Leseprobe aus dem Roman Oblomow von Iwan Gontscharow
Ilja Iljitsch Oblomow, Diener Sachar
»Weißt du wohl«, sagte Ilja Iljitsch, »daß infolge des Staubes sich Motten einnisten? Ich sehe manchmal sogar eine Wanze an der Wand!«
»Bei mir sind auch Flöhe!« erwiderte Sachar gleichmütig.
»Ist das etwa schön? Das ist doch eine Schmutzerei!« bemerkte Oblomow.
Sachar lächelte über das ganze Gesicht, so daß das Lächeln sogar die Augenbrauen und den Backenbart erfaßte und dieser sich nach den Seiten auseinanderteilte und das ganze Gesicht bis an die Stirn hinauf wie ein roter Fleck aussah.
»Was kann ich dafür, daß es auf der Welt Wanzen gibt?« sagte er mit naiver Verwunderung. »Habe ich sie etwa erfunden?«
»Das kommt von der Unreinlichkeit her«, unterbrach ihn Oblomow. »Was redest du immer für Unsinn!«
»Auch die Reinlichkeit habe ich nicht erfunden.«
»In deinem Zimmer laufen nachts Mäuse umher; ich höre es manchmal.«
»Auch die Mäuse habe ich nicht erfunden. Diese Geschöpfe, wie Mäuse, Katzen, Wanzen, gibt es überall die Menge.«
»Warum gibt es denn bei anderen Leuten weder Motten noch Wanzen?«
Auf Sachars Gesicht malte sich ein mißtrauischer Zweifel, oder, richtiger gesagt, eine ruhige Überzeugung, daß dem nicht so sei.
»Bei mir gibt es von alledem viel«, erwiderte er hartnäckig. »Auf jede Wanze kann man nicht aufpassen; in die Ritzen kann man ihnen nicht nachkriechen.«
Aber im stillen schien er zu denken: »Und was wäre das auch für ein Schlafen ohne Wanzen?«
»Fege aus, räume den Schmutz aus den Winkeln heraus; dann wird nichts mehr da sein«, belehrte ihn Oblomow.
»Heute räumt man ihn heraus, und morgen liegt wieder alles voll«, antwortete Sachar.
»Es wird nicht vollliegen«, unterbrach ihn der Herr; »das ist nicht nötig.«
»Es wird vollliegen, das weiß ich«, entgegnete der Diener beharrlich.
»Nun, und wenn es vollliegt, dann fege wieder aus.«
»Was? Alle Tage soll ich in allen Winkeln herumarbeiten?« fragte Sachar. »Was ist das für ein Leben? Da möchte ja Gott lieber meine Seele zu sich nehmen!«
»Warum ist es denn bei anderen Leuten rein?« erwiderte Oblomow. »Wirf mal einen Blick in die Wohnung des Klavierstimmers uns gegenüber: es ist eine wahre Freude, das zu sehen; und dabei haben sie nur ein einziges Dienstmädchen ...«
»Aber wo soll auch bei diesen Deutschen Schmutz herkommen?« entgegnete Sachar schnell. »Sehen Sie nur, wie die Leute leben! Die ganze Familie nagt die ganze Woche über an einem Knochen. Wenn der Vater einen Rock abgetragen hat, so bekommt ihn der Sohn, und vom Sohne übernimmt ihn wieder der Vater. Die Frau und die Töchter tragen kurze Kleider und ziehen immer die Füße an den Leib wie die Gänse ... Wo soll bei denen Schmutz herkommen? Bei denen ist es nicht so wie bei uns, daß ein Haufen alter abgetragener Kleider jahrelang in den Schränken liegt und sich im Winter eine ganze Ecke voll Brotrinden ansammelt ... Bei denen liegt nicht einmal eine Brotrinde unnütz herum: sie machen sich Zwieback daraus und trinken ihn im Bier!« Sachar spuckte bei seiner Kritik einer so knauserigen Lebensweise sogar durch die Zähne aus.
Oblomow von Iwan Gontscharow - Text im Projekt Gutenberg