Spionage mit Kriegsfolgen
10.09.2013
DAMASKUS/WASHINGTON/BERLIN
(Eigener Bericht) - Der deutsche Außenminister begrüßt die Bereitschaft Syriens, seine Chemiewaffen internationaler Kontrolle zu unterstellen. "Je schneller das geschieht, desto besser", erklärte Guido Westerwelle am gestrigen Abend. Zuvor war Berlin zum wiederholten Male mit seinem Versuch gescheitert, die außenpolitische Linie der EU zu Syrien aktiv festzulegen und damit die deutsche Führung in einer Frage von Krieg und Frieden zu manifestieren. Zugleich hatte der Bundesnachrichtendienst (BND) über angeblich abgefangene Funkgespräche berichtet, in denen syrische Militärs einen Giftgas-Einsatz gefordert haben sollen, und sich damit als Stichwortgeber in der Debatte über einen möglichen Kriegsgrund ins Spiel gebracht. Die Behauptungen des BND sind heute ebensowenig überprüfbar, wie es die Behauptungen eines seiner Informanten waren, als sie vor rund zehn Jahren zur Legitimierung des Irak-Krieges benutzt wurden. Sie entpuppten sich als reine Lügen; der Krieg wurde dennoch geführt.
Der europäische Mainstream
Die Debatte um einen möglichen westlichen Überfall auf Syrien ist in den vergangenen Tagen erneut von Machtkämpfen um die Vorherrschaft in der EU-Außenpolitik geprägt worden. Nach dem "Nein" des britischen Parlaments hatte Berlin zunächst noch triumphiert: Die enge Beziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten sei dadurch beschädigt, hieß es; London müsse sich in Zukunft enger am "europäischen Mainstream", also an der deutschen Außenpolitik orientieren.[1] Zudem sah Berlin Paris, das weiter rasche Militärschläge forderte, in der EU isoliert. Jetzt ist es Washington jedoch gelungen, nicht nur London und Paris, sondern auch Rom und Madrid zur Unterzeichnung einer Erklärung zu bewegen, die als Legitimation für einen baldigen Überfall dienen kann. Die Bundesregierung wollte eine Debatte im EU-Rahmen vorschalten, den sie dominiert, und so eine einheitliche europäische Positionierung unter deutscher Führung präsentieren. Weil die beim G20-Gipfel vertretenen anderen EU-Staaten jedoch ausscherten, war Berlin gezwungen, die Erklärung alleine nachholend zu unterzeichnen. Damit ist es der Bundesrepublik auch in der Syrien-Debatte nicht gelungen, die deutsche Hegemonie in einer Frage von Krieg und Frieden zu manifestieren - ganz wie in der Debatte um den Libyen-Krieg.[2]
Mit den NATO-Partnern geteilt
Inmitten der Auseinandersetzungen hat sich nun der deutsche Auslandsgeheimdienst zu Wort gemeldet. Demnach liegen dem Bundesnachrichtendienst (BND) Funkgespräche vor, die von dem deutschen Flottendienstboot "Oker" abgefangen wurden. Flottendienstboote der deutschen Marine, die hochmodernes Spionagegerät mit sich führen, kreuzen tatsächlich seit Jahren immer wieder vor der syrischen Küste; mit der aktuellen Mitteilung räumt der BND nun ausdrücklich ein, dass er mit ihnen die syrischen Streitkräfte ausspioniert. Offiziell hieß es bislang, die Operationen der Flottendienstboote im östlichen Mittelmeer seien vom UN-Mandat für den Libanon (UNIFIL) gedeckt; allerdings sieht dieses Mandat nur das Training der libanesischen Marine und die Verhinderung von Waffenschmuggel vor, nicht aber das Abhören von im Krieg befindlichen Drittstaaten. Ein Sprecher der Bundesregierung hat bereits letztes Jahr erklärt, es sei "normal, dass Erkenntnisse" der deutschen Spionage "auch mit Nato-Partnern geteilt werden können".[3] Weil einige NATO-Partner in engem Kontakt zu aufständischen Milizen stehen, liegen die Kriegsfolgen der deutschen Militärspionage auf der Hand.
