Jimmyl
Balkanspezialist
Was immer noch nicht geklärt ist: Ist diese Neigung zum Positiven wirklich vorhanden und kulturell bedingt oder einfach nur ein Resultat autokratischer Systeme. In Kriegszeiten war es in den USA auch so und Nazideutschland war auch nicht bekannt für seine kritische Presse.
Ob die russischen Medien ausser aus politisch-strategischen Gründen auch aus kulturellen Gründen eher positiv berichten (bzw. berichteten), kann ich nicht so eindeutig sagen (Die russ. User werden die Frage wohl besser beantworten können). Im chinesischen Fall trifft es aber auf jeden Fall zu, dort wird sowohl im öffentlichen (Medien, Veranstaltungen,...) als auch im privaten nicht gerne über negative Dinge geredet, v.a. nicht die Kulturrevolution-Generation (momentan an der Macht in China), die viel Negatives erlebt und auch viel Dreck am Stecken haben (Haben sich oft aus nichtigen Gründen & Langeweile/Schullosigkeit gegenseitig die Köpfe eingeschlagen und sich umgebracht als eine Art Zeitvertreib/Hobby, z.B. ging es bei diesen blutigen Auseinandersetzungen und Bandenkriege bloss um trivialen Dinge um Kino- oder Theatertickets oder welcher Schauspieler die beste Performance in den wenigen staatlich regulierten rote Model-Filme abgeliefert hatten). Sobald du was kritisierst (selbst bei weniger heiklen Themen), wird fast schon reflexartig das Thema gewechselt, um die künstliche erzeugte positive Grundstimmung (oder eher Partystimmung) nicht zu trüben. Grosse Fleischstücke essen, Wein aus grosse Schüssel/Tonnen trinken und sich gegenseitig in halb-betrunkenen Zustand Honig um den Mund schmieren, darin sind sie Meister und fühlen sich am Wohlsten. Allfällige Kritik und Gemeckere wird entweder sofort im Keim erstickt oder positiv als Fake-Lob umformuliert (Kritik-Vermeidung also im chin. Fall als Abwehr- und Verdrängungsmechanismus).
Ob das auch so eindeutig auf Russland zutrifft (z.B. Hang zum Positiven, Vermeidung/Verdrängung des Negativen, u.a. die stark negativen Ereignissen der 90er), ist wie schon gesagt nicht so klar ersichtlich. Selbst wenn, dann sicher nicht so extrem im Vergleich zu Chinas Kulturevolutionäre, die alles Negative am Liebsten reflexartig unter dem Teetisch kehren wollen. Osten ist nicht gleich Osten, v.a aus kultureller Hinsicht nicht.
Konsenskultur, wie bsplw. In Japan
Diese Konsenskultur gibt es (in leicht abgeschwächter Form) gerade in den letzten Jahrzehnten nach der Kulturrevolution leider auch in China. Es wird von der aktuellen Herrschergeneration (eben ehemalige Kuturrevolutionäre) gefordert, dass man "mittig" und möglichst unauffällig verhalten soll (was sie selbst aber auf keinen Fall getan haben), ja keinen Ärger machen oder sich in den Vordergrund/Rampenlicht drängen, mit solchen Sprüchen wie: "Der Mensch hat Angst berühmt zu werden, das Schwein hat Angst fett zu werden (weil es dann geschlachtet wird)", "Der Gewehrschuss trifft den Vogel, der in den Vordergrund rückt" etc. Dabei gab in der chinesischen Klassik (Zeit der streitenden Reiche oder Frühling-Herbst Zeit in der 2.Hälfte der Zhou-Dynastie) keineswegs eine Konsenskultur oder irgendeine Gleichmacherei des chin. Denkens, damals hatten hunderte Philosophen und Denkschulen (Konfuzianismus, Daoismus, Legalismus, Schule des Gleichgewichtes & des Ausgleiches etc.) in hitzigen aber dennoch fair geführten Debatten gegeneinander konkurriert und viel Wert geschaffen, wobei letztlich v.a. der staatlich konform gemachte Konfuzianismus sich durchgesetzt hatte (den gewaltätigen aber dennoch menschlich-natürliche Teil des Konfuzianismus wie Rache, Vergeltung, individuelle Ehre, familäre Ehre und staatliche Würde etc. wurde auf typischen chin. Art entweder vollständig entfernt/zensiert oder auf ein Minimum reduziert). Mao Zedong hatte mit seiner opportunistischen "Hundert-Blumen-Bewegung" (und natürlich der blutigen Kulturrevolution) wohl auch einen massgeblich Anteil daran, dass Chinesen heutzutags so konfliktscheu vor sich hinkrabben nach dem Motto: Lieber 1000 Jahre als einen Grasshalm dahin vegetieren als für einen Tag als einen grossen Baum dazustehen.
Die Kritikakzeptanz beachten, heißt oft eben auch einfach nicht zu kritisieren, ein großes Problem, das Europäer oft mit China haben.
Es gibt da eine Formel an der man sich orientieren kann um die Kritikakzeptanz zu erhöhen (z.B. in kulturfremden Länder): Keine Kritik ist besser als schlechte Kritk, und gute Kritik ist besser als Nicht-Kritik (oder Falscher Lob). Was macht aber gute, wertgenerierende Kritik aus? Meiner Meinung nach gibt es 2 zentrale Faktoren:
- Die gute Absicht & Unvoreingenommenheit/Objektivität
- Ausreichend über die kritischen Themen informiert und die Fähigkeit möglichst wahrheitsgetreu die richtigen Schlüssen daraus zu ziehen (am Besten mit einer 360-Grad Analyse)