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Gastkommentar zu Sotschi
Winterspiele der Extreme
Martin Müller, Humangeograf
Es hätte eine Triumphfoto werden sollen. Bei einem seiner regelmässigen Besuche in Sotschi zur Überwachung der Bauarbeiten für die Winterspiele 2014 posierte Putin in gewohnter Routine neben einer der zahlreichen neuen Anlagen. Dieses Mal waren es die Sprungschanzen im Bergresort Krasnaja Poljana. Doch als er die Verantwortlichen anschliessend ins Kreuzverhör nahm, verflog jegliches Triumphgefühl: Die Schanzen waren mehr als zwei Jahre hinter dem Zeitplan zurück und kosteten annähernd siebenmal so viel wie ursprünglich geplant.
...
Ringen um Anerkennung und Gigantismus
Will man das heutige Russland verstehen, genügt ein Blick nach Sotschi. Die Vorbereitungen auf die Winterspiele im kommenden Februar sind ein Mikrokosmos der derzeitigen Praxis des Regierens.
Da ist zum einen das Ringen um Anerkennung auf dem internationalen Parkett. Die Winterspiele sollen Russlands Image sowohl in der Politik als auch in der breiten Öffentlichkeit aufpolieren. Mit dem Grossanlass will Russland zeigen, dass es mehr kann, als Öl und Gas zu liefern. Das Ziel ist, ganz unbescheiden, Sotschi in die erste Riege der Wintersportorte weltweit zu katapultieren und Russland als Tourismusdestination beliebter zu machen. Die Resultate sind bis jetzt bescheiden. Der diesjährige Tourismusbericht des World Economic Forum sieht das Land auf Platz 138 von 140, wenn es um die Gastfreundlichkeit gegenüber Besuchern geht. Seit Vergabe der Winterspiele im Jahr 2007 hat sich in Ländern wie den USA, Grossbritannien oder Deutschland die öffentliche Einstellung gegenüber Russland sogar verschlechtert.
Der Gigantismus, der in Sotschi beobachtet werden kann, kennzeichnet das Putinsche Russland allgemein. Die Stadterweiterung Moskaus, der Apec-Gipfel in Wladiwostok, das Satellitennavigationssystem Glonass oder der Innovationspark Skolkovo sind alles Projekte im Multimilliardenbereich – Franken, nicht Rubel, wohlgemerkt! Sie sind integraler Bestandteil der internationalen Selbstbehauptung Russlands und des Strebens nach Modernisierung im grossen Stil.
...
Es geht darum, besser, spektakulärer, vor allem aber grösser zu bauen als anderswo. Damit schlägt der Grossanlass bereits vor seiner Eröffnung im Februar alle Rekorde: Anfang 2013 war Sotschi mit annähernd 100 000 Bauarbeitern die grösste Baustelle der Welt. Mit einem Projektvolumen von mehr als 45 Milliarden Franken werden die Spiele auch die teuersten aller Zeiten werden.
Die Megalomanie führt zu grotesken Auswüchsen: Allein die kombinierte Strassen-Schienen-Verbindung zwischen dem Flughafen und dem Bergresort Krasnaja Poljana kostet mit sieben Milliarden Franken so viel wie die gesamte Infrastruktur der Winterspiele in Vancouver. Für die sechs Stadien mit einer Gesamtkapazität von 82 000 Personen sowie die restliche Sportinfrastruktur existieren kaum rentable Pläne für die Nachnutzung. Deshalb sind viele private Investoren wieder abgesprungen oder verlangen von der russischen Regierung Schadensersatz für die aufgezwungenen Investitionen.
Am meisten leidet Sotschi selbst
Ein Teil der Kostenexplosion ist auf Ineffizienz, schlampige Planung und den Zeitdruck zurückzuführen, unter dem alle Planungen stehen. Häufig wurden die geologischen und planerischen Voraussetzungen für Bauarbeiten unzureichend geprüft. Manchmal dient die Verzögerung von wichtigen Bauarbeiten dazu, die Auftragssumme in die Höhe zu treiben. Ein anderer Teil hat mit Vetternwirtschaft zu tun. Der russische Wissenschafter Alexander Sokolov veranschlagt diese in einer Studie bei 50 bis 60 Prozent der Gesamtinvestitionen in Sotschi. Gewinner sind vor allem die Beamten und Unternehmer, die der Elite nahestehen und vom staatlichen Auftragssegen profitieren.
