Warum ältere Menschen derzeit aus Deutschland einen Ort von Hass und Missgunst machen
Mal im Ernst, Deutschland: Was ist eigentlich los mit dir?
Es ist völlig absurd. Seit fast zehn Jahren erlebt die Bundesrepublik ein zweites Wirtschaftswunder. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie nie seit der Wende. Im Grunde sind die Deutschen ja auch optimistisch, was ihre eigene Zukunft betrifft.
Und doch jagt nun schon seit Jahren eine Angstdebatte die nächste. Die Deutschen haben eine masochistische Lust am Weltuntergang entwickelt, der bisweilen in Frust, Hass und Gewalt umschlägt. Und meist sind die Protagonisten dieser „Apocalypse Now“-Bewegung eher ältere Bürger, die einen tief sitzenden Groll auf das System pflegen.
Dieser selbstzerstörerische Gestus hat mittlerweile eine lange Traditionslinie.
Immer wieder neue Angstwellen
Zuerst wärmten sich die Angstdeutschen an dem Gedanken, dass die Finanzkrise zum Zusammenbruch des gesamten Wirtschaftssystems führen könnte.
Seit 2008 gibt es jedes Jahr neue Mahner, die für das jeweils kommende Jahr die Verwandlung Deutschlands in eine postnukleare Trümmerlandschaft predigen. Allein: Wahr geworden ist von all diesen Horrorvisionen bisher keine.
Als Griechenland dann 2010 ins Schlingern geriet, fixierte sich die deutsche Lust am Weltuntergang auf Südeuropa. Der Subtext wurde hässlicher. Die „gierigen Griechen“ seien dafür verantwortlich, dass Oma Lübcke in Böblingen um ihr klein Häuschen fürchten müsste. Die faulen Südeuropäer reißen uns am Ende noch in den Abgrund, peitschte es unisono über die deutschen Stammtische.
Die Wahrheit: Deutschland verdient an Griechenland prächtig
Daran ist so gut wie nichts wahr. Nicht nur, dass Griechenland seit Jahren nach bestem Können für die gewährten „Hilfskredite“ an Deutschland Zinsen zahlt.
Erst am Montag wurde eine Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung bekannt, derzufolge die Bundesrepublik bisher knapp 100 Milliarden Euro an der Griechenlandkrise verdient hat. Allein dadurch, dass die Aufnahme von Neuschulden billiger geworden ist. Die Summe ist höher als jeder nur denkbare Ausfall der bisher gewährten Kredite und Bürgschaften.
Interessiert natürlich niemanden. Denn die Panik hat schon längst die nächsten Debatten heimgesucht.
Studie zeigt: Bei Pegida marschierten meist ältere Männer
Die Kriegsgefahr durch blutsaugende Nato-Generäle war abgesagt. Und ob nun ein paar tausend Ukrainer durch eine russische Invasion sterben, das juckt in Deutschland ohnehin nur eine Handvoll Osteuropawissenschaftler und ihre Freunde.
Nun köchelt seit Monaten die Migrationsdebatte. I
n Dresden liefen in Spitzenzeiten Zehntausende Angstbürger durch die Straßen, die sich im weitgehend moscheefreien Sachsen vor einer „Islamisierung des Abendlandes“ fürchteten. Erstmals wurde nun auch sichtbar, wer diese „besorgten Bürger“ waren.
Bei Pegida marschierten keinesfalls nur die Ärmeren und Dummen mit. Viele Demonstranten hatten ein gutes Einkommen, auch Akademiker waren zahlreich vertreten,
wie eine Studie der TU Dresden ergab. Was jedoch auffiel: Im Schnitt waren die Demoteilnehmer eher männlich und mit 48 Jahren deutlich älter als der ohnehin schon hohe bundesdeutsche Altersdurchschnitt (45 Jahre).
Wer bei Pegida mitmarschierte, stand dem Renteneintritt näher als dem Schulabschluss.
