Fallujah - Bericht aus einer zerstörten Stadt
Fallujah - Bericht aus einer zerstörten Stadt
Wachsende Unterstützung für den Widerstand
21.12.2005
In einem am Sonntag in der britischen Times veröffentlichten Artikel berichtete die Journalistin Hala Jaber von einer Reise in die durch die US-Offensive im November des letzten Jahres fast vollständig zerstörte "Stadt der Moscheen" - Fallujah.
Schon der Beginn ihrer Reise machte deutlich, daß sich die Besatzer ihrer Kriegsverbrechen in der Stadt sehr wohl bewußt sind, mußte sie sich doch zur Tarnung in eine Burqa kleiden. Außerdem nahm sie auf dem Rücksitz eines Fahrzeugs platz, in dem noch mehrere andere Frauen und Kinder saßen, ein Kleinkind nahm sie zur weiteren Tarnung auf den Schoß. So gelang es ihr, einen Kontrollpunkt am Rande der Stadt zu passieren, an dem nur Einwohner der Stadt, die einen von den USA herausgegebenen Ausweis mit biometrischen Merkmalen vorweisen können. Seit Monaten hatte sie vergeblich versucht, nach Fallujah gelangen, um sich selbst ein Bild der Verwüstung und des vermeintlichen Wiederaufbaus machen zu können. Angesichts des Ausmasses der Zerstörung zeigte sie sich "schockiert" und fühlte sich an die Aussage eines US-Offiziers in Vietnam erinnert, der sagte, er hätte ein Dorf zerstören müssen, um es zu retten.
"Fallujah ist tatsächlich zerstört worden. Aber ich fand hier niemanden, der glaubt, daß es gerettet wurde", sagte sie. "Große Gebiete dessen, was einmal Häuser waren, sind eingeebnet. An unzähligen Straßenecken speien Müllhaufen schwarzen Rauch in die Luft. Geröllfelder breiten sich aus, soweit das Auge sehen kann. Hier und da huschen Kinder über die zerstörte Landschaft, auf der Suche nach größeren Ziegelsteinen und Steinen für den mühsamen Wiederaufbau." Angesichts der Aussage von US-Oberst Gary Brandl, "Der Feind hat ein Gesicht. Es ist das von Satan. Er ist in Fallujah und wir werden ihn zerstören", kann das rücksichtslose Vorgehen des US-Militärs allerdings kaum verwundern.
Schon im Dezember 2004, also kurz nach der "Offensive" sprach der Journalist Dahr Jamail mit einer Frau, die mit einem kleinen Hilfskonvoi in die Stadt hineinfahren durfte.
"Es gab Familien mit nichts. Ich traf eine Familie mit drei Töchtern und zwei Söhnen. Einer ihrer Söhne, Mustafa, der 16 Jahre alt war, war von amerikanischen Scharfschützen getötet worden. Dann wurde ihr Haus niedergebrannt. Sie hatten nichts zu essen. Nur Reis und kaltes Wasser - schmutziges Wasser... sie gaben den Reis in das schmutzige Wasser, ließen ihn ein oder zwei Stunden darin, dann aßen sie den Reis. Fatma, die 17-jährige Tochter, sagte, sie betete zu Gott, ihre Seele zu holen, da sie das Grauen nicht mehr ertragen konnte."
Der 12-jährige Junge der Familie sagte Suthir, daß er Arzt oder Journalist hatte werden wollen. Sie hielt inne und fügte dann hinzu: "Er sagte, daß er jetzt keine Träume mehr hat. Er konnte nicht einmal mehr schlafen."
"Ich bin sicher, daß die Amerikaner dort schlimme Dinge begangen haben, aber wer kann das entdecken und sagen", sagte sie. "Sie haben es uns nicht erlaubt, in den Stadtteil Jolan oder die anderen Gegenden, wo es schwere Kämpfe gab, zu gehen und ich bin sicher, daß dort schreckliche Dinge passiert sind."