Laut den Organisatoren sollen die Bürger Sotschis am meisten von den Spielen profitieren. Immerhin gibt der Staat mehr als 100 000 Franken pro Einwohner aus. Tatsächlich wird Sotschi nach den Winterspielen über ein massiv erweitertes Tourismusangebot sowie ein modernes Verkehrs- und Kommunikationsnetz verfügen. Doch bis jetzt sehen viele Bürger vor allem negative Folgen: Umsiedlungen, Enteignungen, steigende Preise, eine räumliche Konzentration der Entwicklung auf die touristischen Gebiete und die Vergabe von lukrativen Aufträgen an die Kamarilla. Nicht erwähnt werden von den Organisatoren auch die Umweltschädigungen, die zu einem grossen Teil sogar in Schutzgebieten stattfinden. Für die Bürger klingt das Versprechen der grünsten Spiele aller Zeiten wie Hohn. Schliesslich sind sie es, die mit dem traurigen Vermächtnis der Spiele leben müssen, in der Planung aber – wie so oft – kaum gefragt wurden.
Doch mit Exzessen in der Grössenordnung Sotschis wird es in Zukunft wohl vorbei sein. Um Ressourcen verteilen zu können, müssen diese erst einmal zur Verfügung stehen. Die Einnahmen aber sprudeln bei weitem nicht mehr wie einst. Wuchs die russische Wirtschaft im Jahr der Vergabe der Winterspiele 2007 noch mit 8,5 Prozent, so sind für 2013 noch 1,5 Prozent vorhergesagt. Für die kommenden Jahre ist die Aussicht nicht viel besser.
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Gastkommentar zu Sotschi: Winterspiele der Extreme - Debatte Nachrichten - NZZ.ch
Dazu eine gute Doku, die sicher in der ARD-Mediathek zu finden ist: Brot und Spiele
Heute, arte, 20:15: Putins Spiele
Winterspiele der Extreme
Martin Müller, Humangeograf
Es hätte eine Triumphfoto werden sollen. Bei einem seiner regelmässigen Besuche in Sotschi zur Überwachung der Bauarbeiten für die Winterspiele 2014 posierte Putin in gewohnter Routine neben einer der zahlreichen neuen Anlagen. Dieses Mal waren es die Sprungschanzen im Bergresort Krasnaja Poljana. Doch als er die Verantwortlichen anschliessend ins Kreuzverhör nahm, verflog jegliches Triumphgefühl: Die Schanzen waren mehr als zwei Jahre hinter dem Zeitplan zurück und kosteten annähernd siebenmal so viel wie ursprünglich geplant.
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Ringen um Anerkennung und Gigantismus
Will man das heutige Russland verstehen, genügt ein Blick nach Sotschi. Die Vorbereitungen auf die Winterspiele im kommenden Februar sind ein Mikrokosmos der derzeitigen Praxis des Regierens.
Da ist zum einen das Ringen um Anerkennung auf dem internationalen Parkett. Die Winterspiele sollen Russlands Image sowohl in der Politik als auch in der breiten Öffentlichkeit aufpolieren. Mit dem Grossanlass will Russland zeigen, dass es mehr kann, als Öl und Gas zu liefern. Das Ziel ist, ganz unbescheiden, Sotschi in die erste Riege der Wintersportorte weltweit zu katapultieren und Russland als Tourismusdestination beliebter zu machen. Die Resultate sind bis jetzt bescheiden. Der diesjährige Tourismusbericht des World Economic Forum sieht das Land auf Platz 138 von 140, wenn es um die Gastfreundlichkeit gegenüber Besuchern geht. Seit Vergabe der Winterspiele im Jahr 2007 hat sich in Ländern wie den USA, Grossbritannien oder Deutschland die öffentliche Einstellung gegenüber Russland sogar verschlechtert.