Müssen wir uns nun vor den "Angry Old Men" fürchten?
Und auch die Zahlen zu den Übergriffen auf Asylbewerberheime im Jahr 2015 lassen sich dementsprechend lesen, wenn man mal die eingefahrenen Ost-West-Schemata außen vor lässt. Besonders viele Übergriffe gemessen an der Gesamtbevölkerung gab es in
Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Alles Bundesländer, in denen der
durchschnittliche Bürger 46 Jahre und älter ist.
Zum Vergleich: In Ländern wie Hessen und Schleswig-Holstein, wo die Zahl der Übergriffe weit niedriger war, ist der Durchschnittsbürger etwa drei Jahre jünger.
Jahrelang sind Wissenschaftler davon ausgegangen,
dass besonders junge, unzufriedene Männer eine Gefahr für den sozialen Frieden darstellen. Wie es scheint, ist Deutschland derzeit dabei, diese These zu widerlegen.
Um es klar zu sagen: Nicht alle älteren Bundesbürger hassen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass ältere Menschen Angstbürger in ihren Bekanntenkreis haben, ist womöglich größer als bei jungen Deutschen.
Deutschland als Zukunftslabor - auch im Negativen
Als alternde Gesellschaft ist die Bundesrepublik ohnehin weltweit ein Zukunftslabor. Bei uns wird sich zeigen, ob eine menschenwürdige Altenbetreuung für viele Millionen Rentner möglich ist.
Es wird sich zeigen müssen, ob sich unsere Sozialsysteme derart umbauen lassen, dass sie die demografische Schieflage abfangen können. Wir alle werden das spüren, wenn die Arbeitslosigkeit in Deutschland wieder ansteigt. Denn im Vergleich zur letzten Phase hoher Beschäftigungslosigkeit bis 2005 hat sich jetzt schon die Altersverteilung dramatisch verändert.
Vielleicht sind es aber gerade diese Ungewissheiten, die verhältnismäßig viele ältere Menschen in Deutschland derart kritisch mit dem freiheitlich-demokratischen System und seinen Protagonisten haben werden lassen. Sie fühlen sich offenbar zu mehr Engagement berufen. Sie sind lauter als der Rest und haben schon längst die Meinungsführerschaft übernommen.
Braunes 1968
Die eher junge Gemeinde der Netzaktivisten steht dem Treiben der Ausländerhasser derzeit einigermaßen fassungslos gegenüber.
Das liegt auch daran, dass die meisten jüngeren Deutschen sich derzeit eher als „unpolitisch“ sehen. Sie lassen Debatten geschehen, statt sie zu gestalten. Wer auch immer gehofft hat, irgendwann noch einmal „Teil einer Jugendbewegung“ sein zu können, schaut derzeit in die Röhre.
Denn was im Jahr 2015 stattfindet, ist ein 1968 mit umgekehrten Vorzeichen. Nicht die Studenten gehen auf die Straße, sondern Menschen, die kurz vor der Rente stehen oder schon längst nicht mehr erwerbstätig sind. Sie formulieren keine optimistischen Zukunftsvisionen von „Love and Peace“, sondern schreien ihren Hass und ihren Frust in den Himmel.
Das BKA warnt bereits jetzt vor der Verbreitung einer neuen "völkischen Ideologie".
Und genau wie 1969 der „Marsch durch die Institutionen“ begann, wird das Gedankengut dieser Menschen den letzten ausländerfeindlichen Demonstrationszug überdauern. Das sollte uns allen klar sein.
Wann nur werden wir endlich wieder mit Optimismus in die Zukunft schauen? Wann werden wir damit anfangen, endlich wieder etwas aufzubauen statt uns um den Verlust des Vorhandenen zu fürchten? Vermutlich erst, wenn wir die Konsequenzen der ewigen Angst spüren.
Warum ältere Menschen derzeit aus Deutschland einen Ort von Hass und Missgunst machen