Das einsame Land
Israel gerät immer tiefer in die diplomatische Isolation. Jetzt wollen die Palästinenser vor den Vereinten Nationen ihre Anerkennung als Staat erzwingen.
Kann man ein Veto gegen das Ziel seiner eigenen Politik einlegen? Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird die Welt nächste Woche erleben, dass die Vereinigten Staaten und Deutschland – die entschiedensten Förderer einer Zweistaatenlösung – Palästina die Anerkennung verweigern, und zwar auf der Hauptbühne der internationalen Politik. Die Palästinenser
wollen beim Sicherheitsrat die Vollmitgliedschaft in den UN beantragen. Amerika hat bereits die Blockade angekündigt, und auch die Deutschen sind festgelegt, seit die Kanzlerin im April »einseitige Schritte« in der Nahostfrage zurückgewiesen hat. Man kann den Palästinensern zwar die vollgültige Aufnahme verweigern, nicht aber die Anerkennung zweiter Klasse, die sie dann anstreben würden. Sie haben eine Zweidrittelmehrheit der Generalversammlung sicher, die nötig ist, um analog zum Heiligen Stuhl (»Vatikanlösung«) als »Nichtmitgliedsstaat« aufgenommen zu werden. Auf die letzte Silbe kommt es ihnen dabei an: Staat.
150 Staaten für Palästina und wir dagegen? Es droht der Offenbarungseid westlicher Nahostpolitik: Hat man nicht Freiheitswillen und Selbstbestimmungsstreben in Tunesien, Ägypten, Libyen und Syrien gepriesen? Und nun ein schnödes »Njet« gegen einen Staat, dessen Aufbau wir uns paradoxerweise eine Milliarde Euro pro Jahr kosten lassen?
Nahostpolitik nach dem Arabischen Frühling steht vor der nahezu unmöglichen Aufgabe, die Glaubwürdigkeit des Westens in der arabischen Welt wiederherzustellen – und zugleich Israels Isolation zu verhindern. Sonst droht die Freiheitsbewegung der Araber von der giftigen Freund-Feind-Logik des Nahostkonflikts aufgezehrt zu werden, von der sie sich zunächst erfolgreich frei gemacht hatte.
Israel
Der israelische Verteidigungsminister Barak sieht schon einen »Tsunami« auf sein Land zukommen, wenn es die Selbstisolation weiter vorantreibt. Der
Sturm auf die israelische Botschaft in Kairo, antiisraelische Demos in Jordanien und der Dauerstreit mit der Türkei führen vor Augen, dass Israel in diesen Wochen zu zerbrechen droht, was es sich über Jahrzehnte mühsam aufgebaut hat: diplomatische Beziehungen und verhaltene Freundschaft mit wichtigen Staaten des Nahen Ostens. Das ist auch eine Folge der Demokratisierung der Region. Außenpolitik kann im innenpolitischen Machtkampf ein Trumpf werden. Über Jahrzehnte hatte Israel in Ägypten ziemlich genau zwei Freunde – den Präsidenten und den Geheimdienstchef. Das reichte in autoritären Verhältnissen. Seit dem Sturz des Herrschers Hosni Mubarak im Februar aber ist Außenpolitik plötzlich Teil der Innenpolitik – und umgekehrt. Die ägyptische Regierung kann und will die Volksmeinung nicht mehr ignorieren. Das Verhältnis zu Israel ist die Sache aller Ägypter geworden.
Niemand weiß das besser als der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdoğan, der Anfang der Woche in Kairo
wie ein populärer arabischer Führer empfangen wurde. Erdoğan versteht sich prächtig auf das Wechselspiel von Innen- und Außenpolitik. Daheim hält er mit Attacken gegen Israels Gazablockade und Siedlungspolitik die türkische Opposition in Schach. In der arabischen Welt wirbt er um die Herzen der Empörten und mehrt das Ansehen der Türkei.
Für Israel bedeutet die Verschränkung von Innen- und Außenpolitik in Nahost,
dass der alte Deal nicht mehr gilt: hier der Kleinkrieg mit den Palästinensern, dort entspannte Beziehungen zu großen muslimischen Staaten wie Ägypten und der Türkei.
Damit bekommt die Initiative des Präsidenten Abbas – die man sträflicherweise als einen Akt der Symbolpolitik unterschätzt hat – eine ungeheure Wucht. Der saudische Ex-Geheimdienstchef Turki al-Faisal hat den Amerikanern soeben gedroht, wenn sie die Palästinenser im Stich ließen, würde sich das Königreich von der Allianz mit Amerika abwenden. Selbst die absolutistisch regierenden Saudis können es sich nach den arabischen Revolten nicht mehr leisten, das Volk zu ignorieren.
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