaments. Gegner und Befürworter der Regierung belagerten und beschimpften sich am Mittwoch vor dem Sejm, das Szenario wiederholte sich am Donnerstag vor dem Verfassungsgericht.
Etwa zweihundert Demonstranten des
"Komitees zur Verteidigung der Demokratie" (KOD) skandierten "Staatsrecht ist unsere Sache", "Polnisches Recht Demokratie". Der Name ist bewusst an den Vorgänger der Solidarnosc-Gewerkschaft angelehnt, das "Komitee zur Verteidigung der Arbeiter" (KOR). Gegründet wurde die Vereinigung via Facebook von einem angeblich bisher unpolitischen Informatiker.
Auch Mariusz Malangiewicz hatte sich sich bislang noch nicht politisch engagiert, er gab den Ordner auf der KOD-Demonstration. "Wir wollen die Demokratie erhalten, es geht nicht um eine politische Richtung", meint der Logistiker gegenüber dem Autor dieser Zeilen noch am Morgen vor dem Urteil.
"Das erinnert mich an die PRL (
Volksrepublik Polen),
meint Janusz Onyszkiewicz, der als Zaungast auf das Verfassungsgericht blickte. Der ehemalige Verteidigungsminister will allerdings nicht so weit wie gehen, die neue Regierung mit der damaligen sozialistischen Kadern zu vergleichen, wie es bereits einige Kritiker tun. "Jaroslaw Kaczynski denkt, der Gewinner darf alles nehmen", sagt der 77-jährige über den Parteichef der PiS. "Doch darum geht es nicht bei einer Demokratie", so der einstige Pressesprecher der Solidarnosc.
Janusz Onyszkiewicz: "Das erinnert mich an die PRL." Bild: J. Mattern
Auch Herr Macjej, auf der anderen Seite des Polizeikordons, fühlt sich an früher erinnert. "Das sind die Postkommunisten", meint der pensionierte Informatiker zu den KOD-Demonstranten. Auf seiner Seite sind die Menschen älter und nicht so zahlreich. "Die Regierung handelt richtig, sie braucht Handlungsspielraum und das polnische Verfassungsgericht hat bislang zu viel Macht gehabt."
Dabei hat das Verfassungsgericht in der letzten Zeit einige Urteile zum Schutz des Bürgers erlassen. So dürfen Geheimdienste nicht mehr (theoretisch) in die Rechnujgsstellungen der polnischen Bürger einsehen, dem Justizminister ist die Gerichts-Akteneinsicht
verwehrt.
Aufgeben wird der geduldige Stratege Jaroslaw Kaczynski ganz sicher nicht. Staatspräsident Andrzej Duda, wie Kaczynski Doktor der Rechte, verteidigte in einer Ansprache an die Nation seine blitzartige Vereidigung der Richter, ohne sich direkt auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts zu beziehen. Duda kündigte eine Arbeitsgruppe an, die ein neues Gesetz zum Verfassungsgericht ausarbeiten soll. Doch welche Richter können nun ihr Amt im Verfassungsgericht antreten? Dies ist weiterhin unklar. In Polen herrscht eine Patt-Situation.
http://www.heise.de/tp/artikel/46/46762/1.html