
Lea Ypi: Warum Migration nicht das Problem ist
Eine politische Gemeinschaft flüchtet sich aus der Verantwortung, wenn sie jenen, die nicht zu ihr gehören, an ihrem Versagen Schuld gibt. Die "Rede an Europa" in einer Kurzfassung
Am Donnerstagabend hielt die Philosophin und Politikwissenschafterin Lea Ypi auf dem Wiener Judenplatz die Rede an Europa 2025. Dieser Gastkommentar über Migration und Identität ist eine Kurzfassung dieser Rede.
Migration wird heute als das Hauptproblem unserer Zeit vorgestellt. Man hat den Eindruck, dass sich sämtliche Konflikte unserer Zeit in Wohlgefallen auflösen werden, sobald wir die Frage der Zugehörigkeit beantwortet haben. Doch es ist irrig zu glauben, Migration sei ein Problem an sich. Und es ist gefährlich, die Rede von Migration als Problem im politischen Diskurs zu normalisieren.
Europas Versprechen – und Versagen
Ich wuchs in den 1990er-Jahren in Albanien auf, einem Land, in dem die Menschen jahrzehntelang bei dem Versuch, die Grenze zu überqueren, ermordet wurden. Der Westen hatte ebenfalls Jahrzehnte damit zugebracht, den Osten für seine geschlossenen Grenzen zu kritisieren. Doch gerade in dem Moment, als die vormals sozialistischen Staaten aufhörten, ihre Bürgerinnen und Bürger an der Grenze zu erschießen, entsandten kapitalistische Staaten Boote, um ihre Meere zu bewachen. Migrantinnen und Migranten verloren nach wie vor ihr Leben, lediglich die Farbe der Uniformen, die Flagge, unter der die Verbrechen verübt wurden, hatte sich geändert.
Mittlerweile hat der Westen ein System perfektioniert, das die Verwundbarsten ausgrenzt und Qualifizierte anzieht. Gleichzeitig hat er sich dem Grenzschutz verschrieben, um den "European way of life" zu schützen und, wie die italienische Premierministerin Giorgia Meloni kürzlich US-Präsident Donald Trump gegenüber erklärte, den Westen "'great' again" zu machen. Migranten fungieren als Sündenböcke, wenn es um die Probleme westlicher Gesellschaften geht. Doch eine politische Gemeinschaft, die denjenigen, die nicht zu ihr gehören und diese Zugehörigkeit auch nicht für sich einfordern können, an ihrem Versagen die Schuld gibt, vermeidet es schlicht, sich ihrer Verantwortung zu stellen.
www.derstandard.at
Eine politische Gemeinschaft flüchtet sich aus der Verantwortung, wenn sie jenen, die nicht zu ihr gehören, an ihrem Versagen Schuld gibt. Die "Rede an Europa" in einer Kurzfassung
Am Donnerstagabend hielt die Philosophin und Politikwissenschafterin Lea Ypi auf dem Wiener Judenplatz die Rede an Europa 2025. Dieser Gastkommentar über Migration und Identität ist eine Kurzfassung dieser Rede.
Migration wird heute als das Hauptproblem unserer Zeit vorgestellt. Man hat den Eindruck, dass sich sämtliche Konflikte unserer Zeit in Wohlgefallen auflösen werden, sobald wir die Frage der Zugehörigkeit beantwortet haben. Doch es ist irrig zu glauben, Migration sei ein Problem an sich. Und es ist gefährlich, die Rede von Migration als Problem im politischen Diskurs zu normalisieren.
Europas Versprechen – und Versagen
Ich wuchs in den 1990er-Jahren in Albanien auf, einem Land, in dem die Menschen jahrzehntelang bei dem Versuch, die Grenze zu überqueren, ermordet wurden. Der Westen hatte ebenfalls Jahrzehnte damit zugebracht, den Osten für seine geschlossenen Grenzen zu kritisieren. Doch gerade in dem Moment, als die vormals sozialistischen Staaten aufhörten, ihre Bürgerinnen und Bürger an der Grenze zu erschießen, entsandten kapitalistische Staaten Boote, um ihre Meere zu bewachen. Migrantinnen und Migranten verloren nach wie vor ihr Leben, lediglich die Farbe der Uniformen, die Flagge, unter der die Verbrechen verübt wurden, hatte sich geändert.
Mittlerweile hat der Westen ein System perfektioniert, das die Verwundbarsten ausgrenzt und Qualifizierte anzieht. Gleichzeitig hat er sich dem Grenzschutz verschrieben, um den "European way of life" zu schützen und, wie die italienische Premierministerin Giorgia Meloni kürzlich US-Präsident Donald Trump gegenüber erklärte, den Westen "'great' again" zu machen. Migranten fungieren als Sündenböcke, wenn es um die Probleme westlicher Gesellschaften geht. Doch eine politische Gemeinschaft, die denjenigen, die nicht zu ihr gehören und diese Zugehörigkeit auch nicht für sich einfordern können, an ihrem Versagen die Schuld gibt, vermeidet es schlicht, sich ihrer Verantwortung zu stellen.

Lea Ypi: Warum Migration nicht das Problem ist
Eine politische Gemeinschaft flüchtet sich aus der Verantwortung, wenn sie jenen, die nicht zu ihr gehören, an ihrem Versagen Schuld gibt. Die "Rede an Europa" in einer Kurzfassung