Kreml will Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen erlauben
Russland wird bald gentechnisch veränderte Organismen produzieren dürfen. Am 1. Juni tritt ein Erlass in Kraft, der die Registrierung von genetisch veränderten Getreidekulturen erlaubt. Zivilgesellschaftliche Organisationen versuchen, gerichtlich gegen den Beschluss der Regierung vorzugehen.
Woher stammen illegale gentechnisch veränderte Organismen (GVO) in der Russischen Föderation?
Zurzeit ist der Import genetisch veränderter Getreidearten verboten. Allerdings kommen in der Praxis trotzdem genetisch veränderte Organismen zum Einsatz, denn „ohne Expertisen im Labor ist es unmöglich festzustellen, ob Samen genetisch verändert wurden oder nicht", erklärt der Präsident von Ambika-Agro Michail Orlow. „Die Landwirte kaufen deshalb die Samen, die die besten Resultate liefern." Nach Angaben des Präsidenten der Russischen Getreideunion (RZS) Arkadij Slotschewskogo werden gentechnisch veränderte Soja- und Maispflanzen in Russland auf 400 000 Hektar angepflanzt.
Die Umweltorganisation
Greenpeace, die sich heftig gegen den Einsatz genetisch veränderter Organismen einsetzt, entdeckte GVO in Produkten vieler russischer Unternehmen. Nach Angaben der Umweltaktivisten sind in
Produkten von 16 russischen Herstellern genetisch veränderte Organismen enthalten. Zudem gelangen genetisch veränderte Organismen auch in Erzeugnissen und Futtermitteln aus dem Ausland auf den russischen Markt. Weltweit wachsen genmanipulierte Pflanzen auf mehr als 130 Millionen Hektar Land.
In Russland sind viele Erzeuger landwirtschaftlicher Produkte bereit, ihren Anbau auf widerstandsfähige Sorten umzustellen. So sieht Oleg Bukin, leitender Agronom des mordwinischen landwirtschaftlichen Betriebs Talina, keinen Grund, sich vor den neuen genmanipulierten Sorten zu fürchten. „Für Landwirte bietet die Einführung genetisch veränderter Kulturen die Möglichkeit, die Produktion bei gleichbleibenden Ausgaben zu erhöhen. Sie machen eine Reduzierung der eingesetzten Pestizide möglich, bieten eine verbesserte Kontrolle über Unkraut, Krankheiten und Schädlinge", erklärt er. Der Fachmann fügt hinzu, dass genetisch veränderte Sorten bei Weitem nicht immer einen größeren Ernteertrag lieferten. Allerdings überlebe durch deren Resistenz gegenüber Krankheiten und Schädlingen eine größere Anzahl von Pflanzen, wodurch Landwirte vor unerwarteten Verlusten geschützt würden.
Der Erlass der Regierung kann möglicherweise auch zur Produktion eigener genmanipulierter Samen in Russland führen. Zurzeit wird in vielen wissenschaftlichen Organisationen der Russischen Föderation, zum Beispiel im Zentrum Bioinschenerija, im Biologischen Institut für Gen-Entwicklung, im Institut für landwirtschaftliche Biotechnologie und vielen anderen an der Entwicklung genmanipulierter Getreidesorten gearbeitet. Allerdings sind diese Entwicklungen eher experimenteller Natur, da es bislang nicht erlaubt war, solche Sorten offiziell anzubauen. Nun kann die Zucht von Samen anlaufen; allerdings wagen Fachleute noch keine Prognosen zu der Frage, ob es überhaupt eine Nachfrage für russische Sorten gibt.
Protestieren ist zwecklos
Viele der gesellschaftlichen Organisationen, die sich in Russland heftig gegen die Produktion genmanipulierter Nahrungsmittel einsetzen, haben gegen den Erlass der Regierung bereits eine Eingabe an den Obersten
Gerichtshof geschickt. Darin bringen sie ihre Besorgnis zum Ausdruck, und das nicht nur aus gesundheitlichen Gründen. Vielmehr befürchten sie, dass der russische Markt durch den Einzug genmanipulierter Getreidekulturen von Nebenprodukten aus dem Ausland – verschiedenen Pflanzenschutzmitteln – überschwemmt wird. „Die Erzeuger werden dazu verdammt, Jahr für Jahr Samen und Pestizide von ausländischen Zuchtunternehmen anzukaufen. Diese Sorten müssen mit bestimmten Präparaten bearbeitet werden. Und je mehr sich die Parasiten an die Pestizide gewöhnen, desto mehr davon wird von Jahr zu Jahr benötigt werden", erläutert die Direktorin für Außenbeziehungen der Union für organische Landwirtschaft Anna Ljubowedskaja den ökonomischen Aspekt dieser Frage.
Den zivilgesellschaftlichen Organisationen wird es jedoch wohl kaum gelingen, ihr Ziel zu erreichen. Bei dieser Frage spielen möglicherweise auch Vorgaben der
Welthandelsorganisation (WTO), der Russland im Jahr 2012 beigetreten ist, eine Rolle. Der Versuch, den Import genmanipulierter Sorten zu unterbinden, fällt unter die Klausel „ungerechte Handelsbarriere". Nachdem beispielsweise Bolivien im August 2001 erklärt hatte, das Verbot genetisch veränderter Organismen in ein ständiges Gesetz umwandeln zu wollen, drohten die USA und Argentinien dem Land mit dem Gericht der
WTO, sodass Bolivien von seinen Plänen wieder abrückte. Im gleichen Jahr wurde auch China – lediglich eineinhalb Monate nach seinem Eintritt in die WTO – wegen der Kennzeichnungspflicht für genetisch veränderte Organismen mit einem Gerichtsverfahren gedroht, und so sah sich das Land gezwungen, seine Vorgaben abzuändern. Ein Jahr später rückte auch Kanada unter dem Druck angedrohter Handelssanktionen von der Kennzeichnungspflicht für GVO-Produkte ab. Schließlich befand das Gericht der WTO 2006, das Moratorium der EU für die Einfuhr neuer Sorten genmanipulierter Kulturen sei gesetzeswidrig.
Die Umsetzung des Regierungserlasses könnte durch einen Erlass des Präsidenten gestoppt werden. Im August 2013 hatte Präsident
Wladimir Putin angeordnet, die Kontrolle über den Umlauf genmanipulierter Produkte zu verschärfen, wodurch die Registrierung solcher Produkte komplizierter wurde. Ungeachtet der Tatsache, dass die Registrierung genmanipulierter Samen nun ab dem 1. Juni erlaubt sein wird, kann sich der Prozess folglich noch jahrelang hinziehen. „Bislang ist nicht klar, wie die Biosicherheit genmanipulierter Produkte überprüft werden kann. Deshalb muss bis mindestens 2017 oder 2018 abgewartet werden – erst dann kann man sehen, was aus der Aussaat geworden ist", stellt Sergej Gontscharow, Portfolio-Manager für Getreidekulturen der Syngenta AG fest.
Nach Ansicht von Fachleuten zählen Soja, Mais und Zuckerrüben zu den aussichtsreichsten genetisch veränderten Pflanzen. Die Samen kosten das 1,5-fache im Vergleich zu herkömmlichen Produkten, allerdings können die Selbstkosten der Endprodukte um 20 Prozent reduziert werden.
Doch auch nach dem erlaubten Anbau genetisch veränderter Kulturen wird Russland weiterhin von Importen abhängig sein. Mögliche Importeure genetisch veränderter Samen nach Russland sind die Unternehmen Syngenta, Monsanto, KWS und Pioneer.
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