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Russischer Literatursalon

Verbrechen und Strafe


Vorgestern hatte ich eine Dostojewski-Lese-Krise und zwar schon ziemlich am Anfang des Buches. Es ging um den Traum vom Pferdchen. Es wurde von einer versoffenen Meute völlig mutwillig und unter schallendem Gelächter erschlagen. Und ich bin alles andere als eine Tierfanatikerin. Aber diese Szene war grauenhaft. Gleichzeitig war völlig klar, wohin das ganze führt, der Mord an Aljona Iwanowna bahnte sich wie eine Notwendigkeit an oder besser: wie eine Naturkatastrophe. Ständig dachte ich mir: "Rodja, so kehre doch um! Lass es sein!", so als ob ich den Verlauf eines Buches ändern könnte :lol: Ja, blöd, ich weiß. Und noch "blöder" ist, dass man bei Dostojewski nie weiß, ob das "Ereignis" (in dem Fall der Mord) auf der nächsten Seite passiert oder noch 500 Seiten vor einem liegen.

Ich fragte mich, w a r u m tue ich mir das freiwillig an??? Nach einer Pause entschied ich mich, meine masochistische Seite zu akzeptieren (siehe unten) und las weiter. Zu meiner Überraschung kam die Axtszene ziemlich bald. Es war so unerträglich, dass ich viele Zeilen übersprang - in der Hoffnung es wäre endlich vorbei -, aber dann stand Lisaweta, die Halbschwester, in der Tür :|

Inzwischen bin ich auf Seite 370 angelangt. Naja, Verschnaufpause. Das Buch liest sich derzeit wie ein Krimi.

(vorläufiges) Fazit 1: mag sein, dass in Gorkys Worten viel Wahrheit liegt, aber was einem keiner sagt, ist: auch zum Dostojewski-Lesen braucht man zumindest eine dieser russischen Seiten, nämlich einen ausgeprägten Masochismus ;-)

(endgültiges) Fazit 2: Faszination (oder vllt nur ein Versuch, meinen eigenen Masochismus zu rechtfertigen). Immer wieder hatte ich das Gefühl, er hat - wie man das oft bei ehemaligen KZ-Häftlingen erleben kann - jedes noch so abwegige seelische Winkelchen ergründet: einer, dem niemand etwas vormachen kann. Ihr kennt das sicher auch beim Lesen, wenn man immer schon so ein Gefühl hatte oder etwas "wußte", aber es nie benennen konnte und plötzlich, wie aus dem nichts, steht es auf einmal da. Und du denkst dir: "Genau so ist es!" Nur bei ihm geht es über diese Erkenntnis (Eitelkeit?) hinaus, denn Fjodor hält einem gleichzeitig gar nicht so selten auch noch den Spiegel vor.

Und abschließend (falls es jemand bis hierher ausgehalten hat) mein Zustand nach 2 Wochen russischer Literatur:

Die Menschen um mich herum, kommen mir seltsam vor....als ob ich mir dauern nur irgendwelche Illusionen gemacht hätte...

Gestern ein ruhiger Nachmittag in einem Café bei gutem Wetter, und ich denke daran, wie sie alle mit Lust (nicht bloß ein Tier sondern auch) einen Menschen erschlagen würden. Man braucht ihnen bloß einen Grund dafür zu geben. Vllt nicht einmal das...

Ich fühle mich schlecht.

Willkommen in meiner Welt! :)
 
Du armer - das ist ja kein Zustand! Ich hatte ja schon immer den Verdacht, dass du es dir alles andere als einfach machst.
 
Ich werde versuchen herauszufinden, welche Stelle gemeint ist... :)

Wir beide sollten jetzt auch bubu machen gehen. Muss morgen aufstehen...Leider!

Viele dicke Bussis!

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Ach, wie schön es doch ist, dass ein Volk die Seele verbindet (und wie banal dagegen: die Landschaft)...

Aber ich bin jetzt einfach zu müde... Schlaf gut!

Das gibts aber oft bei Slawen. Hast du "Der Soldat, der das Grammophon reparierte" gelesen? Von Sasa Stanisic. Da gibt es tolle Szenen, auch wenn ich das Buch teilweise ziemlich feige finde.

Einmal beschreibt er einen Opa und gleichzeitig die Drina. Großartiger Text. Und es wird die typische Familienfeier beschrieben inkl. Einweihung einer neuen Toilette, an der alle Schlange stehen.
 
Das gibts aber oft bei Slawen. Hast du "Der Soldat, der das Grammophon reparierte" gelesen? Von Sasa Stanisic. Da gibt es tolle Szenen, auch wenn ich das Buch teilweise ziemlich feige finde.

Einmal beschreibt er einen Opa und gleichzeitig die Drina. Großartiger Text. Und es wird die typische Familienfeier beschrieben inkl. Einweihung einer neuen Toilette, an der alle Schlange stehen.


Ich hab das Buch zuhause, habe aber noch nicht gelesen. Warum ist es feige?

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Das ist natürlich kein Dauerzustand. Ich wollte nur widergeben, dass es mir damals ähnlich ging.