Diese Einschätzung wurde spätestens durch eine im November ausgestrahlte Dokumentation des italienischen Senders RAINews24 bestätigt. Anzeichen für den versprochenen schnellen Wiederaufbau der Stadt finden sich auch jetzt, über ein Jahr später, nur vereinzelt in besseren Gegenden der Stadt, die vor der zerstörerischen Offensive des US-Militärs über 300.000 Einwohner hatte – von denen bisher kaum die Hälfte zurückgekehrt ist. Überwiegend wird der Wiederaufbau von Frauen wie Rasmiya Mohammed Ali versucht. Sie kriecht in der Ruine ihres Hauses umher und schlägt mit einem kleinen Hammer auf Ziegelsteine ein, die ihre sieben und acht Jahre alten Söhne gesammelt haben.
"Sie gaben uns nicht einmal ein Zelt. Was kann ich tun, als diese Steine zu säubern, damit wir unser Haus wiederaufbauen können?", fragte sie. Die Mutter von insgesamt fünf Kindern erhielt 700 US-Dollar "Entschädigung" für ihr bei dem US-Angriff zerstörtes Haus.
Dr Hafid al-Dulaimi, der Leiter der Entschädigungskommission der Stadt, sagte, daß 36.000 Häuser und 8.400 Geschäfte in Fallujah zerstört worden sind. Neben 60 Kindergärten und Schulen wurden al-Dulaimi zufolge auch 65 Moscheen und andere religiöse Einrichtungen zerstört. Dem "Bürgermeister" der Stadt – ein Titel, der angesichts der allgemeinen Besetzung des Iraks und der etwa 4.200 US-Soldaten in Fallujah eine unzutreffende Machtposition vorgaukelt – Dhari abd al-Hadi al-Irrsan zufolge sind nur rund 20 Prozent der Versprochenen Entschädigungen tatsächlich in Fallujah angekommen. Al-Irrsans Position gegenüber den Besatzern macht auch die Tatsache deutlich, daß sein Haus bereits vier Mal von US-Soldaten gestürmt und durchsucht worden ist. Bei dem letzten Mal vor zwei Wochen wurde einer seiner Leibwächter von den US-Soldaten angeschossen und schwer verletzt. "Er ist jetzt im Krankenhaus, weil er an Lungen und Leber verletzt wurde", sagte er.
Da schon die Stromversorgung in der irakischen Hauptstadt Baghdad äußerst mangelhaft ist und regelmäßige, stundenlange Stromausfälle zum Alltag gehören kann es kaum verwundern, daß die Lage in Fallujah noch weitaus schlechter ist. Viele Menschen benutzen nachts wie ihre Vorfahren Öllampen. Zwar war Jaber bei einer Familie untergekommen, die sich einen Stromgenerator leisten kann, die mangelhafte Versorgung der Stadt mit Öl führt aber dazu, daß auch sie das Gerät nur begrenzt einsetzen können. Der älteste Sohn von Umm Ahmad, ihrer Gastgeberin, sagte, daß US- und "irakische" Soldaten die Bewohner der Stadt daran hinderten, Öl in Kanistern von außerhalb zu holen. Er vermutete, daß befürchtet werde, daß daraus Brandbomben gebaut würden. Sollte dies zutreffen, wäre es angesichts der im Irak im Überfluß vorhandenen Waffen noch widersinniger als die kürzlich in Deutschland erfolgten massenweisen Hausdurchsuchungen bei Personen, die über das Internet bei Chemikalienhändlern größtenteils völlig harmlose Stoffe gekauft haben.
"In einigen Gegenden füllt der Gestank von Abwasser die Luft, während schmutzige Kleinkinder und barfüßige Kinder auf den Skeletten von in den Trümmern aufgestapelten Fahrzeugen herumklettern. Ich entdeckte selbst, wie schwer es ist, sauber zu bleiben, als Umm Ahmad mir einen Topf Wasser anbot, den sie auf einem uralten Ofen im Badezimmer zum kochen gebracht hatte, um ihn mit einem Topf kaltem Wasser zu mischen und in eine Behelfsdusche zu schütten", berichtete die Journalistin.