"Giftgas-Angriffe gefordert"
Wie nun die "Bild"-Zeitung, ein Boulevardblatt aus dem transatlantisch orientierten Springer-Verlag, unter Berufung auf den BND behauptet, hätten "seit rund vier Monaten (...) syrische Divisions- und Brigadekommandeure immer wieder den Einsatz von Chemiewaffen beim Präsidentenpalast in Damaskus gefordert".[4] Mit der Behauptung greift der BND aktiv in die Kriegsgrund-Debatte ein. Weiter behauptet die deutsche Auslandsspionage, die "von den Kommandeuren verlangten Giftgas-Angriffe" seien "stets abgelehnt" worden; Präsident Bashar al Assad habe daher den "Einsatz vom 21. August wahrscheinlich nicht (...) persönlich genehmigt". Politisch lassen die Behauptungen für die Bundesregierung Spielraum zum Lavieren, öffnen allerdings auch Türen zur Begründung für einen Überfall, da sie den angeblichen Wunsch nach einem Giftgaseinsatz klar auf Seiten der Streitkräfte lokalisieren. Berichte, denen zufolge die Aufständischen vermutlich längst an anderem Ort Giftgas eingesetzt haben [5] und auch für die zahllosen Todesopfer bei Damaskus verantwortlich sein könnten, werden weiterhin ignoriert.
Kriegslügen und Schweigegebot
Dabei sind die Behauptungen des BND derzeit für die Öffentlichkeit ebensowenig überprüfbar wie vor zehn Jahren die Behauptungen eines BND-Informanten, die damals zur Legitimation des Irak-Kriegs beitrugen. Bei dem Informanten handelte es sich um einen Iraker, der 1995 aus dem Land geflohen war und in der Bundesrepublik um Asyl nachsuchte. Der Mann mit dem Codenamen "Curveball" erzählte im Jahr 2000 einem BND-Mitarbeiter völlig frei erfundene Geschichten von mobilen Anlagen zur Herstellung von Biowaffen im Irak, die der deutsche Auslandsgeheimdienst ohne hinlängliche Überprüfung übernahm. "Ich hatte ein Problem mit Saddams Regime", erklärte "Curveball" zur Begründung für die Lügen: "Ich wollte ihn loswerden, und da hatte ich nun die Chance dazu." Selbst als seine Lügen durch einen Auslandskontakt offengelegt worden seien, habe der BND an ihnen festgehalten. Als er, "Curveball", allerdings erkannt habe, dass seine Erfindungen im UN-Sicherheitsrat benutzt wurden, um den Irak-Krieg zu legitimieren, habe er sich bei seinem BND-Kontaktbeamten beschwert. Er sei daraufhin mit einem Schweigegebot belegt und für rund drei Monate in Arrest genommen worden.[6]
Satanisch
Während die Auseinandersetzungen um einen möglichen Überfall des Westens auf Syrien fortdauern, warnt der Sprecher des oppositionellen syrischen "Nationalen Koordinationskomitees für Demokratischen Wandel", Haytham Manna, erneut vor einer westlichen Intervention. Es gebe "keine militärische Aggression gegen das Regime", erklärt Manna, sondern nur eine militärische Aggression "gegen die Bevölkerung". Militärschläge seien "eine satanische Intervention gegen ein satanisches Regime".[7] Die im Exil ansässige "Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte", die eine Intervention fordert, vertrete lediglich eine "Minderheit innerhalb des Landes"; in Syrien selbst lehne tatsächlich die Bevölkerungsmehrheit einen Angriff eindeutig ab. Manna spricht sich zugleich gegen die Interventionen der libanesischen Hizbollah sowie von Al Qaida in Syrien aus. Ihm zufolge müssen die gravierenden Schwierigkeiten des Landes durch die syrische Bevölkerung gelöst werden: "Wir können die Demokratie in Syrien nicht gemeinsam mit anderen aufbauen."
[1] s. dazu
Die Allianzen der Rivalen
[2] s. dazu
Der erste Alleingang
[3] Es wird routinemäßig spioniert;
taz.de - taz.de 20.08.2013
[4] Assad-Kommandeure wollten seit Monaten Giftgas einsetzen;
Aktuelle Nachrichten - Bild.de 07.09.2013
[5] s. dazu
Wie im Irak
[6] Defector admits to WMD lies that triggered Iraq war;
Latest news, sport and comment from the Guardian | The Guardian 15.02.2011
[7] Syria Conflict: Opposition Leader Haytham Al-Manna Criticises Plans For US Military Intervention As 'Satanic';
www.huffingtonpost.co.uk 02.09.2013. S. auch
Wie im Irak
www.german-foreign-policy.com