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US-News

Wollte gern mal als wie ich finde sehr interessante Polemik, Kolumne mal etwas Übersetztes von Kim Palchikoff bringen. Sie ist Amerikanerin und arbeitet als Journalistin dort. Hat 10 Jahre Russlanderfahrung. Und bevor jemand kommt, ich finde die Gedankengänge wirklich sehr erschreckend und traurig. Denke werde es aufsplitten.

Quelle ist gazeta.ru. Die sind sicher kein westfeindliches Kreml-Blatt


Ich erinnere mich noch sehr gut an die Zeit, als ich 1990 in die UdSSR kam- eine 21jährige Amerikanerin, die kein Wort Russisch konnte, die keinerlei Vorstellung davon hatte, was sich hinter dem Eisernen Vorhang verbarg. Aber mich verschlug es nach Leningrad um Englisch zu unterrichten für Kinder in der Grundschule.

Das war eines der schlimmsten Jahre in der modernen sowjetischen Geschichte. Die Schlangen für Lebensmittel und alles sonst waren länger als gewöhnlich. Nicht, dass ich überhaupt davon gewusst hätte, dass man für Lebensmittel „anstehen“ muss: Die einzige Schlange, in der ich je gestanden hatte war die zu den Attraktionen in Disneyland.

In diesem Jahr verbrachte ich, wie es scheint, einen großen Teil meiner Zeit damit zu überleben, und das bedeutete, dass man viel auf den Beinen sein musste um herauszufinden, wo das Notwendige zum Leben zu bekommen war. Abgesehen von all den beeindruckenden (und kostenlosen) Dingen, die der sowjetische Kommunismus bereit hatte – Kinderbetreuung nach der Schule, Sommerlager, Hochschulausbildung, erschwingliche Balettvorführungen und lebenslang garantierte Arbeit, es war ein zurückgebliebenes Land, wie es schien, mit der Zeit erstarrt.

Die meisten meiner Freunde hatten keine eigene Wohnung, sie wohnten In Gemeinschaftswohnungen oder im Wohnheim, das Kind teilte sich das Zimmer mit den Eltern. Sie hatten keine Waschmaschinen, sie mussten sich eine Küche mit Unbekannten teilen und die meisten Telefone wurden nur wie Notruf benutzt.
Die Leute waren sehr unglücklich. Sie schimpften ständig auf die Regierung, auf ihr Leben, darüber dass sie Essen im (Hamster)Vorrat kaufen mussten. Wenn irgendwo Zucker verkauft wurde, dann kauften sie zehn Pakete und bewahrten sie in der Schale auf. Die Kassierer benutzten Rechenschieber, da sie keine elektronischen Kassen hatten.

Ich fühlte mich wie Iwan Wassiljewitsch aus dem bekannten sowjetischen Film, nur dass ich aus der Zukunft in die Vergangenheit gekommen war.

Etwas musste sich ernsthaft ändern. Aus Sicht eines Außenstehenden funktionierte die sowjetische Führung einfach nicht mehr. Die Kultur des ewigen Schlangestehens musste aufhören.

Und nun setze ich mich in eine Zeitmaschine, die mich fast um 30 Jahre versetzt. Ich habe Moskau nach 10 Jahren Leben in Russland verlassen, um als Journalistin in Amerika zu arbeiten. Und das ist mir aufgefallen.
Jetzt befinden sich die USA, wie Russland im Jahr 1990, scheinbar am Rande eines Nervenzusammenbruchs.

So grotesk es anmutet, mein Leben unter Uncle Sam erinnert mich traurig an meine Tage in Russland. Unabhängig von der Liebe unserer Medien zu unserer offensichtlich schnell wachsenden Wirtschaft kann mich niemand davon überzeugen, dass doch alles fein ist. Unsere Nation, leider, befindet sich in einem Zustand von Teilung und Bosheit, wie nach dem Vietnamkrieg. Die Leute lieben oder hassen Präsident Donald Trump und diskutieren beständig über ihn. Aber viel wichtiger – wir sind eine Nation, die in Chaos lebt mit einer Regierung, die mehr Leute entlassen und eingestellt hat als jemals zuvor in der amerikanischen Geschichte.
 
