 
Wessen Idee war der gescheiterte Aufstand der PKK in den Städten der Türkei?
 
 Wie konnte die PKK sich nur auf den Aufstand  der urbanen Stadtguerilla einlassen? Diese Frage stellen sich zahlreiche  Beobachter angesichts der desaströsen Bilanz, die nach mehr als einem  halben Jahr der Gewalt zu verzeichnen ist. Der bewaffnete Aufstand hat  nicht nur schwere Verluste für die Terrororganisation nach sich gezogen,  wobei auf Grund der großen Zahl an Jugendlichen, die für diese Zwecke  verheizt wurden, die Bilanz besonders bitter ist. Auch ist es nicht zum  erhofften Solidarisierungseffekt innerhalb der Bevölkerung gekommen – im  Gegenteil, die Wut über zerstörte Straßenzüge und Kulturdenkmäler  trifft vor allem die PKK selbst.
 Analysen sprechen nun davon, dass im Südosten der  Türkei weithin davon ausgegangen wird, dass die Führung der Organisation  durch allzu euphorische Berichte der Einheiten an der Basis in die Irre  geführt wurden, insbesondere bezüglich deren Einschätzung hinsichtlich  der Bereitschaft der Menschen, sich an einem Volksaufstand zu  beteiligen. 
 Ein Anwohner im lange heftig umkämpften Bezirk Sur  in der Provinz Diyarbakır erklärte etwa: „Die PKK dachte, die Leute  wären auf ihrer Seite. Sie dachten, sie würden sich mit ihnen zusammen  erheben. Sie staffierten die Siedlungen mit Waffen und Bomben aus, aber  sobald die Bomben zu explodieren begannen, flüchteten die Zivilisten in  Scharen. Am Ende harrte keiner mit ihnen aus.“ 
 Auch eine völlig verfehlte Interpretation des  Wahlergebnisses vom 7. Juni des Vorjahres vonseiten der PKK habe die  Wende der Organisation zum bewaffneten Kampf im urbanen Rahmen  begünstigt. Vor allem die PKK-Unterstützer in den Städten sahen die  Ergebnisse der HDP, die erstmals landesweit als Partei antrat und auf  Anhieb deutlich über die Zehn-Prozent-Hürde gelangte, eine Form der  Rückendeckung, die man auch als implizite Aufforderung betrachten könne,  bezüglich der „Autonomie“-Bestrebungen einen Zahn zuzulegen. 
 
„Man dachte, die gesamte Wählerschaft würde einen  Aufstand in all jenen Gegenden unterstützen, in denen die HDP gute  Resultate einfuhr“, erklärte ein lokaler Beobachter gegenüber dem Portal  Al-Monitor. „Man sagte den Menschen, die PKK verfüge über 600 000  Milizsoldaten.“ Diese Meldungen erreichten am Ende auch in dieser Form  die Führung in den Bergen, die ohnehin in ihrer abgeschotteten Lage  nicht unbedingt die idealen Voraussetzungen dafür findet, ein nicht  durch ideologisches Wunschdenken gekennzeichnetes Bild von den  Realitäten im Tal zu entwickeln.
 