Ich bin froh, wenn das wieder vorübergeht :)


Bin heute mit Verbrechen und Strafe fertig geworden.

Ich fühle ich mich von der Spannung und Intensität ziemlich ausgelaugt.
 
Ich hab das Buch zuhause, habe aber noch nicht gelesen. Warum ist es feige?

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Ich bin froh, wenn das wieder vorübergeht :)


Bin heute mit Verbrechen und Strafe fertig geworden.

Ich fühle ich mich von der Spannung und Intensität ziemlich ausgelaugt.

Dann ruft das Buch bei jedem einen ähnlichen Zustand hervor. Was ist dein Fazit? Ist es gerechtfertigt eine alte Frau zu töten, die kaum lebt, um viele andere Leben zu retten?
 
Nein, das kann man niemals rechtfertigen. Die "Revolution im Kleinen" funktioniert halt nicht. Das war ja auch sein Dilemma.

Aber das Problem ist mA auch, dass man einen Verrat an der eigenen Würde begeht, wenn man um des Geldes willen einen Mord begeht, auch wenn man so hehre Ziele wie Raskolnikow dabei verfolgt. Diese "Rechnung" geht sich für mich nicht aus. Ich meine: die "gute Absicht" (viele Leben retten) kann nicht die "böse Tat" (Mord) aufwiegen. Die Schuld ist trotzdem immer noch da.

Das ist wirklich ein sehr sehr spannendes Thema.



Mein Fazit...hm....auch wenn ich im Augenblick ziemlich "unrund" laufe, glaube ich, dass wir keine andere Wahl haben, als an das "Gute", die "Liebe" (Dostojewski nennt es "Gott" ;-) ) zu glauben. (Die Alternative ist Zynismus).

Die Hure und der Mörder. Das hat etwas sehr rührendes.
 
Ich hab das Buch zuhause, habe aber noch nicht gelesen. Warum ist es feige?

Mittlerweile glaube ich, es liegt daran, dass er das Buch mit der Svabobrille geschrieben hat. Früher dachte ich er hat sich gedrückt, weil er einen serbischen Vater hat, das war aber ziemlich dämlich. Er kommt aus Visegrad und dort spielt auch der erste Teil des Buchs, später kommt die Stadt wieder vor. In einer Szene beobachtet er (noch als Kind) wie Serben Bosnjaken töten und in die Drina schmeißen, später, als er nach dem Krieg zurück kommt, trifft er auf einen dieser Männer. Der Mann ist jetzt Polizist und frag zu wem er gehört. Den Teil fand ich erst sehr gut, weil er dann beschrieben hat, wie es sich anfühlt, dass ausgerechnet einer dieser Männer als Polizist tätig sein kann. Eigentlich hat sich also nicht viel geändert... Eine andere Szene: Die Familie ist in der Wohnung, als serbische Truppen ins Haus kommen. Er bekommt mit, dass Menschen nach Nachnamen gefragt werden und man nach ihnen sucht. Seine Freundin läuft weg, er sucht sie und versucht ihr zu erklären, dass sie nicht ihren echten Namen nennen soll. Sie wird dann aber weggebracht. Er schreibt ihr viele Briefe, während er in Deutschland ist.

Das ist jetzt sehr grob, ich kann nicht ausschließen, dass ich das ein oder andere durcheinander gebracht habe. Es ist schon ein großartiges Buch, sehr gut geschrieben. Aber zum Teil zu kitschig und seicht. Er beschreibt beispielsweise, wie Bosnjaken gefeiert haben und das es nicht die großen Konflikte gab; oder dass die Mutter in der Partei war und wie alles zu Ende ging. Mir war das zu wenig, irgendwie gerade so viel, wie es ein Svabo vertragen kann... Es geht schließlich um Visegrad, die Drina und um eine Brücke, von der Menschen in den Fluß geworfen wurden. Wenn man bedenkt, wie viel Blut seit Jahrhunderten in der Drina floss, dann frage ich mich, wie man das so abhandeln kann. Immerhin hat er nicht den Fehler gemacht über den Krieg an sich zu schreiben. Mir war fehlt da einfach etwas. Damit meine ich nicht, dass die serbischen Nationalisten zu gut weggekommen wären, das sind sie sicher nicht. Würde man die Zeit zurückdrehen, in die 70er und 80er, dann würden viele Leute verstehen, dass es eben auch ein serbisches Leid ist, dass viele Leute plötzlich fehlen. Ebenso in der Krajina, da tut man gerne so, als wären alle über all die Zeit ärgste Feinde gewesen, als hätte es nicht genügend Freundschaften und Verwandtschaften gegeben. Plötzlich ist Krieg, dann ist der Krieg vorbei und viele, die man kannte sind tot oder vertrieben. Und schon gibt es nur noch Feindschaft. Mostar ist auch ein gutes Beispiel, da waren es sogar alle drei Parteien.
 