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Teil 2:

Eine immer größere Rolle in unserem Wahnspielt Russland. Noch in den 90ern schien es, als sei der Kalte Krieg endlich vorbei. Jetzt ist er wieder zurück gekehrt und manchmal denke ich, noch schlimmer. In den Jahren des Kalten Krieges mochten die Amerikaner Russland nicht besonders, aber das war sehr weit weg. Aber jetzt, wenn man den Medien glauben darf, tönt es in jedem Haus über Moskau, spricht man darüber auf jeder Facebook-Seite und in jeder Wahlkabine jedes Städtchens, wenn man den Medien glauben darf. Aber der sowjetische Führer Brezhnev war ein Feind, aber weit wenig. Jetzt erscheint Putin mit nacktem Oberkörper fast jede Woche in jedem Haus, spricht man von ihm ununterbrochen in der TV-Show „Saturdy Night Live“.


Meine Mum, die vier mal nach Russland fuhr, um mich in den 90ern zu besuchen flehte mich an zu versprechen, dass ich nie mehr nach Moskau reisen werde, weil das, ihrer Meinung nach, eine gefährliche Stadt sei wie Caracas, was sich auf Platz zwei der Törungsdelikte in der Welt befindet. Ihre Theorie: Wenn wir die Russen hassen, dann müssen sie uns auch hassen.


Natürlich versuchen alle Großmächte auf Wahlen in anderen Ländern Einfluss zu nehmen. Aber es war nicht der Präsident, mit entblößten Oberarmen auf einem Pferd, der Amerika ins Unglück gestürzt hat.


Die Streits um die Gesundheitsversorgung, die hohen Kosten für College-Ausbildung, fehldende Arbeitsplätze und Probleme mit der Immigration bringen mich zu meiner Theorie, die nicht zu beweisen ist, aber vielleicht wahrscheinlich: der Kapitalismus zerfällt. Amerika braucht ein neues politisches System, eine dritte politische Partei, Reformen beim System der Wahlkapmffinanzierung um nicht zuzulassen, dass die Wahlen gekauft werden von den reichsten Kandidaten.


Ich träume von dem Tag, an dem unsere Politiker auf verschiedenen föderalen und örtlichen Ebenen dieselbe Summe für den Wahlkampf erhalten je nachdem, für welches Amt sie sich bewerben. Damit sie nicht Privates Geld, Firmenspenden oder andere private Zuwendungen dafür nutzen können.


Wie auch in der UdSSR im Jahr 1990 sieht der größte Teil der Arbeit unseres politischen Systems archaisch aus. Die Vereinigten Staaten wurden im 18. Jh. Gegründet, als wir aus 13 Kolonien bestanden und nicht 50 Staaten, und aus nur einigen Millionen Menschen.

Der größte Teil der Welt wählt heute seine Führer in allgemeinen Wahlen. Das hat einen Sinn. Der, der die meisten Stimmen erhält, gewinnt. Aber hier, in den USA, wählen wir unsere Präsidenten nach einem veralteten System, basierend auf sog. Wahlmännern. Deswegen hat Hillary Clinton, die praktisch 3Millionen Stimmen mehr erhalten hatte als Donald Trump, die Präsidentschaftswahlen 2016 verloren.
Unsere Gründungsväter schufen auch den High Court, wo Richter arbeiten, die auf Lebenszeit ernannt sind. Noch eine Katastrophe. Sie taten dies zu einer Zeit, als die durchschnittliche Lebenserwartung 35 Jahre betrug. Im 18 Jh. Starben die Menschen früh. Präsident Trump hat zwei extrem konservative Richter an den High Court ernannt, die unsere Gesetzgebung für die kommenden Jahrzehnte beeinflussen werden und die dort bis zum Ende ihrer Tage bleiben werden. Dabei ist der liberalste Richter am High Court Ruth Ginsburg schon über 80.


Neben unserem politischen System, was scheinbar kaum noch funktioniert haben wir einen Präsidenten, der ein Konzept vorstellt, demzufolge das Leben in ständigem Chaos und Ungewissheit – eine normale Art zu leben sei. Und das wirkt sich auch auf die einfachen Menschen aus.
 
