Putin setzt Gas als geopolitische Waffe gegen Europa ein, Russland konnte mehr Gas liefern, tut es aber nicht. Wovor viele Politiker und Experten schon seit langem gewarnt haben ist im 2021 Realität geworden
Lässt Putin den EU-Gasmarkt gezielt austrocknen?
Verschiedene westliche Experten, Medien und Politiker vermuten, dass Gazprom gezielt den Energiemangel in Europa verschärft hat, um Druck auf Deutschland und die EU auszuüben mit dem Ziel, eine schnellstmögliche Betriebserlaubnis für die fertiggestellte Ostseepipeline Nord Stream 2 zu erwirken. Und zwar für beide Stränge der Leitung, die dafür eine Ausnahme aus EU-Gesetzen braucht. Dafür hat auch Putin bei der Eröffnung der Russischen Energiewoche an diesem Mittwoch in Moskau erneut intensiv geworben.
Der akute Gasmangel in Europa habe mehrere Ursachen, lautet die fast einhellige Expertenmeinung. Genannt werden unter anderem der niedrige Füllstand europäischer Gasspeicher nach dem kalten Winter 2020/2021, die bevorzugte Belieferung Asiens mit Flüssiggas, wo noch höhere Preise gezahlt werden, größerer Gasverbrauch bei der Stromerzeugung wegen monatelanger Windflaute und längere Reparaturarbeiten an norwegischen Pipelines.
Warum aber ist Russland, das nahezu 40 Prozent der EU-Gasimporte gewährleistet, in dieser Situation seiner Verantwortung als Marktführer nicht gerecht geworden? Gazprom hätte das Angebot am europäischen Spotmarkt erhöhen können, um die stark gestiegene Nachfrage wenigstens teilweise zu befriedigen - und dabei noch richtig gutes Geld zu verdienen.
Gazprom verzichtet auf zusätzliche Einnahmen
Auf diesem Umstand verweist der kremlkritische russische Energieexperte Michail Krutichin in einem Interview mit der Moskauer Zeitung Nowaja Gazeta: "Statt den Anstieg der Preise zu nutzen und zusätzlichen Gewinn aus Gasverkäufen zu hohen Spotmarktpreisen zu erzielen, hat Gazprom beschlossen, den Handel auf den Spotmärkten gänzlich einzustellen, und angekündigt, im 4.Quartal und im ganzen nächsten Jahr keine zusätzlichen Gasmengen an elektronischen Handelsplätzen zu verkaufen."
Krutichin vergleicht die Taktik von Gazprom mit einem Dienst-nach-Vorschrift-Streik ("
Alle früher abgeschlossenen Verträge werden erfüllt, aber Europa bekommt keine zusätzlichen Gasmengen") und sieht darin eindeutig politische Motive.
Zu diesem Schluss kommt auch der Moskauer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Friedrich Schmidt. "Russlands Verhalten in der Gaskriese" - heißt es im Artikel mit der Überschrift "Russlands merkwürdiger Verzicht auf Geld" - "gibt Wirtschaftsanalysten Rätsel auf: Der staatlich kontrollierte Gazprom-Konzern erfüllt seine langfristigen Gaslieferverträge, nimmt aber nicht die Chance wahr, viel Geld zu verdienen, indem er seine bisher spärlichen Geschäfte auf dem Spotmarkt ausweitet." Der Russland-Kenner ist ebenfalls überzeugt: Gazprom setzt politische Vorgaben des Kremls um.
Dem russischen Konzern Gazprom wird vorgeworfen, die Energiekrise zu verschärfen, um grünes Licht für Nord Stream 2 zu erwirken. Aber Moskau hat offensichtlich ein weiteres strategisches Ziel.
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