"Christen in Nahost brauchen Solidarität"
Wer den Orient rein muslimisch wahrnimmt, irrt. Dort leben auch Christen mit einer alten und vielfältigen Kultur. Doch der israelisch-palästinensische Konflikt und andere Unruheherde bedrohen diese Kultur, erläutert der Linzer Theologe Hans Hollerweger.
OÖN: In letzter Zeit häufen sich die Aufrufe, die Christen im Nahen Osten zu unterstützten, insbesondere jene in Israel/Palästina. Warum hat sich die Lage der Christen so verschlechtert?
Hollerweger: Es ist von Land zu Land sehr verschieden, man sollte die Probleme nicht verallgemeinern. In Bezug auf Israel und Palästina ist der Konflikt verschärft: Das Problem der Christen dort ist, dass sie für die Israelis Palästinenser sind und für die Palästinenser Christen. So stehen sie zwischen zwei Blöcken. Die Gesamtlage verschlechtert sich und deshalb wird auch die Auswanderung mehr.
Der Westen kümmert sich auch verhältnismäßig wenig um die Christen im Orient. Das ist ein riesiges Versäumnis. Der Nahe Osten ist Ursprungsregion und Wurzelboden des Christentums - nicht nur das Heilige Land im engeren Sinne: Abraham stammt aus dem Irak, Syrien war wichtig für die Propheten und Apostel, Ägypten genauso. Die Christen im Nahen Osten brauchen unsere Solidarität und unsere Unterstützung.
OÖN: Stichwort Irak: Dort ist die Abwanderung der Christen besonders stark.
Hollerweger:
Die kurdische Regionalregierung im Nord-Irak lädt die Christen ein, in den Norden zu kommen. Dort ist es im Großen und Ganzen ruhig. Aber natürlich verlassen auch sehr viele das Land, weil die Situation hoffnungslos ist.
OÖN: Französische Geistliche schlagen wegen der Auswanderung der Christen aus dem Libanon Alarm. Die Existenz der Kirchen dort sei bedroht, sagen sie.
Hollerweger: Die Auswanderung ist nichts Neues. Viele sind im 19. und 20. Jahrhundert schon ausgewandert. Damit haben sie oft mehr Verwandte im Ausland - vor allem in Amerika - als sie daheim haben. Die Auswanderung ist daher verhältnismäßig leicht. Früher waren die Christen im Libanon in der Mehrheit. Nach dem Bürgerkrieg (1975 - 1990) hat sich dies geändert. Heute sind rund 40 Prozent der Libanesen Christen, 60 Prozent Muslime. Damit hat sich die Situation der Christen natürlich verschlechtert. Aber an sich funktioniert das spezielle System im Libanon, die Aufteilung der politischen Macht auf Vertreter verschiedener Religionen, nach wie vor. Der Libanon könnte wirklich ein Modell für das Zusammenleben für Christen und Muslime sein.
Schlimm ist die Situation heute deshalb, weil die gegen Israel gerichtete Hisbollah im Libanon ein Staat im Staate ist. Daher ist die Gefahr für einen weiteren Bürgerkrieg oder ein weiteres Eingreifen Israels groß. Derzeit herrscht im Libanon eine große Unsicherheit.
OÖN: Vertreter der Christen im Heiligen Land berichten, dass der Druck von Seiten radikaler Muslime wachse. Wie groß ist diese Gefahr wirklich?
Hollerweger: Es gibt weithin ein gutes Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen. Wenn natürlich Fundamentslisten und Extremisten auftauchen, zahlt die Minderheit der Christen drauf. Gerade wegen der politischen Agitation von Amerika her besteht die Gefahr, dass die Christen mit Amerika gleichgesetzt werden.
Aber die Christen des Orients leben seit Jahrhunderten mit den Muslimen zusammen. Hier ist eine Brücke. Es finden zahllose Gespräche statt zwischen Vertretern der Kirchen und der Muslime. Wir in Europa könnten wahrscheinlich viel lernen, wie das Zusammenleben mit den Muslimen funktioniert. Wir sind da ja oft eher hilflos in der Frage, wie wir uns verhalten sollen. Im Orient wäre ein Modell. Umso tragischer ist es, dass wir uns um die Christen dort nicht kümmern.
Unterstützung
Der Linzer Theologe Hans Hollerweger ist Obman des Vereins "Initiative Christlicher Orient". Bis 2000 förderte dieser vor allem Christen in der Osttürkei. Danach hat er sein Wirken auf verschiedene Projekte in anderen Ländern ausgeweitet. Insbesonders werden palästinensische Christen unterstützt - auch durch den Verkauf ihrer Produkte.
http://www.nachrichten.at/politik/au...83ae4d03c2edf6