Herr Seibert, gibt es von medico international konkrete Forderungen an die Bundesregierung, wie sie Ihre Arbeit unterstützen könne? Und wie kluge deutsche Politik gegenüber Erdogan aussehen könnte?
Thomas Seibert: Also das Mindeste, das man von der Bundesregierung fordern kann, ist die Unterstützung der Forderung des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, Seid Raad al-Hussein. Und dass sie von den schweren Menschenrechtsverletzungen, den Kriegsverbrechen im Südosten der Türkei spricht.
Und, - aber da ist die Bundesregierung weit von entfernt, es müsste der Flüchtlingsdeal mit der Türkei sofort gestoppt werden. Man kann nicht mit einem Regime verhandeln, das sich erstens so gegenüber Flüchtlingen verhält, wie sie es tun (Türkei: Schachzüge mit Flüchtlingen) und zweitens selbst ja Flüchtlinge produziert. Aber hier ist man wie ein Rufer in der Wüste, man sagt das, aber es verhallt ungehört. Es ist offensichtlich, sie wollen an dem Flüchtlingsdeal festhalten, und es sieht alles danach aus, dass sie alles dafür tun werden.
Das hat man ja an der Armenien-Resolution gesehen, dass man zumindest symbolisch Erdogan entgegengekommen ist. Bundeskanzlerin Merkel hat das Dokument mit der Formulierung, es ist
nur eine politische Bundestagsentschließung, die keinerlei Rechtsverbindlichkeit besitzt, herabgestuft. Das war natürlich die Vorlage für Erdogan. (
Incirlik: Geschenke der Bundesregierung an Erdogan) Diese Haltung zeigt, dass sie den Deal um jeden Preis weitermachen wollen. Dabei hätte es genug Gründe gegeben, den Deal abzubrechen.
Es hat Bombardierungen gegeben, es hat Panzerbeschuss gegeben, es sind ganze Stadtteile weitgehend zerstört worden durch die militärischen Angriffe. Es hat danach ein Erdbodengleichmachen der Ruinen gegeben, ebenfalls großflächig, es hat Zwangsumsiedlungen gegeben, es hat rechtswidrige Enteignungen gegeben. All das hätte ausgereicht, zu sagen, wir stoppen den Flüchtlingsdeal, mit dieser Regierung kann man das nicht tun. Aber es ist nichts passiert vonseiten der Bundesregierung.