Eine Ausrede wie aus dem Kindermund
	
	
		
		
			„Das war ich nicht, das war FETO.“
		
		
	 
	
	
		
		
			Ganz gleich, was gerade in der Türkei geschieht, ganz egal, welcher  Schmutz dort gerade zum Vorschein kommt – der „übliche Verdächtige“, um  es in Anlehnung an den wunderbaren Film „Die üblichen Verdächtigen“ zu  sagen, ist automatisch FETO. Sicherlich, ihr Fingerabdruck findet sich  tatsächlich bei zahlreichen Skandalen der jüngeren türkischen  Vergangenheit, angefangen von Prüfungsfragen, die an Militärakademien  entwendet und dann an die eigenen Anhänger verteilt wurden, bis hin zu  Verschwörungsprozessen, die nur dazu dienten, kemalistische Offiziere  auszuschalten.
		
		
	 
	
	
		
		
			Die Unverfrorenheit aber, mit der manch einer sich nun hinter FETO verschanzt, dreht einem den Magen um.
		
		
	 
	
	
		
		
			Besonders dreist hat das gerade Can Gürkan, der Geschäftsführer des  Bergwerks von Soma, gemacht. Im Mai 2014 riss dort ein Grubenunglück 301  Arbeiter aus dem Leben. In dem Prozess, der danach gegen den  Minenbetreiber angestrengt wurde, verteidigte sich Gürkan nun auf eine  Weise, die einem fast den Verstand raubt. Er sagte: „PKK, DHKP-C und  FETO attackieren unser Land. Diese Organisationen sind auch  verantwortlich für das, was in Soma geschah. Der Täter von Soma ist  FETO!“
		
		
	 
	
	
		
		
			Nach dem Unglück besuchte er, damals noch Ministerpräsident, Soma und  sagte: „Das ist eine gewöhnliche Sache. Das steckt im Wesen der Sache.“  Als Beweis führte er Grubenunglücke in England im neunzehnten  Jahrhundert an: „1862 starben bei einem Einsturz 204 Personen, 1866  starben 361 Personen, 1894 gab es bei einer Explosion 290 Tote.“
                                                                                                        Der Schuldige ist wieder einmal gefunden
Diese  Aussagen brachten die Hinterbliebenen der Opfer natürlich auf die  Palme. Sie demonstrierten so laut und heftig gegen Erdogan, dass dieser  sich zwischenzeitlich in einen Supermarkt flüchten musste, wo er  angeblich handgreiflich gegen einen Mann geworden sein soll.
		
		
	 
Erdogans Berater bei Verhandlungen mit dem Volk
	
	
		
		
			Die Erklärung für alles, was derzeit im Land geschieht, steht fest –  selbst bei diplomatischen Schachzügen. Denn auch hinter dem Abschuss des  russischen Kampfjets im November 2015 soll nun FETO stecken. Sie  glauben das nicht, nicht wahr? Nach dem Vorfall, bei dem der russische  Pilot getötet wurde, hatte Staatspräsident Erdogan gewettert: „Wer  unseren Luftraum verletzt, hat die Konsequenzen zu tragen.“                                                                                                        Ein frappierendes Eingeständnis
Und  der damalige Premierminister Davutoglu, der mittlerweile den Hut nehmen  musste, sagte über den Abschuss: „Ich gab persönlich den Befehl.“  Später wandelte sich die Lage, und die Türkei bat Russland um  Entschuldigung. Bei seinem Putin-Besuch vor einigen Tagen hat Erdogan  nun gesagt, dass FETO hinter dem Abschuss gesteckt habe. Der  Nachrichtenagentur AFP teilte ein türkischer Beamter mit, die für den  Abschuss verantwortlichen türkischen Piloten säßen derzeit in Haft.
		
		
	 