Ihr Lieben, ich danke schon mal für die Beteiligung. Jetzt mal nach und nach die Posts "aufnehmen":-)

Hast du das neue Buch "Snuff" von Pelewin schon gelesen? Ist ja jetzt endlich auf Deutsch erhältlich.
Pelewin war ja nicht so dein Geschmack wenn ich mich recht erinnere, aber dieses Buch passt gerade zum Thema Ukraine-Krieg.

SNUFF: Utopie: Amazon.de: Viktor Pelewin: Bücher

Vielleicht klingt es komisch, was ich schreiben werde. Er wurde bekannt in den 90ern v.a. durch drei Werke, das letzte war "Generation P". Ich habe damals diese seine Bücher verschlungen. Sagen wir so, weil ich den Zeitgeist ja auch bewusst erlebt habe, nachempfinden konnte. Was ich nie so geteilt habe scheint sein Faible für Buddhismus, auch vielleicht Hang zu Esoterischem. Und soweit ich meine mich zurück erinnern zu können, war dieser durchaus in diesen Werken präsent.
Jahrelang war er selbst "verschwunden" und ich muss sagen, seit dem habe ich auch keines seiner Werke mehr in die Hand genommen. Vielleicht auch ein wenig deshalb, weil er zu gut und zu präzise die 90er für mich verkörperte, sich damit assoziierte.

Snuff ist schon vor fast fünf Jahren auf Russisch erschienen. Also eigentlich schon wieder alt. Seitdem versucht meine Schwägerin, ihn mir aufzudrücken. In der Tat gibt es wohl erschreckende Bezüge in die Ukraine der heutigen Zeit. Ich werde mich wohl doch aufrappeln. Wie soll ich sagen, dass es lesenwert sein wird, davon gehe ich bei Pelewin aus.:-)
 
Mittlerweile glaube ich, es liegt daran, dass er das Buch mit der Svabobrille geschrieben hat. Früher dachte ich er hat sich gedrückt, weil er einen serbischen Vater hat, das war aber ziemlich dämlich. Er kommt aus Visegrad und dort spielt auch der erste Teil des Buchs, später kommt die Stadt wieder vor. In einer Szene beobachtet er (noch als Kind) wie Serben Bosnjaken töten und in die Drina schmeißen, später, als er nach dem Krieg zurück kommt, trifft er auf einen dieser Männer. Der Mann ist jetzt Polizist und frag zu wem er gehört. Den Teil fand ich erst sehr gut, weil er dann beschrieben hat, wie es sich anfühlt, dass ausgerechnet einer dieser Männer als Polizist tätig sein kann. Eigentlich hat sich also nicht viel geändert... Eine andere Szene: Die Familie ist in der Wohnung, als serbische Truppen ins Haus kommen. Er bekommt mit, dass Menschen nach Nachnamen gefragt werden und man nach ihnen sucht. Seine Freundin läuft weg, er sucht sie und versucht ihr zu erklären, dass sie nicht ihren echten Namen nennen soll. Sie wird dann aber weggebracht. Er schreibt ihr viele Briefe, während er in Deutschland ist.

Das ist jetzt sehr grob, ich kann nicht ausschließen, dass ich das ein oder andere durcheinander gebracht habe. Es ist schon ein großartiges Buch, sehr gut geschrieben. Aber zum Teil zu kitschig und seicht. Er beschreibt beispielsweise, wie Bosnjaken gefeiert haben und das es nicht die großen Konflikte gab; oder dass die Mutter in der Partei war und wie alles zu Ende ging. Mir war das zu wenig, irgendwie gerade so viel, wie es ein Svabo vertragen kann... Es geht schließlich um Visegrad, die Drina und um eine Brücke, von der Menschen in den Fluß geworfen wurden. Wenn man bedenkt, wie viel Blut seit Jahrhunderten in der Drina floss, dann frage ich mich, wie man das so abhandeln kann. Immerhin hat er nicht den Fehler gemacht über den Krieg an sich zu schreiben. Mir war fehlt da einfach etwas. Damit meine ich nicht, dass die serbischen Nationalisten zu gut weggekommen wären, das sind sie sicher nicht. Würde man die Zeit zurückdrehen, in die 70er und 80er, dann würden viele Leute verstehen, dass es eben auch ein serbisches Leid ist, dass viele Leute plötzlich fehlen. Ebenso in der Krajina, da tut man gerne so, als wären alle über all die Zeit ärgste Feinde gewesen, als hätte es nicht genügend Freundschaften und Verwandtschaften gegeben. Plötzlich ist Krieg, dann ist der Krieg vorbei und viele, die man kannte sind tot oder vertrieben. Und schon gibt es nur noch Feindschaft. Mostar ist auch ein gutes Beispiel, da waren es sogar alle drei Parteien.


Ich habe deinen Text mehrmals lesen müssen, da ich nicht so genau verstehen konnte, was dir in diesem Buch fehlte (bzw. vllt habe ich es immer noch nicht verstanden).


Aber vielen Dank für die ausführliche Beschreibung! Jetzt bin ich umso mehr motiviert, es auch tatsächlich zu lesen :)

Und für all diejenigen, denen ihre Nachbarn fehlen oder auch nicht: zaboravi ako mozes ;-)

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