17.02.2005
"Zuerst haben wir gelogen, später die Amerikaner"
Jafar Dhia Jafar, der Vater von Saddams Atomprogramm im STANDARD-Interview: Anlagen wurden 1991 zerstört
Jafar Dhia Jafar: "Wir waren weit entfernt von einer Bombe."Siehe dazu auch:
Den Lügendetektortest mit Bravour bestanden
Der irakische Atomchef Jafar Dhia Jafar wurde nach seiner Flucht aus Bagdad monatelang von den Amerikanern verhört
Jafar Dhia Jafar war der "Vater" des geheimen irakischen Atomprogramms bis 1991. Danach hat es keine verbotenen nuklearen Aktivitäten mehr im Irak gegeben, sagt er im Gespräch mit Gudrun Harrer.
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bezahlte EinschaltungenSTANDARD: Dr. Jafar, eines der stärksten Argumente der USA für den Irakkrieg 2003 war das angeblich wieder erstarkte Bemühen Saddam Husseins um Atomwaffen. Heute hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es nach dem Golfkrieg 1991 im Irak kein Atomprogramm mehr gegeben hat. Sie kritisieren in Ihrem Buch aber nicht nur die USA, sondern auch die mit den Inspektionen im Nuklearbereich betraute Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) - die sich im März 2003 doch um mehr Zeit für die Inspektoren bemühte.
Jafar: Die IAEO wäre in der Lage gewesen, dem UNO-Sicherheitsrat die nukleare Abrüstung des Irak zu bescheinigen. Aber sie hat es vorgezogen, immer einen letzten Rest offen zu halten, und sie hat die von US-Politikern gemachten Statements nicht klar genug angefochten, von denen sie wusste, dass sie inkorrekt oder simple Lügen waren.
In genauen Darstellungen an die IAEO haben wir die Vorwürfe - die angeblichen Urankäufe in Niger, die Aluminiumröhren und Ähnliches - einen nach dem anderen als Unsinn entkräftet: Warum wurde das nie publik gemacht? Es gab und gibt etliche Untersuchungsausschüsse - je zwei in den USA und in Großbritannien, in der UNO wird "oil for food" untersucht. Es sollte auch das untersucht werden.
STANDARD: Aber hat nicht gerade die Irak-Geschichte - das geheime Atomprogramm vor 1991, das nur unter Zwang zugegeben wurde - dazu geführt, dass die IAEO keine Persilscheine mehr ausstellt? Seitdem heißt es: "Wir sehen nichts", nicht: "Da ist nichts."
Jafar: Am Anfang haben wir gelogen, am Ende haben sie, die Amerikaner und die Briten, gelogen, weil sie den Krieg wollten. Wir haben gelogen, und wir haben dafür bezahlt. Auch sie sollten für ihre Lügen bezahlen. Uns glaubt man nicht, auch wenn wir die Wahrheit sagen.
Aber einem Bush oder einem Blair, denen wird geglaubt, sie sollten nicht lügen. Und doch hat die britische Regierung wenige Tage vor Kriegsbeginn das Parlament über ihr Irak-Dossier vom September 2002 abstimmen lassen, das zu jenem Zeitpunkt, 700 Inspektionen später, völlig hinfällig war. Und ja, die IAEO hat um ein paar Monate mehr Zeit gebeten - um zu einem "zuverlässigen Urteil" zu kommen. Ich würde gerne wissen, was noch hinzukommen hätte müssen, um das Urteil zuverlässiger zu machen, als es schon war.
STANDARD: Bleibt die Frage, warum der Irak 1991 und später gelogen hat.
Jafar: Niemand hat uns Wissenschafter in dieser Frage konsultiert. Als im März 1991 der Entwurf der späteren UNO-Resolution 687 bekannt wurde, habe ich sogar einen Plan entworfen, wie man die Abrüstungsklausel für den Atombereich erfüllt. Ich wusste sofort, bei dieser Art von Inspektionen, die da auf uns zukommen, wird nichts der Prüfung standhalten, außer der ganzen Geschichte. Ich habe den Versuch, die Wahrheit zu verbergen, für naiv und simplizistisch gehalten.
Aber Hussein Kamel (Saddams Schwiegersohn und Rüstungschef) reagierte verärgert, er meinte, man kann den wahren Zweck der Anlagen, die ja auch vom Krieg weit gehend zerstört waren, verschleiern und die Ausrüstung verstecken, und gab den Befehl dazu, sicher nach Absprache mit Saddam.
Nach meinem Einwand, wir können die Maschinen nicht verstecken, bekam ich die Anweisung, alles an die Speziellen Republikanischen Garden auszuhändigen. Anfang Juli 1991, als die Inspektoren den Sachen in den Militärcamps doch auf die Spur kamen, ordnete Saddam die Zerstörung an.
Tarik Aziz entwickelte dann vier Prinzipien für den Umgang mit den Inspektionen, und deren erstes war, die irakischen Verstöße gegen internationale Verpflichtungen herunterzuspielen, um noch größeren Schaden für die Glaubwürdigkeit des Irak abzuwenden. Aber das war sinnlos: Dass wir mit unseren Aktivitäten gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen hatten, war ja bereits klar. Vielleicht hat diese Art des Denkens auch kulturelle Wurzeln. Bei uns fehlt das Konzept des Beichtens und der Reinigung.
Aber selbst wenn wir die Ausrüstung wirklich nur versteckt hätten, wäre es angesichts der Inspektionen und des Überwachungsregimes der IAEO unmöglich gewesen, das Programm zu reaktivieren. Das wäre aber ohnehin nicht geschehen: Diese Waffen waren als Abschreckung im regionalen Kontext gedacht. Saddam Hussein wusste, wenn man sich im offenen Krieg mit den USA befindet, sind sie sinnlos.
Deshalb wurden ja auch die chemischen und biologischen Waffen, die 1991 verfügbar waren, nicht eingesetzt. Was auch beweist, dass Saddam Hussein sehr wohl abgeschreckt, eingedämmt werden konnte.
STANDARD: Sie waren nie bei der Baath-Partei, Sie saßen unter Saddam im Gefängnis. Und doch haben Sie versucht, für ihn eine Atomwaffe zu bauen.
Jafar: Nach der Zerstörung unseres Forschungsreaktors durch die Israelis 1981 hat mich Saddam aus dem Arrest holen lassen und mir den Befehl gegeben: Das war die Geburtsstunde des Programms. Man hat spekuliert, dass ich Ja gesagt habe, um frei zu kommen, aber das stimmt nicht.
Erstens war ich davon überzeugt, dass Saddam die Bombe zur Abschreckung haben wollte, sonst wäre ich anders dazu gestanden. Er hat Chemiewaffen eingesetzt, aber er war einer, der überleben und an der Macht bleiben wollte, da setzt man keine Atombombe ein.
Zweitens hatten wir, als wir anfingen, eine lange Phase vor uns, während der wir nur an der Uran-Anreicherung arbeiten würden. Wir waren weit entfernt von einer Bombe, wenn wir überhaupt je eine haben würden - denn dass wir die Anreicherung meistern, war keineswegs garantiert. Und noch etwas: Ein Naturwissenschafter ist selten ein Philosoph, und schon gar nicht, wenn ihm eine technische Herausforderung gestellt wird. Da geht es nur mehr darum, sie zu bewältigen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.2.2005)