Abu Salam geht täglich in ein früheres Fußballstadion, daß während des US-geführten Angriffs zu einem behelfsmäßigen Friedhof wurde, um dort die ersten Verse des Korans für die Seelen der Toten zu rezitieren. Er hofft, daß einer seiner vermißten Söhne dort begraben wurde. Schon während der ersten US-Offensive gegen Fallujah im April des vergangenen Jahres wurden sein 5 Jahre alter Sohn Bilal und seine 3 Jahre alte Tochter Nawal getötet. Während der zweiten Offensive wurden zwei weitere Söhne im Alter von 15 und 18 Jahren getötet. "Mein 18-Jähriger war ein Kämpfer, ein Widerstandskämpfer, der blieb um seine Stadt zu verteidigen; darin ist keine Schande", sagte er. "Er war kein Terrorist, aber ich werde seine Beteiligung nicht verstecken." Er hat keine Ahnung, wie seine Söhne ums Leben kamen, aber er befürchtet, daß sie von den US-Soldaten in den Fluß oder eines der Massengräber geworfen worden sind, wie dies Gerüchten zufolge mit hunderten Opfern geschehen ist.
"Sie trampeln auf unserer Ehre herum", sagte er über die US-Soldaten. "Sie wollen uns zerstören, weil wir nein zu der Besatzung sagten, aber so Gott will werden sie es nicht schaffen." Mittlerweile hat er sich selbst dem Widerstand in der Stadt angeschlossen. In Gesprächen zeigte sich, daß dies in vielen Fällen passiert ist. Wären schon die Kriegsverbrechen und die Zerstörungen während der US-Offensive hierfür zweifellos Erklärung genug, so hörte Jaber immer wieder Berichte, denen zufolge die Menschen in der Stadt auch jetzt noch von den US-Soldaten massiv provoziert werden.
So zeigte ihr der "Bürgermeister" Berichte, in denen sich Einwohner darüber beklagten, daß ihr Eigentum während Durchsuchungen ihrer Häuser von US-Soldaten gestohlen worden sei. Fabriken und Häuser seien um Maschinen, Generatoren und andere Wertsachen erleichtert worden. Eine frau hatte gerade 2.000 US-Dollar als "Entschädigung" für ihr zerstörtes Haus erhalten, als sie von "irakischen Soldaten" angehalten und beraubt wurde. Einem anderen Mann wurden bei einem ähnlichen Vorfall 3.500 US-Dollar gestohlen. Häufig hörte Jaber auch den Vorwurf, daß es zu Morden durch "pro-Regierungs-Kräfte" - ob sie hiermit nur "irakische Soldaten" oder auch US-Soldaten meinte, ist unklar – kommt.
Gegen 04:00 Uhr früh an einem Tag im Februar wurde der wohlhabende Geschäftsmann Abu Seif von dem Lärm von tieffliegenden Hubschraubern geweckt. Nur Augenblicke später stürmten US-Marines mit Hunden sein Haus, feuerten Tränengasgranaten ab, fesselten ihn und verbanden ihm die Augen und warfen ihn in einen der Hubschrauber. Dann begannen 15 Tage, in denen er immer wieder gefragt wurde, warum er den Briten Kenneth Bigley ermordet habe. Seine Frage "Wer ist Bigley?" versetzte sein Gegenüber offenbar so in Wut, daß er ein Messer zog und es ihm in den Nacken presste. Stromkabel wurden an seinen in Ketten gelegten Beinen befestigt und es wurde so getan, als würde er durch einen Stromschlag hingerichtet werden. Ihm wurde der Schlaf ebenso wie Sinneseindrücke verweigert. Ihm wurden Kopfhörer aufgesetzt und "unbeschreiblicher, ekelhafter, lauter Lärm" vorgespielt. Schließlich wurde seinen Folterern klar, daß er tatsächlich nichts über den Tod Bigleys wußte, geschweige denn daran beteiligt war. Er wurde an einen anderen Ort geflogen, wo er von einer arabischsprechenden Soldatin "gutes Essen" bekam. Nach einigen Tagen bot man ihm einen Koran und einen neuen Gebetsteppich an und forderte ihn auf, zu gehen ohne sich umzusehen.
Bei einem geheimen Treffen von 11 Anführern von Widerstandsgruppen erfuhr Jaber, daß angesichts der "Wahlen" eine "Schonfrist" ausgerufen worden sei. Man wolle abwarten, ob sich in Fallujah etwas zum besseren wende. Sollte dies nicht bald eintreten, würden die Angriffe aber wieder verschärft.
Auch Abu Seif unterstützt nun die Widerstandskämpfer. "Was die Amerikaner Fallujah angetan haben, ist unannehmbar und wenn sie glauben, es sei vorbei, wissen sie nicht, was auf sie zukommt."
quelle:FREACE