Türkei: Die Gülen-Organisation ist immer schuld
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Erkennt man hier im BF ganz gut.
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Inzenierte Scheizze
Einige Wochen nach dem Putschversuch hat Staatspräsident Erdogan eine  Großkundgebung im Istanbuler Stadtteil Yenikapi abgehalten. Es waren  auch jede Menge Künstler eingeladen. Die „Celebrities“ wetteiferten  miteinander, um auch ja in der vordersten Reihe gesehen zu werden.  Hunderte Berühmtheiten aller Sparten, von Musik bis Sport stellten alles  Mögliche an, um die sozialen Netzwerke mit Selfies nach dem Motto „Ich  war dabei“ zu füttern. 
Musikproduzenten stritten darum, wer die meisten  Künstler angekarrt hat. Eine einzige Berühmtheit lehnte trotz Einladung  ab, zu kommen: die türkische Sängerin Sila.
Viele trauen sich nicht, ihre Meinung zu sagen
Gegenüber  einer Zeitung sagte sie: „Ich bin gegen den Putsch, aber ich bin auch  gegen die Show in Yenikapi.“ Viele in der Türkei dachten ähnlich,  trauten sich aber aus Furcht vor dem Zorn des Mainstreams nicht, ihre  Meinung auszusprechen. Sila dagegen blieb den Worten ihres berühmtesten  Songs treu: „Wohin der Kopf geht, dahin gehen auch wir“. An der  Kundgebung beteiligten sich ein paar Millionen Menschen, im Anschluss  sagte Erdogan: „Alle, die dort waren, wollten die Todesstrafe.“ Und Sila  kam ihr Fernbleiben teuer zu stehen.
Es ist ja nicht so, dass die Sängerin dazu aufgefordert hätte, der  Kundgebung fernzubleiben. Sie hatte lediglich gesagt: „Ich gehe da nicht  hin.“ Wie verhielt sich der im AKP-Diskurs manifestierte „Nationale  Wille“ dazu? Er äußerte sich nicht etwa in dem Sinn, dass man Sila nicht  mehr hören wolle. Sondern es wurde beschlossen, dafür zu sorgen, dass  die Sängerin nicht mehr zu hören ist. Nachdem Sila die Kundgebung als  „Show“ bezeichnet hatte, ergoss sich zunächst in den sozialen Netzwerken  ein Shitstorm über sie. Am nächsten Tag stempelten sie dann die  regierungsnahen Zeitungen als „Verräterin“ und „Putschistin“ ab. Den  entscheidenden Schlag aber versetzten AKP-regierte Kommunalverwaltungen  der Sängerin: Istanbul, Ankara, Kayseri und Bursa, also einige der  größten Städte der Türkei, sagten ihre Konzerte ab. Doch damit nicht  genug: Ein Bürger zeigte Sila an, und die türkische Staatsanwaltschaft  leitete daraufhin Ermittlungen wegen „Herabsetzung der türkischen  Nation“ gegen die berühmte Sängerin ein.
Was Sila in diesen Tagen widerfährt, in denen die Regierung  interveniert, um den Putschversuch in Drehbücher von Fernsehserien  einarbeiten zu lassen, 
ist kein Novum in der türkischen Geschichte. Die  Konsequenzen waren bisweilen sogar tragischer. Als Ahmet Kaya, einer der  Vorreiter der türkischen Protestmusik, im Jahr 1999 bei einer  Preisverleihung ankündigte, einen Clip mit einem kurdischen Lied  produzieren zu wollen, wurden aus dem Publikum Messer und Gabeln nach  ihm geworfen. Kaya wäre fast gelyncht worden, er entkam dem Mob nur  durch die Hintertür des Hotels. Kurz darauf wurde gegen ihn Anklage  wegen „Unterstützung der separatistischen Terrororganisation PKK“  erhoben. Kaya sollte zehn Jahre in Haft. Ihm blieb nur, die Türkei zu  verlassen. Als der Künstler kurz darauf in Paris sein Album „Lebt wohl,  meine Lieben“ aufnahm, erlag er einem Herzinfarkt.
Die Sängerin kann nicht mehr auftreten
Sila hat bisher nur  die Absage ihrer Konzerte hinnehmen müssen. In einer Erklärung, die sie  danach abgegeben hat, hat sie „Demokratie“ folgendermaßen beschrieben:  „Eine Bezeichnung dafür, Unterschiede zu respektieren und imstande zu  sein, Schulter an Schulter mit der bunten Vielfalt zu leben.“
 Es war  eine ziemlich naive Mahnung. Denn die Türkei, das Land derer, die nicht  zu mögen verstehen, die nur lieben oder hassen können, hat den Hafen der  Demokratie längst verlassen und ist mit voller Fahrt in die  „fortgeschrittene Demokratie“ hineingesegelt.
                                                                                                        Um ihr  Image nach dem Putschversuch aufzupolieren, hat die Türkei derweil eine  amerikanische PR-Firma engagiert. Wahrscheinlich sind deshalb nun in  rascher Abfolge Interviews mit internationalen Medien erschienen, die  Ankara lange gemieden hatte. Gerade hat Erdoğan ein Team von RTL  empfangen. In dem Interview hat der Staatspräsident seine Kritik an der  Haltung des Westens nach dem versuchten Putsch erneuert. Er beschwerte  sich -  meines Erachtens zu Recht – dass der Westen nicht beizeiten klar  Stellung gegen den Staatsstreich bezogen habe.
Unser Kollege Can Dündar, der als Chefredakteur der „Cumhuriyet“ gerade  zurückgetreten ist und vorerst nicht in die Türkei zurückkehren wird,  hatte geheime Waffenlieferungen nach Syrien publik gemacht. Er war  verhaftet worden, nur wenige Tage, nachdem Erdoğan angekündigt hatte:  „Die Person, die das als Nachricht brachte, wird teuer dafür bezahlen.“  Als das Verfassungsgericht Can Dündar nach drei Monaten  Untersuchungshaft auf freien Fuß setzte, sagte Erdoğan auch zu diesem  Gerichtsbeschluss: „Ich erkenne das Urteil nicht an“. Kurzum, die  Initiative unseres Justizministers, „Deutschland die fortgeschrittene  Demokratie beizubringen“, wird nun in die Tat umgesetzt. Die erste  Lektion lautet: Gerichtsbarkeit nicht anerkennen.
http://www.faz.net/aktuell/feuillet...u-wird-ein-exempel-statuiert-14389400-p2.html