Der Gigantismus, der in Sotschi beobachtet werden kann, kennzeichnet das Putinsche Russland allgemein. Die Stadterweiterung Moskaus, der Apec-Gipfel in Wladiwostok, das Satellitennavigationssystem Glonass oder der Innovationspark Skolkovo sind alles Projekte im Multimilliardenbereich – Franken, nicht Rubel, wohlgemerkt! Sie sind integraler Bestandteil der internationalen Selbstbehauptung Russlands und des Strebens nach Modernisierung im grossen Stil.
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Es geht darum, besser, spektakulärer, vor allem aber grösser zu bauen als anderswo. Damit schlägt der Grossanlass bereits vor seiner Eröffnung im Februar alle Rekorde: Anfang 2013 war Sotschi mit annähernd 100 000 Bauarbeitern die grösste Baustelle der Welt. Mit einem Projektvolumen von mehr als 45 Milliarden Franken werden die Spiele auch die teuersten aller Zeiten werden.
Die Megalomanie führt zu grotesken Auswüchsen: Allein die kombinierte Strassen-Schienen-Verbindung zwischen dem Flughafen und dem Bergresort Krasnaja Poljana kostet mit sieben Milliarden Franken so viel wie die gesamte Infrastruktur der Winterspiele in Vancouver. Für die sechs Stadien mit einer Gesamtkapazität von 82 000 Personen sowie die restliche Sportinfrastruktur existieren kaum rentable Pläne für die Nachnutzung. Deshalb sind viele private Investoren wieder abgesprungen oder verlangen von der russischen Regierung Schadensersatz für die aufgezwungenen Investitionen.
Am meisten leidet Sotschi selbst
Ein Teil der Kostenexplosion ist auf Ineffizienz, schlampige Planung und den Zeitdruck zurückzuführen, unter dem alle Planungen stehen. Häufig wurden die geologischen und planerischen Voraussetzungen für Bauarbeiten unzureichend geprüft. Manchmal dient die Verzögerung von wichtigen Bauarbeiten dazu, die Auftragssumme in die Höhe zu treiben. Ein anderer Teil hat mit Vetternwirtschaft zu tun. Der russische Wissenschafter Alexander Sokolov veranschlagt diese in einer Studie bei 50 bis 60 Prozent der Gesamtinvestitionen in Sotschi. Gewinner sind vor allem die Beamten und Unternehmer, die der Elite nahestehen und vom staatlichen Auftragssegen profitieren.
Laut den Organisatoren sollen die Bürger Sotschis am meisten von den Spielen profitieren. Immerhin gibt der Staat mehr als 100 000 Franken pro Einwohner aus. Tatsächlich wird Sotschi nach den Winterspielen über ein massiv erweitertes Tourismusangebot sowie ein modernes Verkehrs- und Kommunikationsnetz verfügen. Doch bis jetzt sehen viele Bürger vor allem negative Folgen: Umsiedlungen, Enteignungen, steigende Preise, eine räumliche Konzentration der Entwicklung auf die touristischen Gebiete und die Vergabe von lukrativen Aufträgen an die Kamarilla. Nicht erwähnt werden von den Organisatoren auch die Umweltschädigungen, die zu einem grossen Teil sogar in Schutzgebieten stattfinden. Für die Bürger klingt das Versprechen der grünsten Spiele aller Zeiten wie Hohn. Schliesslich sind sie es, die mit dem traurigen Vermächtnis der Spiele leben müssen, in der Planung aber – wie so oft – kaum gefragt wurden.
Doch mit Exzessen in der Grössenordnung Sotschis wird es in Zukunft wohl vorbei sein. Um Ressourcen verteilen zu können, müssen diese erst einmal zur Verfügung stehen. Die Einnahmen aber sprudeln bei weitem nicht mehr wie einst. Wuchs die russische Wirtschaft im Jahr der Vergabe der Winterspiele 2007 noch mit 8,5 Prozent, so sind für 2013 noch 1,5 Prozent vorhergesagt. Für die kommenden Jahre ist die Aussicht nicht viel besser.
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Gastkommentar zu Sotschi: Winterspiele der Extreme - Debatte Nachrichten - NZZ.ch
Dazu eine gute Doku, die sicher in der ARD-Mediathek zu finden ist: Brot und Spiele
Heute, arte, 20:15: Putins Spiele