
Der Mann, der die Mauer aus Licht baute und den Staat filmte
Es war eine Nacht, die in Chongqing so hell leuchtete wie selten zuvor – nicht wegen der Neonfassaden der Megacity, sondern wegen eines einzelnen Projektors. Um 22 Uhr, wenige Tage vor der großen Militärparade in Peking, erschienen auf einer Hauswand mitten im Universitätsviertel gewaltige Schriftzüge: „Nur ohne die Kommunistische Partei kann es ein neues China geben.“ Wenige Sekunden später flammte ein zweiter Satz auf: „Keine Lügen mehr, wir wollen die Wahrheit. Keine Sklaverei mehr, wir wollen Freiheit.“ Eine Botschaft wie ein Donnerschlag – in einer Stadt mit 30 Millionen Menschen, in einem Land, in dem jede Abweichung von der Parteilinie verfolgt wird. Die Behörden brauchten fast eine Stunde, um den Ursprung des Lichts zu finden. Schließlich stürmten fünf Polizisten ein Hotelzimmer, rissen die Vorhänge auf, schalteten den Projektor aus – und blickten direkt in eine Kamera, die auf sie gerichtet war. Auf dem Tisch lag ein handgeschriebener Brief: „Auch wenn ihr heute Nutznießer des Systems seid, eines Tages werdet ihr zwangsläufig Opfer auf diesem Land werden. So behandelt die Menschen bitte mit Güte.“ Wenige Stunden später ging das Video der Razzia online und verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Zum ersten Mal war der Überwachungsstaat selbst das Objekt der Überwachung geworden.
Der Mann hinter dieser Inszenierung heißt Qi Hong. Er hatte China bereits neun Tage zuvor mit Frau und Töchtern verlassen und aus sicherer Entfernung in Großbritannien den Projektor aktiviert, den Polizeieinsatz aufgezeichnet und zusammengeschnitten. „Mein einziger Wunsch war, mich auszudrücken“, sagte er später. „Die Partei installiert Kameras, um uns zu beobachten. Ich dachte, ich könnte dieselbe Methode nutzen, um sie zu beobachten.“ Das Video war mehr als ein Protest – es war eine Parabel auf ein Land, das von rund 700 Millionen Überwachungskameras beobachtet wird, von Gesichtserkennungssoftware, Big-Data-Profilen, Drohnen und einem Sozialkreditsystem, das die kleinsten Abweichungen registriert. Qi drehte die Logik um, und Millionen sahen dabei zu. Innerhalb von vier Tagen erreichten die Clips über 18 Millionen Aufrufe auf chinesischsprachigen Plattformen. „Qi Hong hat die Polizei ausgetrickst, das staatliche Maschinerie überlistet – und sie konnten kaum etwas dagegen tun“, sagte der Blogger Li Ying, der die Videos verbreitete. „Das war ein Schlag gegen den Mythos totaler Kontrolle.“
kaizen-blog.org
Es war eine Nacht, die in Chongqing so hell leuchtete wie selten zuvor – nicht wegen der Neonfassaden der Megacity, sondern wegen eines einzelnen Projektors. Um 22 Uhr, wenige Tage vor der großen Militärparade in Peking, erschienen auf einer Hauswand mitten im Universitätsviertel gewaltige Schriftzüge: „Nur ohne die Kommunistische Partei kann es ein neues China geben.“ Wenige Sekunden später flammte ein zweiter Satz auf: „Keine Lügen mehr, wir wollen die Wahrheit. Keine Sklaverei mehr, wir wollen Freiheit.“ Eine Botschaft wie ein Donnerschlag – in einer Stadt mit 30 Millionen Menschen, in einem Land, in dem jede Abweichung von der Parteilinie verfolgt wird. Die Behörden brauchten fast eine Stunde, um den Ursprung des Lichts zu finden. Schließlich stürmten fünf Polizisten ein Hotelzimmer, rissen die Vorhänge auf, schalteten den Projektor aus – und blickten direkt in eine Kamera, die auf sie gerichtet war. Auf dem Tisch lag ein handgeschriebener Brief: „Auch wenn ihr heute Nutznießer des Systems seid, eines Tages werdet ihr zwangsläufig Opfer auf diesem Land werden. So behandelt die Menschen bitte mit Güte.“ Wenige Stunden später ging das Video der Razzia online und verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Zum ersten Mal war der Überwachungsstaat selbst das Objekt der Überwachung geworden.
Der Mann hinter dieser Inszenierung heißt Qi Hong. Er hatte China bereits neun Tage zuvor mit Frau und Töchtern verlassen und aus sicherer Entfernung in Großbritannien den Projektor aktiviert, den Polizeieinsatz aufgezeichnet und zusammengeschnitten. „Mein einziger Wunsch war, mich auszudrücken“, sagte er später. „Die Partei installiert Kameras, um uns zu beobachten. Ich dachte, ich könnte dieselbe Methode nutzen, um sie zu beobachten.“ Das Video war mehr als ein Protest – es war eine Parabel auf ein Land, das von rund 700 Millionen Überwachungskameras beobachtet wird, von Gesichtserkennungssoftware, Big-Data-Profilen, Drohnen und einem Sozialkreditsystem, das die kleinsten Abweichungen registriert. Qi drehte die Logik um, und Millionen sahen dabei zu. Innerhalb von vier Tagen erreichten die Clips über 18 Millionen Aufrufe auf chinesischsprachigen Plattformen. „Qi Hong hat die Polizei ausgetrickst, das staatliche Maschinerie überlistet – und sie konnten kaum etwas dagegen tun“, sagte der Blogger Li Ying, der die Videos verbreitete. „Das war ein Schlag gegen den Mythos totaler Kontrolle.“

Der Mann, der die Mauer aus Licht baute und den Staat filmte
Die Rache folgte sofort: Polizei verhörte seine Mutter vor ihrem Haus, nahm seinen Bruder und einen Freund in Gewahrsam. Qi wusste, dass sein Schritt nicht folgenlos bleiben würde. Doch er sieht sich nicht als Held. „Ich bin nicht mutig“, sagt er, „aber ich konnte nicht länger schweigen.“ Seine...