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Teil 3:

Jeder Tweet, jeder ungeordnete Abzug aus Syrien, jede Abdankung eines Kabinettmitglieds lässt die Menschen nervös werden.
Erlauben Sie mir Ihnen von dieser angeblich schnell wachsenden Wirtschaft zu erzählen. Tatsächlich bedeutet dies, dass weniger Amerikaner Geld aus der Arbeitslosenversicherung bekommen – d.h. Geld, was bis zu sechs Monaten nach dem Verlust einer Arbeit ausgezahlt wird. Daran misst die Regierung, wie viele Menschen arbeiten. Aber in Wirklichkeit heißt das, dass mehr und mehr Menschen kein Geld aus der Arbeitslosenversicherung mehr bekommen, da ihre sechs Monate abgelaufen sind, und die Regierung zahlt weniger. Aber das bedeutet nicht, dass mehr Arbeitsplätze entstanden sind.


Amerika braucht gigantische Veränderungen und anzunehmen wird das nicht passieren. Es scheint einfach, als müssten wir aufhören, im 21. Jh. Nach Normen zu leben, die im 18. Jh. geschaffen wurden. So kann man nicht leben, deswegen zerfallen wir womöglich genauso wie die UdSSR.
Es gibt sogar einen amerikanischen Witz darüber, dass Kalifornien oder Texas mal genauso unabhängig werden wie jetzt wohl die Ukraine.
In den 40 Jahren meines Lebens in Amerika habe ich das Volk nie so böse erlebt. Viele von uns sehnen sich nach Barack und Michelle Obama. Sie waren diplomatisch, respektvoll und verstanden was es heißt, Führungsfiguren zu sein. Jetzt, wenn irgendwo eine nationale Tragödie passiert, raten die Berater von Präsident Trump diesem, sich so weit wie möglich vom Unglücksort fern zu halten. Sich darauf berufend, dass er kein Mitgefühl kenne und nicht die Fähigkeit habe, andere zu trösten.


Vielleicht ist es Zeit für die USA, wie für Russland, einen nationalen Diskurs darüber zu führen, wohin Amerika steuert, was wir im Leben verdient haben, was wir machen sollen mit den Immigranten, die unsere Grenzen überqueren. Die Möglichkeiten für einen solchen Diskurs gibt es. Zum Glück haben wir jetzt eine Legislative mit zwei Parteien – den Kongress, kontrolliert von den Demokraten, den Senat, geführt von den Republikanern. Ich warte darauf zu sehen, was damit passiert.


Ich hoffe auf etwas Gutes. Und wenn nicht, dann bleibt nichts weiter als Schlange zu stehen vor den Wahlbezirken. Und auch wenn sie genauso lang werden wird wie die in der UdSSR im Jahr 1990 bin ich bereit mich anzustellen.

https://www.gazeta.ru/comments/2019/03/10_a_12224953.shtml?updated
 
Vielen Dank für die Übersetzung. In dem Artikel wird auch mit einer Internet-Mär aufgeräumt, nämlich damit dass die Sowjetunion bzw. Russland zu Zeiten ihres Zerfalls nicht wirtschaftlich am Boden gewesen wäre.
 
Gern. Natürlich. Meine sehr sehr blassen und kaun vorhandenen Erinnerungen an die Zeit sind leere Läden und Warteschlangen
 
Mach doch draus was du willst oder auch nicht. Es ist eine Polemik, eine Komumne um den Zustand des politischen Systems, auch der Gesellschaft insgesamt.
Eine Polemik ist es nicht. Eine kritisch angehauchte Beschreibung einer Beobachterin leicht links der Mitte, oder? Eigentlich Mainstream für Ost- und Westküste.

Ich bin mir nicht sicher, ob du und Damian annehmen, dass alle, die im Russland-Thread was kritisches schreiben, auch naive Anhänger der USA sind?

Ich werd in diesem Jahr nach langer Zeit mal wieder hinfahren. Ich mag das Land. Aber es ist auch mir klar, dass es in Teilen ein Dreckssystem ist. Also nur keine Scheu mit der Kritik.
 
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