 Bald darauf begann man damit, Gräben auszuheben  und sogar auf Hauptstraßen Gruben zu graben. Während des  Friedensprozesses hatte die Regierung in Ankara diese Vorgehensweise  auch toleriert. Die PKK hat die Nachgiebigkeit der Regierung offenbar  als Schwäche ausgelegt. Sie sahen die „Autonomie“ unter eigenen Vorgaben  unmittelbar bevorstehen und die HDP-Ergebnisse – 91 Prozent in Şırnak,  90 Prozent in Nusaybin, 89 Prozent in Silopi oder 79 Prozent in Sur –  als Handlungsauftrag in Richtung Eskalation. 
 Berichte von der Basis seien nicht alleine für das  Handeln der Oberen verantwortlich, erklärte der frühere PKK-Kader  Hüseyin Turhalli, die Führung hätte seit längerer Zeit Berichte dieser  Art erhalten. Diese könnten keine Entscheidungen herbeiführen, aber die  Ausführung und das Timing bestehender Pläne beeinflussen. Dazu sei der  Faktor Rojava gekommen. Dort hatte die PKK-nahe PYD einen  propagandistischen Erfolg zu verbuchen und war sogar in der Lage, Hilfe  von außen zu erhalten. 
 Die Entscheidung der PKK, eine Forcierung des  bewaffneten Kampfes wieder ins Auge zu fassen, sei eingeweihten Quellen  von Al-Monitor zufolge, die im Interesse ihrer Sicherheit ungenannt  bleiben wollten, im Grunde bereits 2014 gefallen. Die Situation in  Kobani und die gewalttätigen Ausschreitungen, die vonseiten der PKK in  mehreren Städten angezettelt worden waren, nachdem die Türkei gezögert  hatte, aktiv gegen den IS vorzugehen, gerieten faktisch zu einer Art  Generalprobe für die spätere weitere Eskalation.
 An die Führung wurden Berichte über gewalttätige  Proteste in der gesamten Türkei geschickt und die Kader machten daraus  eine Einschätzung bezüglich eines unmittelbar bevorstehenden breiten  Volksaufstandes – was man in den Bergen von Kandil auch gerne  bereitwillig glauben mochte. 
 Am Ende zweifelten selbst hartgesottene an der  Richtigkeit des eingeschlagenen Weges. So soll einem Medienbericht vom  29. März zufolge der hochrangige PKK-Kommandant Murat Karayilan  eingeräumt haben, dass diese Form der Kriegsführung vonseiten der PKK  falsch gewesen sei. Er soll gegenüber einer PKK-nahen Nachrichtenagentur  erklärt haben, es gäbe keinen Anlass für einen so extensiven Krieg in  den Städten – zumal die Reaktion der türkischen Sicherheitskräfte mit  einer Vehemenz erfolgte, die vonseiten der PKK nicht erwartet worden  war. 
 Die ideologischen Betonköpfe von der Union der  Kurdischen Gemeinschaften (KCK) hingegen halten daran fest, dass nicht  geschönte Berichte an die Führung für die Eskalation verantwortlich  gewesen wären, sondern einzig die Regierung in Ankara und Präsident  Recep Tayyip Erdoğan. „Das kurdische Volk verteidigte sich nur selbst“,  hieß es in einer Erklärung. „Die Führer des Landes wollten nicht, dass  die Kurden in der Lage sind, auf legale Weise ihre Anliegen zu verfolgen  und blockierten ihren Weg in die Politik.“ Die Regierung habe einen  „nicht deklarierten Putsch“ angezettelt und eine massive Militärkampagne  gestartet, um die HDP unter Druck zu setzen. Die Kurden seien damit  „vom politischen Mainstream abgekoppelt“ worden und da ihnen „die  parlamentarische Demokratie vorenthalten“ werde, wollte man „Demokratie  auf lokaler Ebene einführen, als den einzigen Weg, die Türkei zu  demokratisieren.“ 
 
Diese „Demokratisierung“ endete jedoch mit 1267  toten PKK-Anhängern und 113 Opfern aufseiten der Sicherheitskräfte in  den am stärksten umkämpften Gebieten wie Sur, Idil, Cizre, Silopi, Derik  oder Nusaybin. Dem Generalstab zufolge wurde seit dem 22. Juli 2015 an  265 Tagen gegen die PKK gekämpft. Insgesamt seien 4432 Terroristen  –meist von der PKK – neutralisiert worden. Die Sicherheitskräfte hatten  377 Tote zu beklagen. Daneben wurden auch 213 Terroristen des IS (Daesh)  getötet. Auch 300 Zivilisten kamen infolge der Kampfhandlungen ums  Leben, darunter elf Deutsche, drei Israelis, zwei Iraner und ein  Palästinenser. Sie starben bei Anschlägen von PKK, IS und  „Freiheitsfalken“. 
 Von der militanten Jugendorganisation der PKK  wurden 10 326 mutmaßliche Angehörige festgenommen, 3387 davon befinden  sich noch in Haft.
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